Euro am Sonntag-Porträt

Der ambitionierte Plan des neuen Uber-Chefs

11.09.17 03:00 Uhr

Der ambitionierte Plan des neuen Uber-Chefs | finanzen.net

Dara Khosrowshahi, der neue Chef der erfolgreichsten Taxi-App der Welt, hat sich einen stressigen Fahrplan gesetzt: Da ist Coolness Pflicht!

von Nele Husmann, New York

Der Typ in schwarzem Sakko und T-Shirt ist hellwach. "Ich werde euch keinen Mist erzählen", ruft der Mann seinen Mitarbeitern zu. "Ich bin ein Kämpfer, und ich werde mit jeder Faser in meinem Körper für Uber kämpfen." Das T-Shirt mit dem aufgedruckten Uber-Logo zeigt, dass Dara Khosrowshahi jetzt zum Team des Fahrdiensts mit Sitz in San Francisco gehört. Die klassische Chopard-Armbanduhr am Handgelenk des 48-Jährigen deutet an, dass zwischen ihm und dem typischen Manager im Silicon Valley Welten liegen: Nur die wenigsten tragen hier eine Uhr - und wenn, dann eine Apple Watch.



Gerade hat der frisch gekürte Uber-Chef seinen Job angetreten in der von Science-­Fiction-Welten inspirierten Konzernzentrale an der Market Street in San Francisco. Die Messlatte hat sich Khosrowshahi selbst hoch gelegt: Bis spätestens 2020 will er das Unternehmen an die Börse bringen.

Die richtige Wahl
Der Weg dahin dürfte steinig sein. Der Nachfolger des skandalumwitterten Travis Kalanick muss nicht nur die enormen Verluste deutlich reduzieren. Er muss nach den Eskapaden des alten ­Managements neues Vertrauen in die Marke aufbauen, Konflikte mit dem Gesetzgeber lösen und die Unternehmenskultur von Grund auf erneuern. Zudem muss er sich mit dem überimpulsiven Gründer Kalanick arrangieren, der im Verwaltungsrat sitzt - und weitere drei der elf Mitglieder bestimmen darf.


Khosrowshahi gilt als geglückte Wahl für den weltweit erfolgreichsten Betreiber einer Taxi-App - da er ein Externer ist. Der studierte Ingenieur startete seine Karriere als Investmentbanker bei Allen & Co., wo er dem New Yorker Milliardär und Medienunternehmer Barry Diller auffiel. Der machte Khosrowshahi zum Chef der Reiseplattform Expedia in Seattle, als diese 2005 an die Börse ging. Ihren Umsatz konnte Khosrowshahi in zwölf Jahren vervierfachen.

"Khosrowshahi ist ausgeglichen und unprätentiös", sagt Uber-Anteilseigner Mitchell Green von Lead Edge Capital. Der gebürtige Iraner gilt als ausgesprochen freundlich - ein revolutionärer Wandel für Uber-Mitarbeiter, von denen viele die Ausbrüche des Ex-Chefs Kalanick fürchteten. "Ich habe ihn noch nie wütend erlebt", beteuert Khosrowshahis Cousin Hadi Partovi, selbst ein Investor des Mobilität-Start-ups. Im Silicon Valley hat Khosrowshahi ein ganzes Netzwerk von erfolgreichen Verwandten in einflussreichen Positionen.


Bei aller Ausgeglichenheit ist der ehemalige Investmentbanker dennoch ein Draufgänger. Mit neun Jahren floh er mit seiner Familie während der iranischen Revolution 1978 in die USA. Die Familie ließ ein Vermögen an Industrieanlagen zurück. Die Erfahrung prägte ihn: "Ich sah meine Familie alles verlieren - und ich erlebte, wie wir es schafften, unser Leben wieder aufzubauen", sagt Khosrowshahi. "Das erlaubt mir, Risiken einzugehen, ohne mir zu große Sorgen zu machen." Mut und Zuversicht wird der Neue brauchen, die Fußstapfen sind groß.

Kalanick hat Uber zum Marktführer aufgebaut - mit dem Ziel, die Mobilität weltweit zu revolutionieren. Die ursprüngliche Idee: Privatautos, welche die meiste Zeit in der Garage stehen, werden als Privattaxis eingesetzt, die App vermittelt die Fahrten, Uber kassiert dafür eine Gebühr. Das Konzept schlug ein, Uber gilt als eines der wertvollsten Start-ups der Welt. Mit rund 50 Milliarden Dollar Bewertung ist das private Unternehmen rein rechnerisch beinahe so groß wie der US-Autoriese General Motors.

Dem kompromisslosen Kalanick war jedes Mittel recht, um dieses Ziel zu erreichen. Absichtlich und offen brach Uber die Fahrgastbeförderungsgesetze vieler Städte und Länder, um sich Märkte zu öffnen und Nachfrage zu schaffen. Diese setzte die Gesetzgeber unter Druck, in weiten Teilen ging die Strategie auf.

Doch die anarchistische Kultur gewann bei Uber eine Eigendynamik. 2014 schrieben die Softwareexperten ein Programm namens Hell, mit dem das Unternehmen erkennen konnte, welche Fahrer sowohl für Uber als auch für den Konkurrenten Lyft unterwegs waren. Das nutzten sie, um diese Fahrer mit speziellen Anreizen ausschließlich zu Uber zu locken. Zugleich setzte das Unternehmen die geheime Software Greyball ein, um Beamte zu erkennen, die ­inkognito Fahrten buchen wollten, um Fahrern Geldstrafen aufzubrummen.

Sehr spezielle Firmenkultur
Zudem hat das Unternehmen mit anhaltenden Vorwürfen wegen sexueller Belästigung weiblicher Mitarbeiter zu kämpfen. Dabei kam sogar ein Besuch von Kalanick und seinen engsten Beratern in einem Karaokepuff in Seoul ans Licht. Die womöglich folgenschwer­ste Verfehlung: Google-Tochter Waymo verklagt Uber auf Schadenersatz - wegen angeblichen Diebstahls von Patenten für selbstfahrende Autos. Zuletzt kam heraus, dass die US-Staatsanwaltschaft wegen angeblicher Zahlungen von Bestechungsgeldern im Ausland ermittelt.

Auch im Operativen hakt es. In den vergangenen Monaten jagte der Konkurrent Lyft den Kaliforniern auf dem Heimatmarkt USA Marktanteile ab. Über 500 000 Kunden löschten die Uber-App von den Smartphones, nachdem Kalanick sich nicht umgehend vom Muslimbann des US-Präsidenten Donald Trump distanziert hatte. Die Berichte über die sexistischen Übergriffe trieben Lyft weitere Kunden in die Arme. Die muss Khosrowshahi nun mit einer Charmeoffensive zurückgewinnen. "Die wichtigste Aufgabe ist, diesen Rückgang zu stoppen", ermahnte Khosrowshahi seine Mitarbeiter.

Dennoch: Die Wachstumsstory bleibt intakt. Uber verdoppelte den Umsatz im zweiten Quartal auf 8,7 Milliarden Dollar. Und steigerte die Anzahl der über die Plattform abgewickelten Fahrten im Vergleich zu 2016 um 150 Prozent. Problematisch ist, dass Uber mit vielen Fahrten Geld verliert. Allein im ersten Halbjahr 2017 fiel ein Verlust von 1,3 Milliarden Dollar an. 2016 verbrannte das Unternehmen noch drei Milliarden Dollar. Die Bargeldreserve von 6,6 Milliarden Dollar reicht auch beim gegenwärtigen Tempo nur noch für etwa zweieinhalb Jahre. Will Khosrowshahi das ­Unternehmen an die Börse bringen, muss er die Geldvernichtungsrate deutlich reduzieren - ohne zugleich weitere Marktanteile einzubüßen.

Hohe Erwartungen
Uber wäre längst nicht das erste unprofitable Unternehmen, das an die Börse geht - siehe etwa den Kurznachrichtendienst Twitter. Doch Investoren wollen zumindest sehen, dass das Minus kontinuierlich schrumpft. Bei seiner weltweiten Expansion gewährte Uber den Kunden Rabatte und zahlte den Fahrern einen Bonus, um sie an die Plattform zu binden. Eine Fahrt mit dem Dienst UberX, bei dem die Fahrer ihre Privatwagen einsetzen, kostet etwa ein Drittel weniger als eine Taxifahrt.

In vielen Ländern mischte Uber so den Taximarkt auf. Jetzt arbeitet das ­Unternehmen mit selbstfahrender Fahrtechnik, die das Geschäftsmodell nachhaltig ändern soll. Eine Flotte eigener Roboterautos könnte künftig rund um die Uhr Kunden befördern. Ein entsprechender Großversuch läuft in Pittsburgh und anderen US-Regionen.

Bei all diesen Revolutionen ist von Khosrowshahi zu erwarten, dass er mit Fingerspitzengefühl agiert und lieber Verluste schreibt, als Kunden durch ­höhere Preise zu verprellen. Denn er lernte nachhaltig aus einem Fehler, den er am Anfang seiner Karriere machte.

Damals brachte es Expedia auf Gewinnmargen von 25 Prozent, indem es blockweise Hotelzimmer einkaufte und diese über seine Plattform einzeln weiterverkaufte. Die kleine Amsterdamer Agentur Booking.com vermittelte Zimmer für eine Gebühr, die lediglich der halben Expedia-Marge entsprach. Khosrowshahi entschied sich dagegen, Booking.com zu kaufen, um die eigene Marge nicht zu verwässern: "Wir waren durch unsere Margen und unser Geschäftsmodell geblendet." Letztlich erwarb Expedias größter Konkurrent, Priceline, den Anbieter Booking.com und machte ihn zur weltgrößten Hotelbuchungsseite.

Geld zu sparen dürfte dem Neuen nicht allzu schwer fallen, dazu muss er bloß ein paar Luftschlösser einstampfen - zum Beispiel die Forschung am fliegenden Auto. Zudem dürfte Khosrowshahi die Auslandsmärkte analysieren, um dort gegebenenfalls auszusteigen oder mit einheimischen Anbietern zu fusionieren.

Das hat Uber in Russland und China bereits getan. Südostasien könnte als nächste Region auf die schwarze Liste kommen, da dort Taxipreise ohnehin niedrig sind und ein Preiskrieg mit dem in Singapur beheimateten Anbieter Grab ans Eingemachte ginge.

Eine Gratwanderung steht Khosrow­shahi beim Personal bevor. Die neue Personalchefin Liane Hornsey will Diskrepanzen zwischen den Gehältern von Mitarbeitern in ähnlichen Jobs abschaffen. Unter Kalanick genossen einige Top-Performer hier eine Vorzugsbehandlung. Führende Mitarbeiter verteidigen diese Sonderbehandlung immer noch - sie fürchten, sonst ihre besten Leute zu verlieren. Ohnehin braucht Khosrowshahi einen neuen Finanzvorstand und einen COO, der ihn im Tagesgeschäft unterstützt - insgesamt verlor Uber in den vergangenen Monaten schon ein gutes Dutzend Führungskräfte. Zusätzlich will Khosrowshahi ­einen neuen Chairman finden, der den Uber-Aufsichtsrat hinter sich vereint.

Humor als Tarnung
Der neue Uber-Chef gibt sich gern locker und hat immer einen Witz auf den Lippen. Zu Halloween verkleidet er sich gern mal im Büro als Ketchup oder Senf zum CCO, zum Chief Condiment Officer, der Chef für Würze. Doch sollte man sich davon nicht täuschen lassen. Eines hat Khosrowshahi mit den Machern im Silicon Valley gemein - den eisernen Willen zum Erfolg. "Jeder in unserer Familie hat einen Komplex, weil wir damals im Iran alles verloren haben", sagt sein Cousin Hadi Partovi, "deshalb wollen wir uns heute als Unternehmer unbedingt beweisen."

Kurzvita

Dara ­Khosrowshahi kam in Teheran zur Welt, wuchs ab dem neunten Lebensjahr in Tarrytown, in der Nähe von New York auf. Er studierte an der Brown University Elektrotechnik und startete als Investmentbanker bei Allen & Co. ins Berufsleben. Dort warb ihn IAC-Gründer Barry Diller ab und betraute ihn mit dem Ausbau des Tourismuskonzerns Expedia. Der 48-Jährige ist zum zweiten Mal verheiratet und hat vier Kinder - zwei mit seiner aktuellen Frau, der ehemaligen Schauspielerin Sydney Shapiro.

Über Uber

Im Investorensprech ist Uber ein Einhorn - also ein Start-up mit einer Bewertung von über einer Milliarde Dollar. Und zwar eines der weltweit größten. Daten jüngster Anteilsveräußerungen deuten an, dass Uber zuletzt mit 50 Milliarden Dollar bewertet wurde - in der Spitze waren es knapp 70 Milliarden. Der Börsengang soll bis 2020 erfolgen.

Bildquellen: Uber