Euro am Sonntag-Meinung

Sechs Tipps für die Finanz-Lektüre: So lesen Sie richtig!

15.01.17 03:00 Uhr

Sechs Tipps für die Finanz-Lektüre: So lesen Sie richtig! | finanzen.net

Ein aktueller und umfassender Überblick wirtschaftlicher und politischer Entwicklungen ist erfolgsentscheidend. Sechs Tipps für die richtige Lektüre von Finanz-Nachrichten.

von Robert J. Martorana, Gastautor von Euro am Sonntag

Die stetige Flut an Nachrichten, eine zunehmende Sensationslust und teils einseitige Berichterstattung machen es immer schwerer, schnell und effizient Nachricht von Werbebotschaft und Analyse von Vermutung zu trennen. Daher haben Portfoliomanager und Mitglieder des CFA Institute folgende Tipps zusammengestellt, die Investoren helfen, die richtigen Entscheidungen bei der Kapitalanlage zu treffen.



1. Nicht in der Rückschau bleiben: Recherchen und Analysen sind größtenteils rückblickend, nicht vorausschauend. Sich in detaillierten Finanzinformationen zu verlieren, mag produktiv erscheinen, doch vieles davon trägt nur bedingt zu besseren Ergebnissen bei.
2. Dissens suchen: Solche Nachrichten und Analysen zu lesen, die der eigenen Einschätzung nah sind, ist genauso verlockend wie riskant: Gerade in der heutigen Zeit liefert Ihnen das Internet für jede beliebige Ansicht mögliche Quellen, die derselben Meinung sind. Für Anlageentscheidungen kann dieser "confirmation bias" fatal sein. Wenn Sie also zu einer Einschätzung tendieren, suchen Sie gezielt nach Gegenargumenten. Mag sein, dass Sie dennoch bei Ihrem Urteil bleiben, im besten Fall eröffnet Ihnen die Suche nach dem Dissens aber neue Perspektiven.
3. Notizen machen: Schreiben Sie während der Lektüre Anmerkungen an den Rand oder - noch besser - fassen Sie eine bestimmte Investmenttheorie oder aktuelle Sachlage in eigenen Worten zusammen. Das zwingt Sie dazu, die Gedanken zu sortieren, verbessert aber auch das Verständnis.
4. Daten beachten: Eine starke Story oder Interpretation mag sich gut lesen, aber sie kann irreführend sein. Charts, Tabellen und Zahlen sind ein guter Ausgangspunkt für Unternehmensbewertungen und ein Verständnis der ökonomischen Lage. Gehen Sie wann immer möglich zur Primärquelle zurück, um missverständlichen oder unvollständigen Wiedergaben auszuweichen.
5. Beobachten, nicht beeinflussen: Lassen Sie sich nicht von einer politischen Agenda beeinflussen - weder der des Autors noch Ihrer eigenen. Versuchen Sie, Ihre politischen und weltanschaulichen Ansichten auszuschalten, wenn Sie Finanznachrichten lesen und bewerten, um ein sachliches Urteil fällen zu können. Das heißt aber nicht, dass Sie Politik gänzlich ignorieren sollten. Politik gibt ein Stimmungsbild der Bevölkerung wieder, und politische Prozesse bestimmen die wirtschaftlichen (wenn auch verzögert).
6. Unkonventionelle Nachrichtenquellen ansteuern: Mit dem Präsidentschaftswahlkampf sind die tiefen Zerwürfnisse in der US-amerikanischen Gesellschaft allgemein bekannt geworden. Auf einschlägigen Nachrichtenseiten und Blogs hat sich dies allerdings schon deutlich früher abgezeichnet. Diese Quellen haben zwar ihre eigene Agenda, aber mit dem richtigen Filter gelesen, können sie auf aufkommende Konflikte und Kontroversen hinweisen.

Besonders spannend sind auch inhaltliche Kehrtwenden einzelner Medien. Als etwa das traditionell wirtschaftsliberale "Wall Street Journal" erstmals über das Einkommensgefälle in den USA berichtete, folgte bald darauf eine große gesellschaftliche Diskussion um den Mindestlohn und etwas später dann verstärkter Margendruck bei manchen Einzelhändlern und Gastgewerben.


Kurzvita

Robert J. Martorana, Gründer der
Vermögensberatung Right Blend Investing

Der Autor ist Mitglied des CFA Institute, einem weltweiten Finanzverband mit über 137 000 Mitgliedern. Das CFA Institute setzt sich für einheitliche und vergleichbare Systeme zur Finanzberichterstattung und Offenlegung von Risiken sowie für eine Harmonisierung der Corporate-Governance- Standards für Unternehmen ein.

Bildquellen: Rolf Handke / pixelio.de, Right Blend Investing LLC