Euro am Sonntag

Emmerich Müller: "Bei Aktien arbeiten andere für Sie"

07.03.16 22:00 Uhr

Emmerich Müller: "Bei Aktien arbeiten andere für Sie" | finanzen.net

Der Leiter der Vermögensverwaltung der Bank Metzler über die Vorzüge von Aktien, Wohlstandssicherung über Generationen und 342 Jahre Bankgeschichte.

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von A. Sturm und L. Vogel, Euro am Sonntag

Unter Frankfurts Banken ist das Bankhaus Metzler ein Sonderfall. Während viele Geldhäuser Schlagzeilen mit Strategiewechseln, Entlassungen und Skandalen machen, arbeitet die altehrwürdige Privatbank geräuschlos. Ihren Gewinn verrät sie nicht, stattdessen erklärt sie einmal jährlich, man blicke auf ein erfolgreiches Geschäftsjahr zurück und sei zuversichtlich für das neue. 2014 zog die Bank nach 190 Jahren am selben Standort in der Frankfurter Innenstadt an den Main und sitzt seither in einem modernen Gebäude, das wenig mit dem Klischee von Privatbank in alten Mauern gemein hat. Dort empfängt Emmerich Müller zum Interview.



Ihm hat der altgediente Bankchef Friedrich von Metzler die Leitung des operativen Geschäfts übertragen. Müller führt auch die Vermögensverwaltung, die gut situierte Privatkunden mit mindestens drei Millionen Euro liquidem Vermögen betreut. Meist sind das Unternehmer, die ihren Wohlstand an die nächste Generation übergeben wollen. Müller rät ihnen zu hohen Aktienquoten. Denn in puncto Aktien ist man im Hause Metzler traditionell zuversichtlich - langfristig, versteht sich.

€uro am Sonntag: Ist das Bankhaus Metzler auch nach dem Börsen­einbruch noch optimistisch im Hinblick auf Aktien?
Emmerich Müller:
Mehr denn je. Das Bankhaus Metzler ist im 342. Jahr des Bestehens, wir haben vieles erlebt: Weltkriege, Währungsreformen, Staatspleiten. Im vergangenen Jahrhundert haben mündelsichere Anleihen zweimal einen Totalverlust erlitten, viele Aktien jedoch überlebten. Auf sie konnte die Bank den Wiederaufbau gründen. Leider sehen viele Deutsche in der Aktie keinen langfristigen Sachwert und die Beteiligung an einem Unternehmen, sondern ein Spekulationsobjekt.


Die Sorgen um die Weltkonjunktur schrecken Sie nicht? In China wächst die Wirtschaft so schwach wie seit ­einem Vierteljahrhundert nicht mehr, und der Ölpreis ist kollabiert …
Die Weltwirtschaft wächst mit einer Geschwindigkeit von gut drei Prozent. Es stimmt, dass dies im historischen Vergleich ein nur moderates Tempo ist, indes sollte man nicht vergessen, dass die hohen Wachstumsraten der Vergangenheit zu wesentlichen Teilen kreditfinanziert waren. Dies gilt auch und gerade für China, wo eine gewisse Wachstumsabschwächung sogar zu begrüßen ist, um bestehende Überkapazitäten nicht noch weiter auszubauen. Der Preisverfall bei Energierohstoffen - der übrigens eher auf ein hohes Angebot als auf eine Nachfrageschwäche zurückzuführen ist - kommt in diesem Umfeld vielen Ländern als Nettoölimporteuren entgegen.

Glauben Sie, dass der lange Bullenmarkt an den Börsen zu Ende ist?
Wir gehen nicht davon aus, dass der primäre Aufwärtstrend an den Börsen, der im Jahr 2009 begann, zu Ende ist. In langjährigen Aufschwüngen kommt es immer wieder zu zyklischen Bärenmärkten, die in Umfang und Dauer jedoch meist sehr begrenzt sind. Solche Abwärtsphasen dauern selten länger als ein Jahr, und die Kursverluste werden später meist deutlich überkompensiert.


Was raten Sie investierten Anlegern in diesen Zeiten? Augen zu und durch?
Anleger sollten sich vor allem nicht von der pessimistischen Nachrichtenlage ängstigen lassen. Angst ist immer ein schlechter Ratgeber und führt in den allermeisten Fällen zu schlechten Anlageentscheidungen. Wer die Bilanzqualität seiner Aktienengagements im Auge hat, sein Portfolio hinreichend diversifiziert und kurzfristig keine Liquidität braucht, sollte seine Anlagen nicht veräußern, nur weil sie billiger geworden sind.

Sehen Sie im DAX Einstiegskurse?
Das Anlegersentiment ist derzeit sehr negativ. Die Gewinnbewertung des Deutschen Aktienindex hat sich in den vergangenen Monaten von 15 auf etwa elf reduziert, während die Dividendenrendite auf über 3,5 Prozent gestiegen ist. Das ist deutlich mehr, als an weiten Teilen des Anleihemarkts zu erzielen ist, und unseres Erachtens durchaus attraktiv.

Viele Großanleger haben ihre Maximalgrenzen für Verluste erreicht und fallen als Käufer für eine Erholung aus. Muss man das Aktienjahr 2016 abschreiben?
Ich halte es nicht nur für verfrüht, die Flinte bereits im März ins Korn zu werfen, sondern ich denke sogar, dass man Chancen vertut, wenn man in solch ­einem Umfeld untätig bleibt. Wenn sich in den nächsten Monaten bewahrheiten sollte, was viele fundamentale Indikatoren anzeigen - eine Fortsetzung des moderaten globalen Aufwärtstrends -, kann die Stimmung schnell drehen. Phasen der Verunsicherung sind die besten Einstiegsgelegenheiten.

Die Renditen von Bundesanleihen sind mit der Flucht in sichere Häfen stark ­gefallen. Welche Alternativen bleiben noch zu Aktien? Immobilien?
Immobilien haben grundsätzlich eine Berechtigung im Rahmen einer diversifizierten Vermögensstruktur. Der Deutsche liebt den Sachwert Immobilie. Aber wir rechnen dabei falsch. Man vergisst schnell die Nebenkosten beim Kauf und die Gelder, die für Instandhaltung und Reparaturen anfallen. Man hat mit einer Immobilie zudem viel Arbeit. Bei Aktien arbeiten andere Leute für Sie.

Was empfehlen Sie Ihren vermögenden Kunden dann als Alternative? Nach ­Ihrer Philosophie raten Sie ja grundsätzlich nur zu Aktien, Renten und Cash.
Es spricht nichts dagegen, bei einer hinreichenden Diversifikation des Vermögens auch andere Anlageklassen zu ­dotieren. In der Vermögensverwaltung fokussieren wir uns aber auf Aktien, Renten und Cash. Mittlerweile bevorzugen wir eine höhere Aktienquote. Wir hatten im ausgewogenen Mandat lange eine Aktienquote von 35 bis 60 Prozent. Heute sind es 60 bis 80 Prozent. Wir wissen, dass 80 Prozent Aktien eine Herausforderung sind. Nicht jeder unserer Kunden will und kann da mitgehen.

Wie bringen Sie 80 Prozent Aktienquote konservativen Kunden bei?
Wir erläutern ihnen, dass es grundsätzlich keine sichere Geldanlage gibt. Das ist eine Illusion, ein Selbstbetrug. Man kann nur wählen, welches Risiko man einzugehen bereit ist, um sich zusätzliche Renditechancen zu eröffnen: entweder geringere Schwankungen und kaum Rendite mit Anleihen oder höhere Schwankungen und mehr Rendite mit Aktien. Hohe Renditen mit Anleihen - da müssen Sie schon Griechenland-­Anleihen kaufen oder Venezuela-Bonds. Dort bekommen Sie mehr Rendite, aber mit einem echten Ausfallrisiko.

Die EZB dürfte nächste Woche ihre Geldpolitik noch weiter lockern. Viele befürchten Blasen wegen des billigen Geldes. Wo sehen Sie welche?
Sicher kann zu viel billiges Geld Investoren leichtfertig werden lassen und Preise zu weit nach oben treiben. Eine Blase gab es etwa auf dem chinesischen Aktienmarkt. Jetzt sehen wir Blasen­bildungen bei Immobilien in Schweden. Dort sind in manchen Regionen die Immobilienpreise um 50 Prozent in drei Jahren gestiegen. Doch die größte Blase besteht mit Abstand auf dem Rentenmarkt. Investoren werden hier nicht mehr adäquat für die Risiken belohnt. Wenn jemand zehnjährige Anleihen hat und die Zinsen steigen um einen Prozentpunkt, erleidet er über den Kurs ­einen Verlust von rund acht Prozent.

Aktien profitieren aber auch nicht mehr so stark von all dem billigen Geld am Markt. Haben die Notenbanken ihre Wirkung auf die Börsen verloren?
Sagen wir es einmal so: Der Grenznutzen expansiver Geldpolitik nimmt ab. Dies ist aber keine Überraschung, sondern eine klassische ökonomische Gesetzmäßigkeit. Es ist sogar zu begrüßen, dass die Grenzen der Notenbankpolitik heute wieder stärker diskutiert werden. Damit sollte nämlich das Bewusstsein wachsen, dass notwendige Reformen nur von Regierungen und nicht von Zentralbankern geleistet werden können.

Ihre Kunden bezahlen Sie dafür, Risiken zu erkennen und Wohlstand über ­Generationen zu sichern. Was sind die größten Gefahren für Vermögen?
Es gibt drei große Risiken, die Vermögen beschädigen oder gar vernichten können: andauernde Inflation, Deflation und politische Entscheidungen mit weitreichenden Folgen. Inflation entwertet Nominalwerte wie Anleihen, Deflation entwertet Sachwerte wie Aktien. Das politische Risiko kann sich in vielerlei Hinsicht auswirken.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Nehmen Sie die Wende in der Energie­politik: Die Entscheidung der Politik ließ die Kurse von Versorgeraktien, die bis dahin als grundsolide Anlage galten, in den vergangenen Jahren einbrechen. Aber politische Entscheidungen können auch indirekt wirken. Sie können die Qualität eines Standorts mindern oder den Wert von Immobilien, etwa bei ­höheren Auflagen für Mieterschutz oder energetische Sanierung. Auch Gesellschaftspolitik kann den Wert eines Vermögens beeinflussen - zum Beispiel bei Änderungen im Steuerrecht.

Seit der Finanzkrise ist Ungleichheit ein großes Thema. Wie sehen Sie das mit Ihrer Erfahrung?
Das sind Bewegungen und Gegenbewegungen. In den Siebzigern erlebten wir eine Phase hoher Steuern, dann kam mit Margaret Thatcher und Ronald ­Reagan eine Ära der Steuersenkungen. Nun könnte sich das umkehren. Schließlich diskutiert die Politik hierzulande über höhere Erbschaftsteuern und eine Abschaffung der Abgeltungsteuer, was wohl auf eine Mehrbelastung von Kapitaleinkünften hinauslaufen würde.

Wie ernst nehmen Sie die ­Umverteilungsdebatte?
Sehr ernst. Im Dezember 2014 schrieben drei Verfassungsrichter in einem Sondervotum zum Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Erbschaftsteuer, der Staat habe darauf zu achten, dass große Vermögen nicht immer größer würden. Die zunehmende Ungleichheit gefährde die demokratische Teilhabe der Bevölkerung. Das ist eine hoch­politische Aussage, die wir vor zehn Jahren nicht gehört haben.

Wie kann man politische Risiken für sein Vermögen minimieren?
Man muss sein Vermögen nicht nur über Anlageklassen, sondern auch über Wirtschafts- und Währungsräume diversifizieren. Auch solche Vermögen werden von Krisen empfindlich getroffen, aber nie so stark wie einseitig ausgerichtete Depots. Wer Vermögen bewahren will, muss handlungsfähig bleiben - und in der Lage sein, längere Durststrecken zu überstehen. So musste das Bankhaus Metzler nach dem Zweiten Weltkrieg warten, bis das Kapitalmarktgeschäft wieder ansprang. Erst Jahrzehnte später, als die Industrie erstarkte, lief auch der Motor an den Kapitalmärkten wieder rund. Und wir waren noch da.

Die Märkte haben sich seither stark verändert. Börsen werden immer schneller, Handelssysteme automatisiert, Aktien oft nur Sekunden gehalten. Wie weit hat sich die Börse von ihren Wurzeln entfernt und wie gefährlich ist das?
Wir fordern seit vielen Jahren, dass die wesentlichen Transaktionen an den Kapitalmärkten an geregelten Börsen stattfinden müssen. Wir haben weder Verständnis für intransparente Dark Pools, noch erkennen wir einen wirtschaftlichen Sinn im Handeln der Algo-Trader.

Auch Banken koppeln sich zunehmend von der Realwirtschaft ab, anstatt ihr zu dienen. Sie spekulieren mit Roh­stoffen, ohne sie zu besitzen, sie wetten auf den Austritt von Eurokrisenländern oder handeln mit Nahrungsmitteln. Kann man das gutheißen?
Das Bankgewerbe lebt von der Bewertung von Wirtschaftsgütern und Risiken, von der Reaktion auf kurz- und langfristige Veränderungen in fast allen Lebensbereichen und vom Kontakt mit Menschen. Das ist und bleibt ungeheuer spannend. Und auch der "Handel" von Erwartungen ist großer Bestandteil des Wirtschaftslebens und des Bankgeschäfts. Die Branche hat gelernt und - freiwillig, teilweise aber auch unfreiwillig - viele der Missstände abgestellt.

Das Bankhaus Metzler wirbt mit seiner langen Tradition. Sind Sie ein Profiteur der Vertrauenskrise in Banken?
Wir freuen uns, wenn Leute uns ihr Geld anvertrauen. Bei Autoherstellern vertrauen die Menschen der Qualität der Autos. Banken haben kein Produkt zum Anfassen, sie sind auf Vertrauen angewiesen. Wir freuen uns aber nicht über die Krise anderer Banken. Wir wollen starke Wettbewerber und einen starken Kapitalmarkt. Starke Konkurrenten beleben das Geschäft.

Konnten Sie gar keine Enttäuschten von anderen Banken einsammeln?
Wir konnten uns in den vergangenen Jahren über ein gutes Geschäft freuen. Wir hoffen, dass das nicht an der Vertrauenskrise, sondern an unserer Arbeit liegt. Wir haben immer unseren Kurs gehalten, auch wenn es schwierig war. Als wir im März 2000 die Aktienquote radikal senkten, wurden wir belächelt. Damals hieß es, wir verstünden die Welt nicht, es gebe eine Internetrevolution. 2006 mieden wir die angeblich sicheren strukturierten Produkte mit hoher Rendite. Es hieß, wir hätten moderne Finanzierungsformen nicht verstanden. Beides beurteilte man später anders.

Bank

Das Bankhaus Metzler

ist die älteste Privatbank Deutschlands, die ununterbrochen in Familienbesitz ist. 1674 gegründet, hat sie Weltkriege, Wirtschaftskrisen und Revolutionen überstanden. Die Bank basierte ursprünglich auf einer Tuchhandlung und wuchs dank des Handels in Frankfurt und des Geschäfts mit Staatsanleihen. ­Später konzentrierte sie sich auf den heutigen Kern, die Vermögensverwaltung, und das Investmentbanking. Derzeit ­beschäftigt sie weltweit 800 Mitarbeiter.

Bankier

Emmerich Müller

gilt als Leiter des Private Banking und des operativen ­Geschäfts des Bankhauses Metzler vielen als Kronprinz - ein Begriff, den ­Müller nicht mag. Er verweist auf die gute Gesundheit der Nummer 1, Friedrich von Metzler, der noch mit 72 Jahren im Dienst ist. Müller, Sohn von Landwirten, studierte Jura in Freiburg. Nach Tätigkeiten in der Steuerberatung und einigen Jahren bei der BHF Bank kam er 2000 zum Bankhaus Metzler, wo er fünf Jahre später zum persönlich haftenden Partner aufstieg. Müller hat drei Kinder und fährt gern Ski.

Bildquellen: B. Metzler seel. Sohn & Co. Holding AG

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