Gabriel Felbermayr: "110 Milliarden Euro stehen im Feuer"
Der Ifo-Außenhandelsexperte Gabriel Felbermayr über Chancen und Risiken globaler Handelskonflikte - und wie er als künftiger Präsident das Institut für Weltwirtschaft in Kiel an die Spitze der Forschungshäuser in Deutschland zurückführen will.
von W. Ehrensberger, Euro am Sonntag
Rund 250 Kilometer sind es von München in Gabriel Felbermayrs Heimat Bad Hall in Oberösterreich. Freie Zeit verbringt der Vater dreier Töchter gern in den Bergen. "Mein Geheimtipp ist die Gowilalm in der Gebirgskette der Haller Mauern", sagt er. "Die Wege dort werden vom Alpenverein aus meiner Heimatstadt Bad Hall instand gehalten."
Künftig wird der 42-Jährige die Berge nicht mehr so schnell erreichen: Felbermayr, dem ein Ruf als exzellenter Forscher und talentierter Kommunikator vorauseilt, wird im Februar 2019 als Nachfolger von Dennis Snower neuer Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Das Haus hat eine große Geschichte, doch tonangebend in der öffentlichen Diskussion sind heute eher das DIW in Berlin oder das Ifo-Institut in München.
€uro am Sonntag: Herr Felbermayr, als Sie mit 32 Jahren Ihre erste Professur in Stuttgart übernahmen, wehte dort schnell ein anderer Wind. Sie gelten als Antreiber, der Konflikte nicht scheut. Sollen sich die Kollegen in Kiel schon mal warm anziehen?
Gabriel Felbermayr: Das hielte ich für übertrieben. Aber für ein Institut wie das Kieler IfW wäre es das Allerschlimmste, wenn es sich eine Schlafmütze als Präsidenten holt. Das IfW hat große Zeiten vor sich, weil die Themen, die man von ihm erwartet, ganz einfach Konjunktur haben: die Regulierung des Welthandels, des Weltkapitalverkehrs, oder auch die Frage nach den sogenannten Global Commons, also globalen öffentlichen Gütern wie Klimaschutz oder Biodiversität. Für diese Themen muss das IfW stehen. Das lief zuletzt nicht immer ideal.
Wo sehen Sie die Defizite?
Das IfW leistet nach wie vor eine hervorragende Forschungsarbeit. Aber es kommt zu wenig in der medialen Berichterstattung in Deutschland vor. Forschungsergebnisse müssen auch in der Öffentlichkeit und in der Politik präsentiert werden und dort ankommen. Das IfW muss wieder Ansprechpartner Nummer eins werden, wenn es in Deutschland um globale Wirtschaftsthemen geht.
Der seit 2004 amtierende Präsident Dennis Snower hat das Kieler IfW-Institut thematisch geöffnet - beispielsweise für die Forschungsrichtung Verhaltensökonomie. Wird sich das Institut unter Ihrer Führung auch inhaltlich neu ausrichten?
Das Institut sollte sich auf jeden Fall wieder stärker auf seine Kernkompetenzen besinnen, also die Handels- und Entwicklungspolitik oder die Klimapolitik. Ein weiteres Defizit liegt in der Organisation. Das Institut darf seine Arbeit nicht nur auf Zuwendungen der öffentlichen Hand aufbauen, sondern muss aktiv auch Mittelakquise betreiben. Hier besteht dringender Nachholbedarf, und ich sehe hier großes Potenzial, ganz einfach weil sich das IfW mit relevanten Themen beschäftigt.
Das heißt, Sie streben auch eine engere Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, mit einzelnen Unternehmen, an?
In unserem Fokus steht eben nicht nur die Politik, sondern auch Wirtschaftsverbände, aber auch die Unternehmen in Norddeutschland. Ich könnte mir beispielsweise eine intensivere Zusammenarbeit mit Unternehmen der Logistikbranche vorstellen, zum Beispiel Hapag-Lloyd. Aber auch mit den großen Häfen in Hamburg, Bremerhaven oder Emden. Wenn das IfW diese Änderungen schafft, dann kann sich Kiel - das ist meine Vision - verstärkt als international wahrgenommener Think Tank positionieren.
In den 1980er- und 1990er-Jahren haben marktwirtschaftlich-liberal orientierte Ökonomen wie Herbert Giersch oder Horst Siebert das IfW geprägt. In welcher Tradition sehen Sie sich?
Ich fühle mich nicht wohl, wenn man mich in irgendwelche Schubladen stecken will. Wie viele meiner jüngeren Kollegen versuche ich, möglichst vorbehaltlos, also ideologiefrei, zu arbeiten. Das ist nicht leicht und wird nicht immer klappen, weil Werturteile implizit immer eine Rolle spielen. Aber das Ziel muss sein, eine strikt evidenzbasierte Wirtschaftsforschung und -beratung zu machen.
Vom früheren Ifo-Chef Hans-Werner Sinn einmal abgesehen, der Sie als Idealbesetzung für Kiel sieht: Welche Ökonomen haben Sie geprägt?
Da gehört sicher der Nobelpreisträger Paul Krugman dazu, dessen Schriften mich wie keine anderen als Student fasziniert haben, auch heute noch. Leider hat er sich in der Forschung abgemeldet, aber seine Zeitungsartikel sind immer noch voll tiefer Einblicke. Und ich möchte hier auch Wilhelm Kohler nennen, den Spiritus Rector der deutschsprachigen Außenhandelsökonomen. Bei ihm habe ich in Linz studiert und in Tübingen habilitiert.
Die Handelspolitik des US-Präsidenten Donald Trump sorgt weiter für Unsicherheit. Zwar gab es gerade eine vorläufige Einigung zwischen den USA und Mexiko und Ende Juli ein Abkommen zwischen Europa und den USA, um US-Autozölle vorerst abzuwehren. Doch die Konflikte schwelen weiter, insbesondere mit China. Wohin führt das?
Für Europa sieht die Situation doch gar nicht so schlecht aus. Die Vereinbarung zwischen EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und US-Präsident Donald Trump würde ich als Waffenstillstand bezeichnen. Offen bleibt auch, ob es Europa auf der anderen Seite gelingt, Frankreich und Deutschland auf eine gemeinsame Linie für ein neues Freihandelsabkommen zu bringen. Aber den Amerikanern ist inzwischen klar geworden, dass die geschickt gesetzten Gegenzölle der Europäer und der Chinesen in den USA Schäden verursachen, und das wiederum schadet dem Präsidenten.
Inwiefern?
Wenn die US-Vorstandschefs von Produktionsverlagerungen und Entlassungen sprechen, schadet das Präsident Trump, ebenso schaden ihm die Proteste der Landwirte. Es gefährdet die Wiederwahl republikanischer Politiker bei den Zwischenwahlen am 6. November. Deshalb glaube ich, dass über kurz oder lang auch eine Lösung mit China gefunden wird.
Glauben Sie wirklich, dass der Rückhalt Trumps bei den Wählern schwindet? Ist der nicht eher stärker geworden?
Ich glaube, dass er bisher an Rückhalt gewonnen hat. Das hat aber eher mit seiner Steuerpolitik zu tun als mit seiner Handelspolitik. Den Leuten gefällt, dass er den starken Mann spielt, aber er muss auch die negativen Effekte seiner Politik klein halten. Für Trump ist es bis November dringend notwendig, Siegesmeldungen zu verkünden.
Wie sollten sich die Europäer jetzt verhalten, speziell die Bundesregierung?
Deutschland sollte jetzt darauf drängen, schnell in Verhandlungen für ein Handelsabkommen einzutreten, das auch den US-Agrarbereich mit einbezieht. Dabei brauchen wir insbesondere einen Deal mit den Franzosen.
Halten Sie das Thema Autozölle schon für endgültig ausgestanden?
Nein. Abzuwarten bleibt hier der Bericht des US-Handelsministeriums über die Autoindustrie. Der Bericht könnte zu dem Ergebnis kommen, dass Autoimporte die nationale Sicherheit gefährden. Dieses Damoklesschwert schwebt noch über uns. Die Bundesregierung muss sich überlegen, ob sie unter diesen Drohgebärden Verhandlungen führen will. Mit der Pistole auf der Brust verhandeln - das wollen auch die Franzosen nicht.
Ist unter diesen Vorzeichen der rasche Abschluss eines Freihandelsabkommens überhaupt realistisch?
Wenn die Europäer zu einer einheitlichen Linie gefunden haben, könnte es meiner Meinung nach ziemlich schnell gehen. Es gibt ja schon jahrelange Verhandlungen in diese Richtung, und die gegenseitigen Interessen haben sich fundamental kaum verändert. Wenn der politische Wille da ist, könnte man innerhalb eines Jahres zu einer Grundsatzvereinbarung kommen.
Und wenn der Handels- und Zollstreit eskaliert, wie viel steht für Deutschland dann im Feuer?
Das Handelsvolumen Deutschlands mit den USA beträgt rund neun Prozent des deutschen Exports. Würde dieses Volumen komplett mit Zöllen belegt, würden etwas mehr als drei Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts im Feuer stehen, also rund 110 Milliarden Euro.
Sie sind Österreicher, mit einer Französin verheiratet, und haben längere Zeit in Italien gelebt. Wie nehmen Sie als international geprägter Außenwirtschaftsexperte die Integrations- und Asyldebatte in Deutschland wahr?
Da muss man zwei Dinge auseinanderhalten. Das eine ist das humanitäre Thema, das sich 2015 gestellt hat. Hier hat Deutschland mit seiner großzügigen Willkommensgeste Großes geleistet, um das Leben vieler Hunderttausender Menschen zu verbessern. Das war aber eine Ad-hoc-Hilfe, und jederzeit offene Grenzen für alle kann keine systematische Politik sein. Die viel wichtigere Frage in diesem Zusammenhang ist, welche Einwanderungspolitik brauchen wir in Deutschland. Und wie viel Diversität können wir aushalten. Das sind heikle Fragen. Und ich glaube, diese Fragen sollte man nicht vor den Tagesereignissen eines Bürgerkriegs in Syrien diskutieren.
Wie sollte ein Einwanderungsgesetz Ihrer Meinung nach konkret aussehen?
Deutschland muss die Einwanderung so regeln, dass jene Arbeitnehmer nach Deutschland kommen, die das Land wirtschaftlich voranbringen und die selbst in Deutschland erfolgreich sein können. Hier geht die Regierung meiner Meinung nach zu defensiv vor. Grenzbarrieren nach Österreich aufzubauen, das ist absolut absurd. Wichtiger wäre es zu fragen: Wie machen wir Deutschland attraktiver für die Talente dieser Welt? Welche Instrumente sind dafür nötig? Und wie kriegen wir Diversität so hin, dass keiner Angst hat?
Vita:
Neue Generation
1976 in Steyr/Oberösterreich geboren, arbeitete Felbermayr nach VWL- und BWL-Studium einige Jahre bei McKinsey, bevor er 2008 seine erste Professur in Stuttgart übernahm. Seit 2010 forscht der Außenhandelsökonom am Ifo-Institut und hat zudem eine Professur an der LMU München inne. Felbermayr, Anhänger eines freien Welthandels und überzeugter Europäer, soll im Februar 2019 Chef des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel werden. Der Österreicher gehört einer neuen Generation von Ökonomen an, die weniger ideologisch sein will als ihre Vorgänger.
Ifw Kiel
Seeverkehr und Weltwirtschaft
Gegründet wurde das Institut für Weltwirtschaft (IfW) am 18. Februar 1914 als "Königliches Institut für Seeverkehr und Weltwirtschaft" der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Es zählt heute zu den sechs führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstituten. Sie werden als Mitglieder der Leibniz-Gemeinschaft je zur Hälfte vom Bund und den Ländern finanziert.
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