Hillary Clinton: Wo bleibt der Draht zum Wähler?
Die 68-Jährige wird diese Woche als Präsidentschaftskandidatin der Demokraten nominiert. Sollte sie über ihren Konkurrenten Donald Trump triumphieren, dürfte die US-Wirtschaft davon profitieren.
von Julia Gross, Euro am Sonntag
Acht Jahre ist es her, dass Hillary Clinton in einem bitteren Moment eine ihrer besten Reden hielt: Als im Juni 2008 feststand, dass statt ihrer Barack Obama der Präsidentschaftskandidat der Demokraten werden würde, gestand sie ihre Niederlage ein und rief zu seiner Unterstützung auf. Sie sprach aber auch von der "höchsten und härtesten gläsernen Decke", die sie als Frau in der von Männern dominierten US-Politikszene zu diesem Zeitpunkt zwar nicht überwinden konnte, die durch die Stimmen ihrer Unterstützer aber "18 Millionen Sprünge" bekommen habe.
Dass Hillary Clinton 2016 nun ausgerechnet an dem Tag, an dem sie die nötigen Stimmen zur Nominierung auf sich vereint hatte, einen Wahlkampfauftritt in einem riesigen Gewächshaus in Brooklyn absolvierte, hätten sich ihre PR-Strategen gar nicht besser ausdenken können. "Machen Sie sich keine Sorgen", scherzte die bestens gelaunte Hillary mit Blick auf das Glasdach, "wir zerschmettern nichts hier."
Unberechenbare Wähler
Zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten tritt eine Frau im Kampf um das Amt des US-Präsidenten an. Doch nicht nur deshalb ist die Kür des mächtigsten Staatsoberhaupts der Welt im kommenden November ein besonders denkwürdiges Ereignis. Nie zuvor haben sich die amerikanischen Wähler so extremen Positionen angeschlossen und so überraschend agiert wie in diesem Jahr. Der Erfolg des exzentrischen Immobilienmagnaten Donald Trump und des - für US-Verhältnisse radikal - linken Bernie Sanders macht deutlich, dass die Amerikaner extrem unzufrieden sind und sich nach Neuem sehnen. Mehrere Umfragen von Mitte Juni zeigen einen Vorsprung von nur ein bis drei Prozentpunkten für Hillary Clinton gegenüber Donald Trump. Clinton konnte innerparteiliche Barrieren überwinden und eine breite Anhängerschaft unter den Wählern gewinnen - das Präsidentenamt hat sie jedoch noch lange nicht in der Tasche.Während aus deutscher Sicht völlig klar zu sein scheint, dass Clinton in jeder Hinsicht Trump vorzuziehen ist, sind die Amerikaner in dieser Frage zutiefst gespalten. Es gibt mehr Menschen, die Donald Trump wählen würden, nur damit Clinton nicht Präsidentin wird, als Menschen, die Donald Trump wählen würden, weil sie mit seinen Ansichten übereinstimmen. Das Gleiche gilt umgekehrt. In Beliebtheitsrankings liegen die zwei Politiker beinahe gleichauf - beide sind überraschend unpopulär.
Für Clinton ist das ein Problem. Viele Kritikpunkte ihrer Gegner sind gut begründet, wie etwa ihre Zustimmung zum Irak-Krieg, ihre Rolle beim Terrorangriff auf die US-Botschaft im libyschen Bengasi oder die Verwicklung des Ehepaars Clinton in undurchschaubare Immobilieninvestments während der 70er- und 80er-Jahre. Andere Vorwürfe sind eher absurd, bleiben aber hartnäckig an ihr hängen. Zum Beispiel, dass sie nur aufgrund ihres Mannes in der Politik so weit kommen konnte.
Wer einen Blick auf Hillarys Lebenslauf wirft, dem wird schnell klar, dass es eher umgekehrt war: Sie war eine herausragende und politisch engagierte Studentin, wurde mehrfach unter die 100 besten Anwälte des Landes gewählt und arbeitete in mehreren hochrangigen Regierungsausschüssen mit, noch bevor Bill Clinton überhaupt Gouverneur von Arkansas wurde. Zuletzt hieß es dann sogar, Hillary sei nicht qualifiziert dafür, Präsidentin zu werden. Dabei bringt sie mit acht Jahren als Senatorin und vier Jahren als Außenministerin mehr politisches Gewicht auf die Bühne als jeder ihrer Kontrahenten.
Konkrete Pläne statt Parolen
Tatsächlich gilt die 68-Jährige als detailversessene Expertin auf vielen Fachgebieten, allen voran für das US-Gesundheitssystem. Ein einziger Tweet darüber, dass sie als Präsidentin Wucherpreise bei Arzneimitteln bekämpfen würde, schickte im vergangenen Herbst die Preise von Biotechaktien auf Talfahrt. Inzwischen sieht die Gesundheitsbranche nicht mehr ganz so schwarz, ist Clinton doch auch als glühende Verfechterin medizinischer Forschung bekannt. Unter anderem stimmt ihr Sechs-Punkte-Plan für eine Alzheimer-Initiative, die sie mit zwei Milliarden Dollar fördern will, Pharmasektor und Forschungseinrichtungen positiv.Dabei ist es typisch für Clinton, dass sie Konzepte vorlegt, wo ihre Konkurrenten nur immer dieselben plakativen Slogans wiederholen. So plant die Präsidentschaftskandidatin die größte Erhöhung bei Infrastrukturausgaben seit 1954, als der Bau des amerikanischen Autobahnnetzes angestoßen wurde. Sie will mehr Breitband-Internetzugänge. Sie will erneuerbare Energien fördern, Flughäfen sanieren und Regionen gegen durch den Klimawandel bedingte Schäden wie Überschwemmungen sichern. Maßnahmen, von denen auch Anleger profitieren dürften. Die Demokratin will zudem die Produktion innerhalb der USA stärken und mehrere Freihandelsabkommen neu gestalten.
Vom Konkurrenten Trump sind außer seiner verrückten Idee, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bauen, um die illegale Einwanderung zu stoppen, kaum konkrete Pläne bekannt. Er bleibt schwer einschätzbar für die Kapitalmärkte, seine Äußerungen gegen die Globalisierung lassen nichts Gutes für die internationalen Handelsbeziehungen vermuten. "Er redet den Menschen nach dem Mund. Das schafft Unsicherheit, was Gift für Investoren ist", urteilt Martin Hüfner, Chefvolkswirt der Vermögensverwaltung Assenagon.
Experten loben dagegen Hillary Clintons Entwurf für eine Wall-Street-Reform, laut Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman der am weitesten reichende Reformvorschlag überhaupt. Mit dem Maßnahmenpaket distanziert sich Clinton deutlich von dem Eindruck zu großer Nähe zur Finanzbranche, der durch ihre hoch dotierten Vorträge bei Investmentbanken entstanden war.
Gleichzeitig beweist sie jedoch Augenmaß und Realitätssinn. Zum Plan gehören eine Steuer auf Hochfrequenztrading und eine abgestufte Risikoabgabe, die große Banken zahlen müssten. Je mehr Schulden eine Bank hat und je riskanter diese Verbindlichkeiten strukturiert sind, desto höher würde die Abgabe ausfallen. Die Gebühr soll Banken, deren Schieflage aufgrund ihrer Größe Konsequenzen für das gesamte Finanzsystem hätte, zu einem vorsichtigeren Umgang mit Risiken bewegen.
Ein Kolumnist des liberalen Nachrichtenportals Vox bescheinigt Clinton für diese Idee eine fachliche Glanzleistung. Doch der Mechanismus der Risikoabgabe lässt sich schlecht in einen 15-Sekunden-Werbespot pressen, ganz im Gegensatz zu Sanders’ "Zerschlagt die Banken" oder Trumps Parolen gegen den Welthandel. Und so liegt der Fokus der Öffentlichkeit eben weniger auf den Inhalten, für die Hillary Clinton steht, als auf ihrer Persönlichkeit.
Verhasstes Establishment
Warum sie es nicht schafft, auch nur annähernd die gleichen Sympathien zu erringen wie ihr Mann oder gar Barack Obama, ja warum sie in dieser Hinsicht selbst dem verschroben wirkenden Bernie Sanders unterlegen ist, diskutieren US-Medien seit Langem. In Umfragen wird das Problem oft darauf zurückgeführt, dass sie schon so lange Teil des Washingtoner Establishments ist, eines abgehobenen Zirkels reicher Politiker, die in einer Blase fernab der Realität leben. Doch bei näherer Betrachtung zieht dieses Argument nicht: Auch alle anderen Präsidentschaftskandidaten außer Donald Trump zählten zu diesem Kreis, und Trump ist als millionen- oder gar milliardenschwerer Unternehmer ebenfalls Teil einer elitären Gruppe.So scheint Clintons Image hauptsächlich davon überschattet zu werden, dass sie tatsächlich US-Präsidentin sein will und seit Langem darauf hinarbeitet. Die Amerikaner mögen ganz offenbar ihre Fixiertheit auf die Karriere nicht, sie ist zu sehr Workaholic, zu professionell, zu perfekt, kurz: eine Streberin. Man hält sie für eine Politik-Maschine, für jemanden, der nach außen hin ständig eine Rolle spielt und die Menschen nie hinter die Fassade blicken lässt.
Gerade in Zeiten, in denen kurze Clips oder Statements, die über die sozialen Medien verbreitet werden, ein immer größeres Gewicht bei der Meinungsbildung bekommen, ist dieser scheinbare Mangel an Persönlichkeit nur schwer wettzumachen. Es ist nicht so, dass Clintons Wahlkampfstrategen es nicht versucht haben. Enge Mitarbeiter beschreiben sie immer wieder als warmherzig und fürsorglich, es vergeht kaum ein Auftritt, bei dem Hillary nicht über ihre Enkelin Charlotte spricht. Sie redet freimütig über ihr Laster, stundenlang TV-Serien zu gucken. Sie ist - wenn auch viel seltener als Präsident Obama - in Late-Night- und Satiresendungen aufgetreten und war dabei sogar lustig.
Tatsächlich war Clinton während ihrer Zeit als Außenministerin sehr beliebt, als Senatorin wurde sie nach ihrer ersten Amtszeit mit großem Abstand - 67 Prozent der Stimmen versus 31 Prozent für ihren Herausforderer John Spencer - wiedergewählt. Der Absturz ihrer Popularitätswerte fällt ziemlich genau mit der Verkündung ihrer Präsidentschaftskandidatur im April vergangenen Jahres zusammen. Sollte sie weiterhin keinen richtigen Draht zu den Wählern finden, muss sie darauf hoffen, dass ihr Gegner Trump nicht plötzlich den großen, kompetenten Staatsmann herauskehrt. Denn solange sie seine teilweise wahnwitzigen und meistens auch faktisch falschen Aussagen angreifen kann, ist sie eine alternativlose Kandidatin für halbwegs verantwortungsvolle Wähler.
Möglich, dass die Amerikaner dann wieder mehr Gefallen an ihren streberhaften Wesenszügen finden. Die "Los Angeles Times" ist sich in ihrer Wahlempfehlung zumindest sicher: "Eine Präsidentschaft von Hillary Clinton wäre zwar weit weniger schillernd als die ihrer Konkurrenten, aber sie wäre aller Wahrscheinlichkeit nach auch wesentlich effektiver darin, Veränderungen tatsächlich umzusetzen."
Kurzvita
Hillary Clinton
Die Tochter eines Textilunternehmers aus Chicago war bis Ende der 60er-Jahre Anhängerin der konservativen Republikaner. Der Vietnamkrieg und die Bürgerrechtsbewegung führten dazu, dass die Politik- und Jurastudentin das politische Lager wechselte. 1971 kam sie mit ihrem Kommilitonen Bill Clinton zusammen. Hillary galt als eine der besten und einflussreichsten Anwältinnen der USA, als ihr Mann 1993 US- Präsident wurde. Von 2000 bis 2008 saß sie im amerikanischen Senat, von 2009 bis 2013 war sie Außenministerin in der Regierung von Barack Obama.Weitere News
Bildquellen: chrisdorney / Shutterstock.com, Steve Sands/WireImage