Geldpolitik: Kommt die nächste Krise?
Die Staatsverschuldung insbesondere in den Industriestaaten steigt rasant, alte Schulden werden nur mit neuen bekämpft. Sparer und Anleger sollten angesichts der Niedrigzinsen auf ausgewählte, dividendenstarke Aktien setzen.
von Marco Herrmann, Gastautor für €uro am Sonntag
Zehn Jahre nach der großen Finanzkrise der Jahre 2008/2009 hat sich das weltweit niedrige Zinsumfeld dauerhaft verfestigt. In Japan, dem Niedrigzinspionier, pendeln die Zinsen seit vielen Jahren um die Null-Prozent-Marke. Daran wird sich auch nichts ändern (können), da hier mittlerweile wesentliche Teile des Staatshaushalts durch die Notenbank finanziert werden. Die USA wagten seit 2016 mit insgesamt neun Zinserhöhungen den Versuch einer Normalisierung. Doch Präsident Donald Trump und die nachlassende Konjunktur pochen mit Vehemenz auf eine Rückabwicklung dieses Experiments. Um dem Nachdruck zu verleihen, besetzt Trump das Direktorium der Fed, der wichtigsten Notenbank der Welt, zunehmend mit Personen, die ihm und seinen geldpolitischen Wünschen gewogen sind.
Aber auch in Europa schreitet die "Politisierung" der einst unabhängigen EZB mit der Nominierung von Christine Lagarde als künftige Chefin weiter voran. Und selbst der scheidende EZB-Chef Mario Draghi wird aktuell nicht müde, die unerschöpfliche Vielfalt des EZB-Instrumentariums zu kommunizieren. Nicht verwunderlich, dass deutsche zehnjährige Bundesanleihen deutlich negativ rentieren und die hoch verschuldeten Südländer sich so günstig wie nie zuvor refinanzieren können. Alles deutet auf eine dauerhaft laxe Geldpolitik hin.
Viele Immobilienmärkte entwickeln Preisblasen
Handelskonflikte, geopolitische Unsicherheiten und Strukturbrüche in einigen Branchen haben ihre Spuren beim Wachstum des Jahres 2019 hinterlassen. Aktuell jagt eine Gewinnwarnung die nächste. Die Angst, dass sich dieser Trend verfestigt, dürfte daher in der Politik und bei den Notenbanken entsprechend groß sein. Deswegen gibt es derzeit so viele Hinweise seitens der Währungshüter auf Zinssenkungen und andere Maßnahmen, um der Konjunktur unter die Arme zu greifen.
Auch fiskalpolitisch könnte sich bald etwas tun. Schließlich hat sich das Rezept, Schulden mit noch mehr Schulden zu begegnen, seit der Finanzmarktkrise aus politischer Sicht gut bewährt. Allerdings sind die Staatsschulden der meisten westlichen Volkswirtschaften in absoluten Zahlen geradezu explodiert. Allein in den USA haben sie sich mehr als verdoppelt, in China mehr als verdreifacht und in der Eurozone sind sie um gut 60 Prozent gestiegen.
Relativ zum BIP sind die Schulden von 2007 bis 2018 in den USA jedoch "nur" von etwa 64 Prozent auf etwa 106 Prozent angestiegen; in China von 35 Prozent auf 50 Prozent und in der Eurozone von 65 Prozent auf 85 Prozent. Unterm Strich lässt sich also eine deutliche Ausweitung der weltweiten Staatsverschuldung in Relation zum BIP beobachten. Die positiven Auswirkungen der Niedrigzins-, Gelddruck- und Konjunkturprogramme auf die Realwirtschaft und somit auf den Wohlstand sind aber nicht von der Hand zu weisen.
Selbstverständlich gibt es auch negative Effekte. Vereinzelt ist die Bildung von Preisblasen an den Immobilienmärkten zu beobachten, die Altersversorgungssysteme werden ohne Zinsen geradezu ad absurdum geführt, die Geschäftsmodelle von Banken, Pensionskassen und Lebensversicherern müssen überdacht werden, und ein eigentlich gesunder Shake-out ungesunder Unternehmen aus dem weltweiten Wettbewerb findet angesichts derart günstiger Refinanzierungsbedingungen nicht statt, um nur einige zu nennen.
Noch höhere Strafzinsen und Aktienkäufe der Notenbanken
Im Krisenfall dürfte die bisherige geldpolitische Stoßrichtung trotzdem fortgesetzt werden - notfalls in noch viel extremerer Form: etwa mit deutlich höheren Strafzinsen, direkten Aktienkäufen durch die Notenbanken, neuen Langfristtendern und Geldscheinen mit Verfallsdatum. Eine lockere Geldpolitik dient zudem auch dazu, sich mit einer niedrig bewerteten Währung Vorteile im Welthandel zu verschaffen.
Das weitere Vorgehen der Notenbanken hat natürlich gewaltige Auswirkungen auf private Vermögen und deren künftige Kaufkraft. Wer nur auf Liquidität setzt, riskiert, über die nächsten Jahre schleichend inflatorisch enteignet zu werden. Aus heutiger Sicht ist in zehn Jahren die Kaufkraft einer heutigen Million Euro dann nur noch 800.000 Euro wert. Wer hingegen mit den richtigen Assetklassen auf langfristigen Wellen mitschwimmt, der wird die Kaufkraft seines Vermögens höchstwahrscheinlich nicht nur erhalten, sondern sogar mehren können.
Immobilieneigentümer könnten sich wachsendem politischem Gegenwind ausgesetzt sehen und zunehmend Gängelung sowie Deckelung ihrer Renditen durch die Politik erfahren. Für Zinssparer wird es noch sehr lange nichts zu holen geben. Und Investoren in Unternehmensanleihen müssen sehr selektiv vorgehen und ein wachsames Auge auf die Unternehmensbilanzen halten. Gold-Fans sehen sich bestätigt, da das Edelmetall bei fallenden Zinsen und Abwertungswettläufen wieder als Währungsersatz und Absicherung gegen Verwerfungen im Finanzsystem in den Fokus der Anleger rückt.
Stockpicking bei Aktien als Ausweg aus der Zinsfalle
Aktienanleger dürften allerdings am meisten profitieren, wenn sie die richtigen Titel im Depot haben. Angesichts sehr unterschiedlicher Gewinnentwicklungen und Herausforderungen in unterschiedlichen Branchen sollte man aber nur auf Aktien von Unternehmen mit stabilen Bilanzen und guten Zukunftsperspektiven setzen. Solche Werte könnten als Sachwert mit Ausschüttung in Form von Dividenden selbst in einem konjunkturell eingetrübten Umfeld eine Bewertungsausweitung in Form von Kurszuwächsen erleben - schlichtweg, weil es zunehmend an attraktiven Alternativen fehlen wird. Stockpicking ist also angesagt.
Wir bei Fiduka stehen weiteren geldpolitischen Maßnahmen und Experimenten zum jetzigen Zeitpunkt kritisch gegenüber, sind jedoch davon überzeugt, dass sie kommen werden. Und sie werden große Chancen für Anleger bringen, die in einem global diversifizierten Portfolio in bilanziell einwandfreie Unternehmen aus den richtigen Branchen investieren.
Kurzvita
Marco Herrmann
Chief Investment
Officer bei Fiduka
Der Autor ist seit 1992 als Investmentanalyst, Senior Portfoliomanager bzw. als Geschäftsführer für renommierte Banken und Fondsgesellschaften in Frankfurt, München, Düsseldorf und London tätig.
Die Fiduka wurde 1971 von den Börsenlegenden André Kostolany und Gottfried Heller gegründet. Sie verwaltet individuell und bankenunabhängig für Privatkunden, Firmen, Stiftungen und institutionelle Kunden Vermögen ab 250.000 Euro.
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Bildquellen: Thomas Niedermueller/FIDUKA Vermögensverwaltung