Tan Siekmann: Der Traumtänzer
Tan Siekmann galt als Wunderkind, war Milliardär und wurde hofiert von Politikern und Bankern. Doch seine Biodata AG war nur Fake.
von Peter Balsiger, Euro am Sonntag
Die Geschichte von Tan Siekmann trägt Züge vom Drama eines in grenzenlosem Optimismus und Selbstüberschätzung gefangenen, hochbegabten Kindes. "Er meinte, wenn man Arme und Beine benutzt, könnte man aus einem hohen Baum springen und fliegen", erinnerte sich die Mutter an Tan Siekmanns Kindheit. Als Kind reicher Eltern wuchs er auf der 1189 erbauten Ritterburg Lichtenfels in der nordhessischen Provinz auf. Eine Trutzburg mit Rittersaal, Bergfried, Wohntrakt und einem Interieur, das an einen englischen Club erinnerte. Sein Vater war ein erfolgreicher Biochemie-Unternehmer. Ihm gehörte die Firma Biocon, die unter anderem Schwangerschaftsteststreifen herstellte.
Dazu gehörte auch die Tochtergesellschaft Biodata, die Tan seinen Eltern 1984 im Alter von 16 Jahren zum symbolischen Preis von einer Mark abkaufte. "Von da an glich Siekmanns Jugend einem Traineeprogramm für junge Unternehmer", schrieb "Der Spiegel". In einem Gartenhaus arbeitete der pausbäckige Nerd nächtelang an Computerprogrammen, die er unter anderem an Tochterfirmen von Daimler-Benz verkaufte. Ende der 90er-Jahre arbeiteten 35 Mitarbeiter auf Burg Lichtenfels an den Zukunftstechnologien der New Economy: Netzwerksysteme, IT-Sicherheit, Firewalls, Verschlüsselung von Telefongesprächen.
Tan Siekmann war jetzt ein Star der neuen Wirtschaftswelt. Der damalige hessische Ministerpräsident Roland Koch nannte Biodata "ein absolutes Zukunftsunternehmen", Bundespräsident Roman Herzog lud das Wunderkind auf Schloss Bellevue ein.
Am 22. Februar 2000 ging Biodata an die Börse. Die Aktie kostete 45 Euro, die Erstnotiz lag bei 240 Euro. Das Unternehmen mit gerade mal acht Millionen Euro Umsatz war über Nacht mehr als zwei Milliarden Euro wert. Es war der höchste Zeichnungsgewinn in der Geschichte des Neuen Markts. Siekmann posierte im Nadelstreifenanzug auf dem Bronzebullen vor der Börse. Die Start-up-Republik Deutschland hatte jetzt endlich ihren Bill Gates.
Die Geldmaschine
"Siekmann wurde zum Fahnenträger einer Wirtschaftsnation, die in eine große Zukunft marschierte", schrieb "Die Zeit". "Internationale Fernsehsender rissen sich um Interviews mit ihm, Investmentbanker umgarnten ihn, und die Analysten brüllten den Anlegern zu: Kaufen!"
Biodata galt als Weltmarktführer für ISDN-Datenverschlüsselung und stand im Ruf, eine Geldvermehrungsmaschine zu sein. Der Name klang chic, irgendwie nach Biotechnologie oder Genforschung. Inzwischen mit einem Netzwerk von 15 Tochterfirmen in zehn Ländern vertreten, konnte die Firma glänzende Zahlen und imposante Umsatzprognosen vorweisen. Die Zahl der Mitarbeiter stieg auf 350. "Die meisten sind um die 28, viele tragen Tattoos und Kinnbärtchen, einer ist Firmenphilosoph", berichtete €uro am Sonntag.
An der Börse war Biodata knapp 2,5 Milliarden Euro wert. Siekmann war jetzt 32 und gehörte zu den 70 reichsten Deutschen. Er hatte einen Privatjet und spielte mit dem Gedanken, ein russisches Jagdflugzeug zu kaufen. Jagdflugzeuge besaßen damals auch Oracle-Gründer Larry Ellison und Microsoft-Milliardär Charles Simonyi.
"Der Markt war verrückt damals. Wir alle waren verrückt", sagte Siekmann rückblickend. "Damals reichte es, etwas Ahnung von Computern zu haben, um reich zu werden."
Der Insolvenzverwalter Fritz Westhelle stellte später fest, dass Siekmann auf Druck der Analysten Erfolgsmeldungen erfunden und Jubelmeldungen über Geschäftsabschlüsse, die noch gar nicht zustande gekommen waren, verfasst hatte. Biodata lebte von Luftbuchungen, die vielfach nur auf Innenumsätzen zwischen den Niederlassungen beruhten. Teilweise soll Siekmann Rechnungen für angebliche arabische Vertriebspartner selbst beglichen haben.
Konkurs folgt auf Konkurs
Die Blase platzte 2001. Siekmann musste im November Konkurs anmelden. In den ersten neun Monaten hatte Biodata 70 Millionen Euro Verlust verzeichnet. Siekmann verkroch sich auf seine Burg, aus der zuvor seine Ehefrau mit den zwei Kindern ausgezogen war, saß wochenlang über einem 5.000-Teile-Puzzle mit Sonnenblumenmotiv. Kleinaktionäre verklagten ihn auf Schadenersatz, die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen Insolvenzverschleppung und Insiderhandel.
Auf der Burg zog jetzt der Insolvenzverwalter mit seinen "Schergen", so Siekmann, in die verwaisten Räume des "größten Knallbonbons der deutschen New Economy" ("Die Welt") ein. Aber Siekmann, der ewige Optimist, gab nicht auf und wagte einen Neuanfang. "Zum Schluss kämpfte er wie ein Löwe darum, sein Spielzeug zurückzubekommen", so der Insolvenzverwalter.
Nur drei Monate nach der Pleite kaufte er für 800.000 Euro den Kern der Firma aus der Insolvenz, gründete die Biodata Systems GmbH und zog mit 50 ehemaligen Mitarbeitern in eine Fabrikhalle. Sein Unternehmen stellte eine Software her, die abhörsicheres Mobiltelefonieren garantieren sollte. Im September 2004 war auch sie pleite.
Einen Monat später kaufte Siekmann wieder Teile aus der Insolvenzmasse und gründete die Safe-Com GmbH & Co. KG, die sich als weltweit operierender Spezialist für Telekommunikationssicherheit und Verschlüsselungslösungen anpries. Er brachte ein Blutzuckermessgerät auf den Markt und macht neuerdings in Windkraft. "Mein Beruf ist Unternehmer", zitiert ihn "Die Zeit". Auf der Burg arbeiten inzwischen nur noch vier Mitarbeiter.
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