Auch bei Trump fehlt der große Wurf
26.02.17 03:00 Uhr
Der neue US-Präsident will "Amerika wieder großartig machen". Doch die weltgrößte Volkswirtschaft leidet seit Jahrzehnten unter strukturellen Defiziten.
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von Neil Dwane, Gastautor für €uro am Sonntag
Der neue US-Präsident hat seine politischen Schwerpunkte für die ersten 100 Tage im Amt klar definiert: Abschaffung von "Obamacare", Steuerreform, Infrastrukturmaßnahmen sowie ein höherer Verteidigungsetat, die Neuverhandlung von Handelsabkommen und ein hartes Durchgreifen bei der Einwanderungspolitik.
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Obgleich Donald Trump mit diesen öffentlichkeitswirksamen bzw. populistischen Initiativen Amerika wieder "great" machen will, ist eine nachhaltige Genesung der USA nur möglich, wenn er die langfristigen strukturellen Probleme anpackt und den amerikanischen Traum wieder beflügelt. Dafür wäre aber ein großer Wurf erforderlich, den Japan, Europa und die USA bisher versäumt haben - denn sie alle versuchen noch, sich von der globalen Finanzkrise zu erholen.
Wir zählen hier auf, wo strukturelle, strategische Reformen notwendig sind.
1. Bildung: Die USA haben bei höherer Bildung zu Recht einen sehr guten Ruf, allerdings ist Bildung katastrophal teuer geworden. Ein durchschnittlicher amerikanischer Student hat ein negatives Nettovermögen, und die durchschnittliche Höhe des Studentendarlehens eines Millennials beträgt 30 000 Dollar. Leider haben diese Darlehen nicht den Handlungsspielraum der Studenten vergrößert, sondern die Preissetzungsmacht der Bildungsträger. Langfristig ist dies eines der Hauptprobleme der USA.
Das aktuelle Geschäftsmodell der USA hat längst ausgedient
2. Gesundheitswesen: Die USA geben rund 17 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für das Gesundheitswesen aus, fast doppelt so viel wie andere OECD- Länder. Weder Obamacare noch die Änderungen im Gesundheitssystem, die Trump vorgeschlagen hat, befassen sich mit den Hauptproblemen: Viele Anbieter haben Gewinnspannen von über 20 Prozent; viele Patienten sehen den Rechnungsbetrag ihrer Behandlungen nicht, und viele Arzneimittel- und Dienstleistungskonzerne sind in unlautere Preisabsprachen verwickelt. Da die Gesellschaft der USA schnell altert, wird die Nachfrage nach Gesundheitsversorgung weiter ansteigen. Solange das Gesundheitswesen nicht effizienter wird, können die knappen Mittel nicht strategisch in anderen Wirtschaftsbereichen eingesetzt werden.Werbung
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3. Konsum und Handel: Es ist klar, warum dem Handel und insbesondere dem US-Handelsdefizit mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte, insbesondere wenn man bedenkt, dass andere Wachstumsmotoren der USA an Boden verlieren. Der Konsum stagniert bei etwa 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, und der Häusermarkt steckt bei etwa fünf Prozent fest. Dies führt dazu, dass sich Trump auf die Erhöhung der Exportraten konzentrieren muss; allerdings verrät die Wortwahl in seinen Tweets und politischen Vorschlägen eine merkantilistische Sichtweise - was im Endeffekt dazu führen könnte, dass der Handel nicht gefördert wird.
Das aktuelle US-Geschäftsmodell - ausgeben, leihen und dann noch mehr ausgeben - hat das Ende der Fahnenstange erreicht. Schließlich können die Konsumenten ihre Häuser nicht mehr als Geldautomaten nutzen, um langfristig angelegtes Kapital flüssig zu machen.
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4. Innovation: Die amerikanischen Ausgaben für Forschung und Entwicklung sind seit Jahrzehnten rückläufig. Die Explosion der sozialen Medien ist sicher innovativ, hat allerdings eher zu großem Reichtum anstatt zu großen Beschäftigungszuwächsen geführt: Facebook, nach Marktwert eines der größten Unternehmen der Welt, hat nur 13 000 Angestellte. Dies verschärft das Problem der ungleichen Verteilung des Wohlstands noch weiter, und es gibt berechtigte Zweifel daran, ob diese Hightechinnovationen tatsächlich zu Produktivitätszuwachs führen.
Die Regierung hat ihrerseits dazu beigetragen, dass Innovationen durch unnötige Regeln und Vorschriften über Jahre hinweg behindert wurden. Schätzungen zufolge belaufen sich die Kosten der Unternehmen für die Einhaltung staatlicher Vorgaben auf rund 60 Milliarden US-Dollar pro Jahr - ganz zu schweigen von den 400 Milliarden Dollar pro Jahr, die für die Einhaltung der Steuergesetze aufgewendet werden müssen. Inzwischen meldet China weltweit die meisten Patente an, und die dortigen Unternehmen sichern sich wichtige Schutzrechte aus den Bereichen Robotik, Automatisierung und anderen Hightechbereichen.
5. Staatliche Pensionsverpflichtungen: Gehütet von Lokalpolitikern, ist eine riesige und weitreichende Last unbemerkt stetig angewachsen. Zu Zeiten auskömmlicher Anlagerenditen haben die Politiker den Empfängern von Pensionen großzügige Pakete gewährt, die beispielsweise einen Inflationsausgleich enthielten und heutzutage praktisch unbezahlbar sind. Die ohnehin schon angespannte Budget- und Einnahmensituation der Städte und staatlichen Pensionsfonds zusammen mit sinkenden Anlageerträgen kontrastiert mit unrealistischen Renditeerwartungen.
20 Prozent der Einkommen sind bereits Transferleistungen
Wie im "alten Europa" werden die realen Kosten für Wohlstand und Renten durch ein umlagefinanziertes System verschleiert. Mit dieser Dynamik fertigzuwerden wird eine der anspruchsvollsten strategischen und generationenübergreifenden Herausforderungen der westlichen Welt sein. Zudem hat nur etwa die Hälfte der Vollzeitbeschäftigten in den USA überhaupt Anspruch auf eine betriebliche Altersvorsorge.6. Die Fed und die amerikanischen Banken: Trump hat den Einfluss der Federal Reserve berechtigterweise kritisiert und könnte schon bald in der Lage sein, die Zusammensetzung des Vorstands zu verändern. Mit so vielen ehemaligen Bankern in seiner Regierung wird er dennoch wohl kaum die Schieflage der US-Wirtschaft in Richtung Finanzsektor ändern. Seit den frühen 80er-Jahren ist der Anteil des Finanzsektors am Bruttoinlandsprodukt von sieben auf über 20 Prozent angestiegen, möglicherweise mit negativen Folgen: Eine IMF-Studie zeigt, dass ein überdimensionierter Finanzsektor das BIP um zwei Prozent pro Jahr sinken lässt.
Quantitative Lockerungen und andere geldpolitische Aktivitäten vermitteln den Eindruck, die amerikanische Geldpolitik habe in Zusammenarbeit mit der Finanzindustrie agiert, für die niedrigere Zinsen einen höheren Hebel und steigende Vermögenswerte bedeuten. Dieses Umfeld begünstigt große Kapitalgesellschaften gegenüber kleinen Hausbesitzern, die mit steigenden Hauspreisen, schärferen Kreditvergaberichtlinien und sogar untergedeckten Hypotheken konfrontiert werden.
7. Leistungsansprüche: Es ist bizarr, dass ausgerechnet Trump als Milliardär bei der Wahl einen derart großen Zuspruch von den Menschen aus der Arbeiterklasse, dem klassischen Wählermilieu der Demokraten, erhalten hat. Ungeachtet dessen ist die Einkommensungleichheit in den USA mittlerweile so groß, dass sich ein Sozialstaat nach europäischem Prinzip entwickelt, in dem Transferleistungen der Regierung 20 Prozent der Einkommen darstellen.
Darüber hinaus führen diese Transferzahlungen zu einer riesigen und ungedeckten Verbindlichkeit des Staates, die auf acht bis zehn Billionen US-Dollar geschätzt wird. Natürlich dürfen dabei auch die Staatsschulden in Höhe von 60 Billionen Dollar für medizinische Versorgung und "Medicaid" nicht vergessen werden, die in den kommenden Jahrzehnten fällig werden.
8. Politik aus der "Washington-Blase": Der Frust Amerikas über den Regierungsstillstand und die "Washington bubble" ist gewachsen. Dies führte zu getrübten Zustimmungswerten für den Kongress und zum wachsenden Verdacht, dass Interessengruppen und Lobbyisten mehr Einfluss auf die Politik haben als der Wähler. Trump hat versprochen, sich der festgefahrenen und nepotistischen Strukturen in der Verwaltung zu widmen, zum Beispiel durch längere Fristen für den Wechsel in die lukrativere Privatwirtschaft. Die Frage ist, ob dies innerhalb einer Legislaturperiode zu erreichen ist.
Ansprüche der Alten belasten die jüngeren Generationen
Wird das populistische Rezept des Präsidenten funktionieren? Für ein Land, das nicht nur die größte Wirtschaftsmacht ist, sondern auch eine der am meisten gefestigten Demokratien, sind die Herausforderungen sehr komplex und tief verwurzelt. Viele vor Trump haben versucht, sich dieser Probleme anzunehmen - mit unterschiedlichem Erfolg. Dennoch ist der aktuelle Status quo in den Köpfen von Trump und seiner Anhänger ein Versagen, das direkt darauf zurückzuführen ist, dass die Politiker damit beschäftigt waren, ihre eigenen Interessen zu verfolgen - und nicht die ihrer Wähler.Nun werden wir Zeuge einer neuen Politik, die die Ängste und Sorgen nicht nur in Trumps Amerika, sondern auch in Großbritannien und in anderen Ländern aufgreift. Ob diese populistischen politischen Aktionen nur zu einer kurzfristigen Belebung der Wirtschaft oder zu langfristiger Genesung führen, bleibt abzuwarten.
Einige von Trumps Vorschlägen könnten funktionieren, aber sie sind auf die kurze Frist angelegt. Wenn sich die Regierung und andere Institutionen nicht den dringend notwendigen langfristigen Strukturreformen zuwenden, wird das Wirtschaftswachstum gering bleiben, die Verschuldung steigen und das Zinsniveau noch länger niedrig bleiben. Die alternde Bevölkerung wird ihre Pensionsansprüche über Gebühr anwachsen lassen, während der Durchschnittsarbeitnehmer wenig Grund für Optimismus haben dürfte. Und das gilt über die Grenzen der USA hinaus.
Kurzvita
Neil Dwane
Global Strategist bei Allianz Global Investors
Dwane verantwortet die "Hausmeinung" von AllianzGI sowie die Erstellung von Research-Publikationen. Seine Laufbahn begann er 1988 als Analyst und später als Fondsmanager, im Jahr 2001 kam er als Head of UK and European Equity Management zu AllianzGI.
Allianz Global Investors ist ein breit aufgestellter aktiver Investmentmanager mit 25 Standorten weltweit. AllianzGI verwaltet global ein Vermögen von mehr als 481 Milliarden Euro für private und institutionelle Anleger.
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Bildquellen: Allianz Global Investors, Scott Eisen/Getty Images