Euro am Sonntag-Meinung

Attraktiv: Warum Europa auch jetzt lohnt

01.04.17 15:00 Uhr

Attraktiv: Warum Europa auch jetzt lohnt | finanzen.net

Vor 60 Jahren wurden die Römischen Verträge unterzeichnet und damit der Grundstein für die Europäische Union gelegt. Für Investoren bleibt die Region attraktiv.

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von Matthew Siddle, Gastautor von €uro am Sonntag

Als am 25. März 1957 Vertreter aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Italien, Luxemburg sowie Belgien in Rom zusammenkamen, um die sogenannten Römischen Verträge zu unterzeichnen, war nicht klar, ob die Idee der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) tragen würde. Heute - 60 Jahre nach Vertragsunterzeichnung und der Geburtsstunde der Europäischen Union - wird diese wirtschaftliche Erfolgsgeschichte sichtbar. So hat sich seit 1958 die Wirtschaftsleistung pro Kopf in den Gründungsländern real knapp vervierfacht. Der Wirtschaftsverbund ist mittlerweile auf 28 Mitglieder angewachsen. Insgesamt hat der Aufschwung in der Wirtschaft nicht nur in der EU, sondern in ganz Europa Tritt gefasst.



Die Arbeitslosigkeit sinkt, das Bruttoinlandsprodukt ist im letzten Jahr schneller gewachsen als in den USA, es werden wieder mehr Autos verkauft, und die Kreditvergabe sowie die Inflation ziehen an. Sowohl in den Kern- wie auch den Peripherieländern bewegen sich die Umfragen unter Einkaufsmanagern im Gleichschritt nach oben, wobei der Abstand zwischen Ersteren und Letzteren so gering ist wie seit Ausbruch der Finanzkrise nicht mehr.

Auch in den letzten 60 Jahren gab es politische Stürme in Europa. Allerdings waren die Herausforderungen selten so groß wie heute. Nach dem erfolgreichen Umschiffen der Klippen bei den Wahlen in den Niederlanden ist das nächste große politische Ereignis die Präsidentschaftswahl in Frankreich. Ein Sieg Marine Le Pens wäre zweifellos ein Schock. Tatsächlich aber würde einer Präsidentin ohne eigene Mehrheit im Parlament die direkte Macht fehlen, ihre Politik durchzusetzen. Die Gefahr wäre also beherrschbar, auch wenn die damit verbundene Unsicherheit immens wäre. Als große Herausforderung könnten sich die Brexit-Verhandlungen erweisen.


Derweil schaffen die brummende Wirtschaft und die fest tendierenden Leitindikatoren in Europa die Voraussetzungen für eine solide Erholung der Unternehmensgewinne. Sowohl absolut wie auch verglichen mit dem Rest der Welt haben die positiven Gewinnkorrekturen den höchsten Stand seit fünf Jahren erreicht und dabei auch erheblich an Breite gewonnen. Hieran wird deutlich, dass sich die Gewinne durch die Bank in allen Branchen erholen.

Zugleich erscheinen die Bewertungen im Vergleich mit den übrigen Regionen der Welt attraktiv. Zuletzt ist der KGV-Abschlag Europas gegenüber den USA auf 21 Prozent gestiegen: Europäische Aktien sind damit deutlich billiger als im langjährigen Durchschnitt. Gemessen am zyklisch bereinigten KGV waren Europa-Aktien verglichen mit den globalen Märkten selten günstiger. In der Summe weist das auf erhebliches Aufholpotenzial der Aktienmärkte in Europa hin.

Kursniveaus in Europa sind derzeit für Anleger attraktiv

Aber trotz dieser günstigen Rahmenbedingungen erscheinen aus Anlegersicht nicht alle konjunkturempfindlichen Bereiche attraktiv. Zyklische Aktien haben defensive inzwischen weit hinter sich gelassen und Bewertungsniveaus erreicht, die in der Vergangenheit nur übertroffen wurden, wenn die Wirtschaft die Rezession hinter sich ließ. Besonders anfällig für Kursrückschläge erscheinen mir Investitionsgüteraktien. Ihre Margen und Bewertungen haben Allzeithochs in einer Zeit erklommen, in der Handelshemmnisse und verschärfter Wettbewerb aus den Schwellenländern der Branche das Leben schwer machen könnten.

Hoffen lässt dagegen meines Erachtens die große Zahl von Technologiefirmen mit neuen Spitzenprodukten und Bewertungen, die Luft nach oben haben. Ein gutes Beispiel ist SAP. Gute Chancen bieten sich auch in der Gesundheitsbranche, der Anleger aus Angst vor einer Deckelung der Medikamentenpreise in den USA den Rücken gekehrt hatten. Dabei hätte das etwa Fresenius Medical Care gar nicht getroffen.

Gegenwärtig weisen die Leitindikatoren in Europa bei solidem Wachstum nach oben. Angesichts von Kursniveaus, die attraktiver sind als in vielen anderen Regionen, sehe ich auf dem alten Kontinent gute Anlagechancen für langfristig orientierte Anleger.

Kurzvita

Matthew Siddle
Fondsmanager bei Fidelity
Siddle hat Wirtschaftswissenschaften an der Universität Cambridge studiert und sein Studium mit einem MA (Hons) abgeschlossen. Zudem ist er CFA Charterholder. Er kam 1999 als Research Analyst für verschiedene Branchen zu Fidelity. 2007 wurde Matthew Siddle zum Fondsmanager ernannt und verwaltete anfangs einen britischen Aktienfonds, bevor er sich 2009 erneut Aktien aus dem gesamten europäischen Raum zuwandte.

Bildquellen: Fidelity Worldwide Investment, irabel8 / Shutterstock.com