Handelskrieg auf dünnem Eis
Mit seinem Beschluss, Strafzölle auf die Einfuhr von bestimmten Waren in die USA zu erheben, hat Präsident Trump einen Handelskrieg vom Zaun gebrochen, der der Wirtschaft in den USA und weltweit schaden kann.
von Benjardin Gärtner, €uro am Sonntag
Die von den USA eingeführten Zölle auf Stahl und Aluminium waren nur der Auftakt. Mittlerweile scheint der Handelskonflikt zwischen den Vereinigten Staaten auf der einen Seite und dem Rest der Welt auf der anderen Seite zu eskalieren. Aktuell untersucht das zuständige US-Ministerium 1300 Produktlinien aus China - überwiegend aus dem Tech-Segment - und will zeitnah verkünden, welche Güter künftig mit welchen Strafzöllen belegt werden sollen. Dass Peking unverzüglich reagierte und ebenfalls Importe aus den USA einschränken will, ist nicht überraschend. Es ist die übliche Entwicklung in einem Handelskrieg.
Zwei Dinge sind wichtig. Zum einen haben die Vereinigten Staaten die Europäische Union sowie einige andere Staaten vorerst von den Strafzöllen ausgenommen. Das ist ein gutes Zeichen. Da US-Präsident Donald Trump in seiner Außen- und Handelspolitik als wenig berechenbar aufgefallen ist, heißt das aber auch: Er hält die Drohkulisse aufrecht. Zweitens reden wir hier - noch - von relativ kleinen Bereichen, vor allem wenn man die Stahl- und Aluminiumeinfuhren betrachtet. Die USA importieren im Jahr Stahl im Gegenwert von rund 30 Milliarden US-Dollar. Die betroffenen chinesischen Produkte machen in Summe rund 60 Milliarden US-Dollar oder 0,1 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts aus. Das ist keine Lappalie, aber auch nicht die Welt. Man tritt Peking nicht zu nahe, wenn man sagt: Die Wirtschaft im Land des Lächelns wird das verkraften.
Strafzölle unter Präsident Bush
kosteten 200 000 Arbeitsplätze
Für die Märkte sind daher andere Fragen drängender: Wie weit wird die Schraube der Eskalation gedreht? Und wie lange bleiben die Handelsbarrieren bestehen? Viele haben noch die Zölle auf Stahl und Aluminium im Kopf, die George W. Bush im Jahr 2002 erhoben hatte - mit mäßigem Erfolg. Während in der US-Stahlindustrie kaum Arbeitsplätze geschaffen wurden, gingen andere Branchen wegen der Preissteigerungen in die Knie. Unter dem Strich kostete die Aktion in den USA 200 000 Arbeitsplätze, 18 Monate nach ihrer Einführung wurden die Zölle wieder abgeschafft.
Es ist eine Binsenweisheit, doch das schmälert ihren Wahrheitsgehalt nicht: Ein Handelskrieg kennt keine Gewinner. Wenn sich die großen Wirtschaftsräume gegenseitig gen Protektionismus aufschaukeln, dann wird es schnell hässlich. Dass China und die EU bereits Vergeltungsmaßnahmen vorbereiten, dient zwar vielen als Genugtuung, sollte aber trotzdem beunruhigen. Die Europäer haben Whiskey, Motorräder und Erdnussbutter im Fokus. Nicht unbedingt die klassischen Exportschlager der USA, aber Produkte mit hoher Bedeutung für die ländliche US-Bevölkerung im Allgemeinen und die Republikaner unter ihnen im Besonderen.
Als Aktieninvestor sollte man die Entwicklung mit Argwohn betrachten. Denn gerade die großen Unternehmen profitieren vom Freihandel. Das gilt für deutsche Automobile im Übrigen kein Stück weniger als für Informationstechnologie aus den Vereinigten Staaten. Und es ist keinesfalls so, als ob die Handelspartner sich nicht zu wehren wüssten. Denn bei aller Unwucht in der Leistungsbilanz: Die USA produzieren Exportgüter von Weltrang, die über den volkswirtschaftlichen Wert von Erdnussbutter hinausgehen. Umso dramatischer kann sich eine Zuspitzung auswirken.
Ein ausgewachsener Handelskrieg bringt die Gefahr mit sich, sogar eine Wirtschaftsmacht wie die USA in die Rezession zu stürzen. Denn die Zölle machen die Waren teurer, die Zinsen steigen und die wirtschaftliche Dynamik ebbt ab. Vor diesem Hintergrund sind im Falle der Eskalation zyklische Aktien mit Vorsicht zu genießen - insbesondere dann, wenn die dahinterstehenden Unternehmen global aufgestellt und ihre Güter in den internationalen Märkten mit Strafzöllen belegt sind.
Defensiv und lokal lautet das Gebot der Stunde. Eigenschaften, die beispielsweise auf Telekommunikationswerte zutreffen können oder auf Versorger, die allerdings in Zeiten steigender Zinsen ihre eigenen Probleme mit sich bringen. Bei allen Konsumgütern gilt es, die großen Player auf den jeweils heimischen Märkten im Blick zu behalten. Und wer partout auf Stahlhersteller setzen will, sollte sich Adressen heraussuchen, die Werke in den USA unterhalten - die US-Stahlindustrie dürfte nämlich zumindest kurzfristig zu den einzigen echten Gewinnern der Situation gehören.
Auf einer kleineren Ebene gilt es, die einzelnen Branchen sehr genau zu analysieren, um einen Überblick über die tatsächlichen Schäden einer Handelsbarriere zu bekommen. Das läuft nicht immer so glimpflich ab wie im Falle des Stahls. Etwa ein Viertel der deutschen Exporte in die USA entfallen beispielsweise auf die Automobilindustrie. Es wundert daher wenig, dass Trump die deutsche Paradebranche bereits in den Kreis der zu Ächtenden aufgenommen hat.
Auch hier fördert ein genauerer Blick erstaunliche Details zutage. Denn die deutschen Hersteller produzieren auch in erheblicher Menge in den USA. So verschiffen Daimler, BMW & Co nicht nur 555 000 Pkw aus Deutschland nach Amerika, sondern produzieren auch weitere 854 000 Einheiten direkt in den USA. Mehr als die Hälfte dieser Wagen wird wiederum aus den Vereinigten Staaten ins Ausland exportiert - und verringert damit das US-Handelsdefizit. Je teurer die Stahlversorgung und komplizierter die Zulieferung von Einzelteilen aus internationalen Fabriken, umso weniger sinnvoll dürfte langfristig die Produktion in den US-Werken aus deutscher Sicht sein. Paradoxerweise könnte damit sogar ein Anstieg der amerikanischen Fahrzeugimporte aus Deutschland ein mögliches Resultat des verschärften Protektionismus sein.
Hauchdünnes Eis also, auf dem der Handelskrieg ausgefochten wird. Die Gefahr ist groß, dass alle Beteiligten einbrechen. Gewissheiten sind zwar rar, doch zwei gibt es: Zum einen sitzen die USA mit mehr als 300 Millionen konsumstarken Einwohnern an einem sehr langen Hebel. Auf deren Kaufkraft möchte kein Unternehmen mit globalem Anspruch verzichten. Und zum anderen darf man in diesem Zusammenhang die Verhandlungsmacht der Eurozone nicht kleinreden. Denn für die gilt das Gleiche, denn hier leben 500 Millionen Menschen - von China mit fast 1,4 Milliarden Einwohnern ganz zu schweigen. Andere Wirtschaftsräume haben diese Lobby nicht und sitzen im Falle einer Eskalation ziemlich allein am Verhandlungstisch. Es lässt sich nicht ausschließen, dass in diesem Zusammenhang der Brexit für die britische Wirtschaft doppelt bitter wird.
Benjardin Gärtner
Leiter des Portfoliomanagement Aktien bei Union Investment
Der gelernte Bank- und Diplomkaufmann Gärtner ist eines von sechs stimmberechtigten Mitgliedern des "Union Investment Committee", das die Kapitalmarktstrategie von Union Investment formuliert. Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken und mit aktuell rund 320 Milliarden Euro verwaltetem Vermögen einer der größten deutschen Vermögensverwalter für private und institutionelle Anleger.
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Bildquellen: Union Investment, Hapag-Lloyd