Euro am Sonntag

ESG-Risikomanagement: Neue Gefahren fürs Geschäft

23.04.22 14:00 Uhr

ESG-Risikomanagement: Neue Gefahren fürs Geschäft | finanzen.net

Europäische Fondsgesellschaften plädieren bei der Bewertung von Unternehmen auf Einzelfallentscheidungen.

von Julia Groß, Euro am Sonntag

Wenn es um Staatsanleihen geht, entscheiden viele europäische Fondsgesellschaften mit ESG- Fokus eindeutig: Autoritäre Regimes werden häufig komplett aus dem Investmentuniversum ausgeschlossen. Zum Beispiel heißt es bei der belgischen Degroof Petercam (DPAM): "Bei einem autoritären und nichtdemokratischen Regime ist es unwahrscheinlich, dass es garantieren kann, dass künftige Generationen in der Lage sind, ihre Bedürfnisse zu erfüllen."

Die Liste der verbotenen Länder für DPAM-Anleihefonds ist umfassend und enthält neben Russland auch China, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Weißrussland. Auch Robeco und Blue Orchard betrachteten Russland teilweise schon seit vielen Jahren als uninvestierbar.

Anders sieht es auf der Aktienseite aus. Hier wollen sich die Institutionellen Anlagechancen offenbar ungern grundsätzlich verbauen, speziell was China angeht. "Unserer Ansicht nach muss ein Ausschluss auf Länder-/Regierungsebene nicht unbedingt zu einem Ausschluss auf Unternehmensebene führen", sagt Johan Van Geeteruyen, CIO Fundamental Equity bei DPAM. "Dennoch kann sich manchmal eine Korrelation in den ESG-Screenings von Unternehmen zeigen, insbesondere wenn es eng mit der Regierung verbunden ist. Das wäre ein Gegenargument für eine Investition."

Nach Einschätzung von Robeco können politische Ereignisse in Schwellenländern sich signifikant auf die Performance auswirken. Deshalb erhalten Firmen, die aus Hochrisikoländern kommen oder dort Geschäfte machen, bei der Bewertung einen zusätzlichen Risikovermerk.

Die Unternehmen selbst scheinen in diesen Fragen neuerdings strengere Maßstäbe anzulegen als die Investoren. Reputations- und Abhängigkeitsrisiken gewinnen im Licht der Ereignisse in Russland oder der staatlichen Eingriffe in verschiedene Branchen in China offenbar erheblich an Bedeutung. Knapp 500 westliche Unternehmen haben sich inzwischen komplett aus Russland zurückgezogen oder sind dabei, ihre Verbindungen zu kappen.

Die Entscheidung dazu kam aus den Unternehmen selbst, was auf ein in diesem Ausmaß neues Selbstverständnis in Vorstandsetagen hindeutet, sich moralisch und politisch zu positionieren. Firmen, die dabei bisher nicht mitgemacht haben, sehen sich erheblichem gesellschaftlichem Druck, auch von Investoren, ausgesetzt. Boykottdrohungen und der Verlust des Rückhalts der Aktionäre können sich negativ auf das Geschäft auswirken.

Laut Ifo-Institut nennen deutsche Unternehmen politische Unsicherheit neben den Lieferkettenproblemen als wichtigen Grund, warum sie Einfuhren aus China zurückfahren wollen. Die Abhängigkeit von Vorprodukten aus China ist groß, die Absicht, sich andere Quellen zu suchen, entsprechend weitverbreitet.




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