Euro am Sonntag

Zehn provokante Thesen für 2016

03.01.16 22:28 Uhr

Zehn provokante Thesen für 2016 | finanzen.net

Zehn eher unwahrscheinliche Szenarien, die aber 2016 enorme Folgen für die Finanzmärkte haben könnten.

von Steen Jakobsen, Gastautor für Euro am Sonntag

Die Saxo Bank hat ihre "Outrageous Predictions" für das kommende Jahr erstellt. Dabei handelt es sich um zehn eher unwahrscheinliche Szenarien, die aber 2016 enorme Folgen für die Finanzmärkte haben könnten.



Wir nähern uns dem Ende der Paradigmenparalyse, welche die wirtschafts­politische Reaktion auf die weltweite Finanzkrise geprägt hat. Quantitative Lockerung und andere Formen der Intervention haben versagt. China befindet sich in einer Übergangsphase, und die geopolitischen Spannungen sind so komplex wie eh und je. Die Grenzkosten des Kapitals steigen, ebenso wie Volatilität und Ungewissheit. Das bildet den Rahmen für unsere diesjährigen Prognosen.

Wie jedes Jahr erstrecken sie sich auf die gesamte Bandbreite der Märkte und Regionen. Es ist schon interessant zu beobachten, wie diese provokanten Thesen die Fantasie unserer Kunden anregen und die laufende Debatte beleben. Dieser Diskurs und das kritische Denken jenseits aller Herdenmentalität stehen im Mittelpunkt der zehn Thesen. Letztendlich geht es uns aber darum, die Sensibilität für vernachlässigte Risiken zu schärfen.

1. Quo vadis Euro/US-Dollar?

Europa hat einen massiven Leistungsbilanzüberschuss aufgehäuft. Die niedrige Inflation sollte zudem - jedenfalls nach volkswirtschaftlicher Logik - eine stärkere und nicht etwa schwächere Währung bedeuten. Hier schließt sich der Kreis beim Rennen um den letzten Platz: Als unmittelbare Konsequenz der US-Zinspolitik ist der Dollar jetzt wieder geschwächt.

2. Der russische Rubel legt bis Ende 2016 um 20 Prozent zu

Ein plötzlicher Anstieg der Ölnachfrage sowie die quälend langsame Straffungspolitik der US-Notenbank Fed führen dazu, dass der russische Rubel bis Ende 2016 um rund 20 Prozent gegenüber dem US-Dollar/Euro-Korb zulegt.

3. Realitätscheck bereitet Silicon- Valley-Einhörnern Verdruss

2016 wird im Silicon Valley dem Jahr 2000 ähneln: Immer mehr Start-ups ­setzen beim Versuch, eine kritische Masse zu erreichen, lieber auf hohe Nutzerzahlen als auf Monetarisierung und handfeste Geschäftsmodelle. Viel gepriesene "Einhörner" des Silicon Valley gehören ins Reich der Fabeln.

4. Olympische Spiele lösen Boom in Brasilien und damit eine Erholung an den Schwellenländermärkten aus

Aufgrund von Stabilisierung, Investi­tionsausgaben anlässlich der Olympischen Spiele sowie maßvollen Reformen erholt sich die Stimmung in Brasilien. Zugleich begünstigen die schwächeren Lokalwährungen die Exporte der Schwellenländer. Im Ergebnis dürfte Aktien von den Emerging Markets ein hervorragendes Jahr bevorstehen, in dem sie Anleihen und andere Aktien übertreffen.

5. Demokraten stellen auch den neuen US-Präsidenten und erzielen 2016 die absolute Mehrheit im Kongress

Die Republikaner verzetteln sich in internen Streitigkeiten über die künftige Richtung der Partei. Daher verspielen sie ihr politisches Kapital und stürzen dramatisch in der Wählergunst ab. In der Folge erzielt die Demokratische Partei im November einen erdrutschartigen Sieg. Dabei profitiert sie insbesondere von einer Kampagne, die sich vor allem an Jungwähler, die sogenannten Millennials, richtet, die von dem politischen Patt und den mageren Jobaussichten der vergangenen acht Jahre frus­triert sind.

6. OPEC-Turbulenzen lösen vorüber­gehend Anstieg des Ölpreises auf 100 US-Dollar pro Barrel aus

Der sogenannte OPEC Basket Price für Rohöl fällt auf den niedrigsten Stand seit 2009. In der Folge wächst sowohl bei schwächeren als auch wohlhabenderen Mitgliedern der Unmut über die Strategie der Organisation. Dadurch zeichnet sich schließlich die lang erwartete Verlangsamung der Ölförderung in den Nicht-OPEC-Ländern ab. Das verschafft der OPEC wiederum genug Auftrieb, um den Markt mit einer Drosselung ihrer Produktion zu überrumpeln. Der Preis erholt sich bald wieder, da Anleger ­erneut auf der Kaufseite in den Markt drängen. Eine Rückkehr des Ölpreises auf 100 Dollar je Barrel ist in Sicht.

7. Silber bricht aus seiner üblichen Range aus und legt um 33 Prozent zu

2016 werden wir ein stärkeres Interesse an Silber erleben. Der politische Wille, Kohlenstoffdioxid-Emissionen durch Förderung erneuerbarer Energiequellen zu reduzieren, steigert die industrielle Nachfrage nach Silber für den Einsatz in Sonnenkollektoren. Der Preis für Silber wird daher um ein Drittel zulegen; andere Metalle können da nicht mithalten.

8. Eine offensive Fed-Politik führt zum Einbruch der Kurse für Unternehmensanleihen

Ende 2016 wird Fed-Chefin Janet Yellen eine stärker anti-inflationäre Tonart ­anschlagen und die Zinsen in schneller Folge deutlich anheben. Dadurch kommt es an allen großen Anleihemärkten zu einem massiven Einbruch der Kurse. Da die Teile der Bank- und Broker-Bilanzen, die zuvor für Bondhandel und Market-Making vorgesehen waren, nahezu verschwunden sind, fehlt ein für einen funktionierenden Markt unerlässliches Element. Der Markt realisiert dies zu spät und die gesamte Kaufseite setzt auf Panikverkäufe, sobald ausgeklügelte Risikomodelle unisono auf Alarmstufe Rot schalten.

9. El Niño löst sprunghaften Anstieg der Inflationsrate aus

Der nächstjährige El Niño soll der bisher extremste werden. Das bedeutet Wassermangel in weiten Teilen Südostasiens und Dürren in Australien. Die geringeren Ernteerträge lösen zu einem Zeitpunkt Versorgungsengpässe aus, da die Nachfrage im Zuge der weltweiten konjunkturellen Erholung immer noch steigt. In der Folge schießt der Bloomberg Agriculture Spot Index um 40 Prozent nach oben und treibt so die Inflationsrate in die Höhe (was auch dringend erforderlich ist).

10. Ungleichheit schlägt Luxus

Wachsende Ungleichheit sowie Arbeitslosenquoten von über zehn Prozent ­führen dazu, dass europäische Politiker die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens erwägen, damit alle Bürger ihre Grundbedürfnisse decken können. In einer eher egalitär ausgerichteten Gesellschaft, in der andere Werte gefördert werden, stürzt die Nachfrage nach Luxusgütern ab. Der Sektor kollabiert.


Kurzvita

Steen Jakobsen
Chefvolkswirt und CIO der Saxo Bank
Jakobsen verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung im Eigen­handel und im Bereich Alternative Investments. Im ­Anschluss an sein Wirtschaftsstudium an der Universität von ­Kopenhagen startete er 1989 seine Karriere bei der Citibank. Seit 2011 ist Steen Jakobsen Chefvolkswirt bei der Saxo Bank. Zwischen 2000 und 2009 war er bereits neun Jahre bei der Saxo Bank als Chief Investment Officer tätig. Die Saxo Bank ist eine globale Investmentbank, die sich auf den Onlinehandel und ­Anlagen an den internationalen Kapitalmärkten spezialisiert hat.

Bildquellen: Saxo Bank, ollyy / Shutterstock.com