Deutschland in der Exportblase: Hausgemacht!
Die extrem hohen Handelsbilanz-Überschüsse Deutschlands sind auch ein kulturelles Phänomen. Und es bleibt die Frage, ob das Geld jemals wieder heimkommt.
von Karsten Junius, Gastautor von €uro am Sonntag
Der Besuch von Bundeskanzlerin Merkel bei US-Präsident Trump wurde erst mal von einem Schneesturm verhindert. Doch unabhängig davon, ging es dann beim wenige Tage später stattfindenden Treffen auch um die Handelsbeziehungen der beiden Länder. Der neue amerikanische Protektionismus hilft der Weltwirtschaft zwar kaum, aber die deutsche Obsession, Handelsbilanzüberschüsse zu erwirtschaften, auch nicht. Die deutschen Überschüsse werden immer stärker kreditfinanziert - ein Kriterium, mit dem sonst häufig Finanzmarktblasen identifiziert werden.
Finanzmarktübertreibungen sind etwas, demgegenüber deutsche Haushalte instinktiv wohl genauso abgeneigt sind wie Staatsdefiziten oder kreditfinanziertem Konsum. In nur wenigen Ländern dürfte es daher so populär sein wie in Deutschland, wenn der Finanzminister ankündigt, trotz hoher Einnahmen weder Ausgaben deutlich zu erhöhen noch die Steuern zu senken.
Es mag gute ökonomische Gründe für eine "schwarze Null" im Staatshaushalt und gegen kreditfinanzierten Konsum oder Wertpapierkäufe geben. In Deutschland kommen aber immer auch noch moralische oder kulturelle Gründe dazu. Überschüsse sind gut, Defizite sind schlecht. Dies ist bereits sprachlich so angelegt: Schuld und Schulden sind sich deutlich ähnlicher als im Englischen "guilt" und "debt". Entsprechend ist "Sparen" positiv belegt und zwar im normativen Sinn.
Sparen ist mehr als eine volkswirtschaftliche Größe oder die Differenz von Einnahmen und Ausgaben. Es signalisiert Konsumverzicht und ist eine Tugend. Entsprechend muss es - wenn nicht vom Staat sogar gefördert - dann doch vom Markt wenigstens entlohnt werden. Die von der EZB eingeführten negativen Einlagezinsen widersprechen daher allen deutschen Gerechtigkeitsinstinkten. Dass sie schnell mit dem normativen Begriff "Strafzinsen" gebrandmarkt wurden, ist nicht verwunderlich.
Genauso unverständlich erscheint vielen Deutschen die Kritik an ihrem Handelsbilanzüberschuss. Der Titel Exportweltmeister wird schließlich mit Stolz getragen. Dabei ist dieser Überschuss rein volkswirtschaftlich gesehen lediglich die Differenz von Sparen und Investitionen. Gefühlt ist er jedoch viel mehr, nämlich das Signal, international wettbewerbsfähig zu sein - ohne exzessive Lohnentwicklungen oder dem Müßiggang zu frönen. Mehr kann da eigentlich nicht schaden. Schließlich ist Deutschland eine alternde Gesellschaft, die irgendwann auf ihre Ersparnisse zurückgreifen möchte.
Inzwischen beträgt das deutsche Auslandsvermögen mehr als acht Billionen Euro - rund das 2,5-Fache des Bruttoinlandsprodukts. Und hier liegt die Schwierigkeit. Auslandsvermögen helfen nur bei der Bewältigung der demografischen Lasten, wenn sie sich wieder liquidieren lassen. Dazu müssten ausländische Schuldner aber einmal Exportüberschüsse erwirtschaften.
Im Zweifelsfall droht den
Sparern der Zahlungsausfall
Wie schwierig dies ist, musste Deutschland im Falle Griechenlands erfahren. Ohne flexiblen Wechselkurs zu den Haupthandelspartnern und Kreditnehmern wie die ähnlich sparsame Schweiz ist Deutschland darauf angewiesen, dass seine internationalen Gläubiger selbst zur "Tugend der Sparsamkeit" finden. Tun sie dies nicht, gibt es innerhalb einer Währungsunion keine marktwirtschaftlichen oder wirksamen institutionellen Mittel sie dazu zu zwingen. Im Zweifelsfall drohen Überschuldung und Zahlungsausfall.
Derzeit führt der deutsche Leistungsbilanzüberschuss von rund acht Prozent des BIP zu Kapitalexporten in ähnlicher Höhe. Ein immer größerer Anteil dieser Kapitalexporte wird inzwischen sogar über die Zentralbanken verrechnet. Die Erfolge der Exportwirtschaft sind ohne diese deutschen Kredite an das Ausland nicht denkbar oder nachhaltig. Finanziert Deutschland damit nicht eine Blase der eigenen Exportwirtschaft und exzessive Entwicklungen, die es kulturell selbst stark ablehnt?
Kurzvita
Karsten Junius
Chefökonom bei der Bank J. Safra Sarasin
Junius ist seit 2014 Chefvolkswirt bei
J. Safra Sarasin. Zuvor arbeitete er unter anderem beim Internationalen Währungs fonds in Washington D.C. sowie beim Institut für Weltwirtschaft.
Die der Nachhaltigkeit verpflichtete Bankengruppe J. Safra Sarasin ist an mehr als 25 Standorten in Europa, Asien, dem Mittleren Osten und Lateinamerika vertreten und verwaltet ein Kundenvermögen von rund
194 Milliarden US-Dollar.
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