Euro am Sonntag-Meinung

Brexit: Was London wirklich plant

19.02.17 15:00 Uhr

Brexit: Was London wirklich plant | finanzen.net

Die britische Regierung hat ihre Absichten zum EU-Austritt in einem Weißbuch vorgestellt. Wer genau liest, findet darin im Detail neue, bemerkenswerte Akzente.

von Bert Van Roosebeke, Gastautor von €uro am Sonntag

Das Anfang Februar von der britischen Regierung vorgelegte Weißbuch umreißt die Stra­tegie des Vereinigten Königreichs für die Austrittsverhandlungen mit der EU. Das Weißbuch bekräftigt und konkretisiert in weiten Teilen die Positionen, die Theresa May bereits in ihrer Rede am 17. Januar dargelegt hatte. Allerdings handelt es sich dabei um viel alten Wein in neuen Schläuchen. Dennoch sind im Detail an mehreren Stellen neue, zum Teil bemerkenswerte Akzen­te zu erkennen.

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So schwächt die britische Regierung in diesem Papier das zuvor erklärte Ziel ab, die Kontrolle über die Gesetz­gebung wiederzuerlangen. Nationale Gesetze können nicht umfassend vom EU-Recht abweichen, wenn der Handel mit der Union möglichst frei sein soll, so lautet die Erkenntnis nun. Der Europäische Gerichtshof soll zwar nicht länger die Gesetze im Vereinigten Königreich auslegen. An seine Stelle soll aber ein Mechanismus der Streitbeilegung mit der EU und eine justizielle Zusammenarbeit mit ihr treten dürfen. Wie verhindert werden kann, dass sich die Gesetzeslage im Vereinigten Königreich und in der EU mit der Zeit zunehmend unterscheiden, will die Regierung erst in einem späteren Weißbuch thema­tisieren.

Offenkundig ist sich die britische Regierung auch der potenziell negativen Auswirkungen einer Einschränkung der Freizügigkeit bewusst. Sie kündigt an, die Betroffenen in den fraglichen Sektoren umfassend konsultieren zu wollen, bevor sie die Freizügigkeit ­einschränkt.
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Den größtmöglichen Zugang zum EU-Binnenmarkt will die britische Regierung mit einem Zollabkommen erreichen. Sie betonte mehrfach, dass die britische Gesetzeslage mit EU-Recht im Einklang stehe und dass einzelne Teile der bestehenden Binnenmarktregeln daher einfach übernommen werden könnten. Weil das auch auf Norwegen und die Schweiz zutrifft, deren Assoziationsmodelle mit der EU Theresa May aber nicht übernehmen will, muss die Premierministerin damit rechnen, dass ihr Rosinenpickerei vorgeworfen wird nach dem Motto: Marktzugang ja, aber keine Freizügigkeit.

Ein weiterer bemerkenswerter Punkt: Die britische Regierung betont ihr besonderes Interesse an einem umfassenden Marktzugang in den Bereichen Finanzdienstleistungen, Energie, Transport und Telekommunikation. Sie weist explizit auf die Relevanz der europäischen Gesetzgebung hin und signalisiert, auch künftig die Äquivalenz mit diesen Regeln einhalten zu wollen.
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Darüber hinaus signalisiert die britische Regierung in ihrem Weißbuch aktive Vorbereitungen für den Abschluss von Handelsabkommen mit Drittstaaten. Dies ist aus britischer Sicht nachvollziehbar, könnte allerdings die Verhandlungen mit der Europäischen Union erschweren.

Realistische Basis für das
Verhältnis mit der EU

Fazit: Weiterhin zielt das Vereinigte ­Königreich auf eine weitreichende ­Handelsvereinbarung mit der EU, die eine eingeschränkte Freizügigkeit be­inhalten soll. Die britische Regierung weist erneut darauf hin, in Sachen Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit der EU zusammenarbeiten zu wollen. Das "Ukraine Plus"-Modell (siehe cep- Adhoc vom 24. Januar 2017) kristallisiert sich daher weiterhin als Ziel der ­britischen Verhandlungsstrategie he­raus.

Angesichts der handelspolitischen, fiskalischen und sicherheitspolitischen Interessen der EU könnte dies eine ­realistische Basis für das zukünftige Verhältnis zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union sein.

Kurzvita

Bert Van Roosebeke
Fachbereichsleiter cep | Centrum für Europäische Politik
Stiftung ­Ordnungspolitik
Der Diplomvolkswirt Bert van Roosebeke war wissenschaftlicher Mitarbeiter am DFG-Graduiertenkolleg Recht und Ökonomik der Universität Hamburg und Referendar bei der Deutschen Bundesbank, bevor er zum Freiburger cep wechselte.

Bildquellen: Samot / Shutterstock.com, Centrum für Europäische Politik