Euro am Sonntag-Meinung

Voestalpine-Chef: Innovationen gefragt!

28.01.17 15:00 Uhr

Voestalpine-Chef: Innovationen gefragt! | finanzen.net

Die Klagen und Sorgen um die europäischen Stahlwerke beschäftigen Politik und Wirtschaft. Zu Recht? Voestalpine-Chef Eder unterzieht die eigene Branche einer kritischen Betrachtung.

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von Wolfgang Eder, Gastautor von Euro am Sonntag

Über kaum eine Branche ist in den letzten zwölf Monaten so viel in den europäischen Wirtschaftsmedien geschrieben worden wie über die Stahlindustrie - oder besser gesagt, deren nicht enden wollende Krise. Dabei machen immer dieselben Schlagworte die Runde: globale Überkapazitäten, Preisdruck durch staatlich subventioniertes Dumping aus China, hohe Energiepreise, unrealistische Klimaschutzvorstellungen und die Notwendigkeit einer weiteren Branchenkonsolidierung.



Übersehen wird dabei, dass in dieser Diskussion viele Aspekte und Perspektiven rückwärtsgewandt sind beziehungsweise der Rechtfertigung einer unbewältigten Vergangenheit dienen. Faktum ist, dass zahlreiche der heutigen Herausforderungen auf Fehlsteuerungen der letzten 15, 20 Jahre zurückzuführen sind, nicht zuletzt auch das Dauerthema Überkapazitäten und Konsolidierungserfordernisse in Europa.

Branche steckt in gnadenloser
Zukunftsverweigerung fest

Dabei verfügte allein die Europäische Union noch Mitte der 1990er-Jahre über rund zwei Dutzend größere Stahlunternehmen. Heute sind es je nach Definition von "Größe" noch gerade einmal sechs oder sieben - dank zumindest vordergründig massiver, letztlich allerdings bloß rechtlicher Konsolidierung.

Eine echte Strukturbereinigung mit nennenswerten Produktionsrücknahmen sowie einer gezielten Fokussierung auf zukunftsorientierte Produkte blieb aus, und viele schon damals nicht mehr rentable Werke liefen, gleichsam geschützt durch die Anonymität einer neuen, größeren Gruppe, weiter. Man war ja schließlich, und ist es leider vielfach immer noch, stolz auf die Erzeugung möglichst vieler Millionen Tonnen - ein Denken mit gleichermaßen großer Tradition wie gnadenloser Zukunftsverweigerung.


Vor diesem Hintergrund kann es wenig überraschen, dass unverändert die Produktion von Massenstahl dominiert, der nicht erst seit heute wesentlich kostengünstiger überall anders als in Europa erzeugt werden kann. Und Europa hat nicht erst seit den chinesischen Billigstahlattacken mindestens 30, 40 oder 50 Millionen Tonnen zu viel an Stahlkapazität.

Wir sollten uns nichts vormachen, es geht in erster Linie um ein zutiefst hausgemachtes Thema, für das Politik und Unternehmen - wohl nicht zuletzt mangels Realitätssinn und Veränderungs­bereitschaft - seit vielen Jahren gleichermaßen verantwortlich sind. Na­türlich wird dieses Problem durch die ­Verwerfungen einer vielfach technische Machbarkeiten ignorierenden Klima- und Energiepolitik in Europa sowie die Dumpingstähle aus Billiglohnländern verschärft.

Stahlnachfrage in Europa
wird weiterhin sinken

Dennoch löst man mit Schutzzöllen, auch wenn sie in diesem Fall gerechtfertigt sind, und möglichen Entlastungen bei Energiepreisen und CO2-Emissionshandel das grundsätzliche Problem der längst überfälligen - echten - strukturellen Erneuerung der europäischen Stahlindustrie nicht. Und man löst es vor allem auch nicht durch offene oder verdeckte staatliche Eingriffe, sei es durch politischen und/oder gewerkschaftlichen Druck auf die Unternehmen oder durch mehr oder weniger verdeckte Subventionen - dies im Übrigen trotz EU-weiten Subventionsverbots als Lehre aus vergleichbaren Entwicklungen in den 1980er-Jahren.


Man löst es nur durch einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel: Das heißt weg vom traditionellen Stehsatz "Je mehr Tonnen, desto kostengünstiger und damit zukunftssicherer" hin zu einem Leitmotiv, das nur heißen kann "Je innovativer, desto zukunftssicherer". In einem weltweit immer herausfordernder werdenden Umfeld für Unternehmen und ihre Produkte kann die Zukunft auf lange Sicht niemals in der Menge, sondern nur in der Qualität liegen; populärer ausgedrückt muss es heißen: "Klasse statt Masse". Dies erst recht in einer Wirtschaftsregion wie Europa, die sich im globalen Wettbewerb weniger als jede andere über besonders günstige Kosten differenzieren kann.

Über eines sollte man sich in diesem Zusammenhang im Übrigen ebenfalls im Klaren sein: Europa wird nie wieder so viel Stahl brauchen wie in den vergangenen Jahrzehnten. Dazu fehlen zum einen mangels budgetärer Möglichkeiten in vielen Ländern auf Jahre hinaus einfach ausreichende Infrastrukturgroßprojekte der öffentlichen Hand, und zum anderen sorgen Leichtbau und Konkurrenzwerkstoffe in anderen Kundenbranchen für permanenten Mengendruck.

Noch ein Wort zu den in diesem Zusammenhang immer wieder ins Feld ­geführten negativen sozialen Aspekten von Strukturmaßnahmen: Man kann sie hinauszögern, am Ende des Tages kommt man aber nicht um sie herum. Und da ist es zweifellos sinnvoller und für die Betroffenen fairer, sie zu einem Zeitpunkt durchzuführen, zu dem ein Unternehmen noch die finanzielle und organisatorische Kraft hat, seinen Mitarbeitern Unterstützung für eine berufliche Neuorientierung zu geben, und nicht erst, wenn auch die letzten Reserven über Verluste aufgezehrt sind; dies letztlich vielleicht auch in der Erwartung, dass diese Rolle dann ohnehin die öffentliche Hand übernimmt, was sich dort wiederum wohl nicht besonders motivierend auswirken wird.

Technische Grenzen des
Werkstoffs nicht ausgereizt

Was in diesem überwiegend haus­gemachten Krisenkontext aber inzwischen völlig untergegangen ist, ist die Tatsache, dass der weltweit wichtigste Werkstoff, Stahl, an sich gar kein Pro­blemfall ist, sondern vielmehr im Gegensatz zu teilweise viel jüngeren Konkurrenzmaterialien immer noch ein unglaublich hohes Zukunftspotenzial besitzt. Seine technischen Grenzen sind auch nach Jahrhunderten der Entwicklung noch lange nicht ausgereizt. Es kann daher künftig nur darum gehen, dieses Potenzial unternehmerisch und technologisch intelligent und konsequent zu heben, anstatt in Traditionen zu schwelgen und Konzepte der Vergangenheit zu verteidigen.

Kurzvita

Wolfgang Eder,
Vorstandschef der Voestalpine AG
Nach Jurastudium und Gerichtspraxis begann Eder 1978 als Mit­arbeiter der Rechts­abteilung im Konzern. Im Zuge einer grund­legenden Neustrukturierung des Unter­nehmens wurde er nach erfolgreicher Koordination des Börsengangs 1995 in den ­Vorstand berufen; seit dem 1. April 2004 leitet er den Konzern.
Die Voestalpine-Gruppe ist ein stahlbasierter Technologie- und ­Industriegüterkonzern und in mehr als 50  Ländern auf allen fünf Kontinenten ­vertreten.

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Bildquellen: Voestalpine AG, voestalpine/Markus Nitsche

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