Euro am Sonntag

China: Die neue Macht des Parteichefs

24.12.17 03:00 Uhr

China: Die neue Macht des Parteichefs | finanzen.net

Der 19. Kongress der Kommunistischen Partei Chinas ist zu Ende und Xi Jinping hat seine Rolle als mächtigster politischer Führer Chinas seit Mao Zedong zementiert. Was das für die Entwicklung der Wirtschaft in China bedeutet.

von Alex Wolf, Gastautor von Euro am Sonntag

Xi Jinping ist erst der dritte politische Führer, dessen Name in die Verfassung eingegangen ist, und der erste seit Mao Zedong, der dies zu Lebzeiten erreicht hat. Damit bekommen seine Initiativen eine einzigartige Autorität: Jeder Funktionär, der nicht Xis Agenda folgt, verstößt nun unmittelbar gegen die Verfassung. Darüber hinaus brach die Aufstellung des obersten Parteigremiums, des ständigen Ausschusses des Politbüros, auch mit den politischen Normen der vergangenen Jahrzehnte, indem kein klarer Nachfolger bezeichnet wurde.



Hier ist jedoch eines klar: Unabhängig davon, ob sich ein Nachfolger abzeichnet, ist Xi Jinping in der Position, China zu führen, solange er gesundheitlich dazu in der Lage ist. Die Parteiverfassung hat Xi auf unbegrenzte Zeit als ­zentralen Führer festgeschrieben: Ganz gleich, welchen Titel er innehat, er wird weiterhin die Agenda bestimmen - unabhängig davon, ob er eine dritte Amtsperiode verfolgt, oder ob er, dem Beispiel Deng Xiaopings folgend, danach hinter den Kulissen agieren wird.

Die Ära der dezentralisierten, fragmentierten Entscheidungsfindung ist zu Ende und die Macht wurde fest in einer Person konzentriert. Damit ist das ­Potenzial verbunden, reformfeindliche Interessen zu überwinden - darin liegen aber auch außerordentliche Risiken. Die optimistische Sichtweise: Xi wird angesichts der geringeren politischen Hürden Marktreformen vorantreiben. Wir jedoch sind weniger zu­versichtlich und gehen davon aus, dass Xis Prioritäten eher in einem stärkeren Staat, einer stärkeren Partei und einer aggressiveren Außenpolitik liegen.

Soziale Ungleichheit und
beispiellose Umweltschäden

Die Verlautbarungen auf dem Parteikongress (und die Politik der jüngsten fünf Jahre) deuten in erster Linie darauf hin, dass sich China auf der Weltbühne stärker behaupten wird und sein einzigartiges politisches Wirtschaftsmodell stärker als attraktive Alternative zu einer westlichen freiheitlichen Demokratie propagieren wird. Die Zeit, in der sich China versteckte und so einiges hingenommen hat, ist offiziell vorbei, nachdem Xi erklärt hat, dass "China eine Großmacht der Welt geworden ist" und "dass es an der Zeit ist, dass wir eine zentrale Rolle einnehmen und einen größeren Beitrag für die Menschheit leisten". Hier besteht die Gefahr, dass sich die Spannungen in Ostasien verschärfen könnten. China verfolgt größere globale Ambitionen zur selben Zeit, zu der Japan von einem Politiker mit einem ebenso starken (demokratischen) Mandat geführt wird, während die USA den schwächsten Führer seit mehreren Generationen haben.

Zweitens versucht Xi, den "Social Contract" zwischen dem Volk und der Partei weiterzuentwickeln. Er verfolgt eine Abkehr von der Wahrnehmung der Partei als Garantin für rein materiellen Wohlstand - hin zu einer Partei, die eine bessere Lebensqualität bietet und China wieder zu Supermachtstatus verhilft. Das alte Modell brachte zwar einzigartiges Wachstum mit sich, jedoch auch beispiellose soziale Ungleichheit und Umweltschäden.



Die Legitimität der Partei wird zu­nehmend abhängen vom steigenden Einfluss Chinas in der Welt und in gewissem Maß vom steigenden Wohlergehen des chinesischen Durchschnittsbürgers. Während wir das ­Bekenntnis zu einem neuen sozialen Vertrag mit einem nachhaltigeren, grüneren und gerechteren Wachstums­modell nicht als Parteirhetorik abtun, sehen auch wir noch keinen klaren Weg dahin. Das robuste Wachstum der vergangenen drei Jahrzehnte ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass die Partei etwas zurückhaltender war. Dagegen birgt eine mächtigere Rolle der Partei das Risiko einer nachlassenden Wirtschaftsdynamik. Auch gibt es für die Schaffung von "Wohlbefinden" - trotz zentraler Lenkung - keine einfachen Hebel, die man nur bedienen muss.

Wie werden sich diese politischen Verschiebungen auf die Wirtschaft auswirken? Es wird impliziert, dass die Regierung das Wachstumsziel letztendlich abschaffen und ein langsameres Wachstum akzeptieren wird. Aber gerade weil Xi das Fundament für die Prioritäten der Partei bis 2035 gelegt hat, wird dies wahrscheinlich keine sofortige Änderung bewirken, sondern vielmehr erst nach 2021 in den Vordergrund dringen.

Ergebnisse werden weiterhin eine wichtige Rolle spielen und systemisch wichtige Arbeitgeber werden weiterhin geschützt werden. Die stärkere Zentralisierung könnte bedeuten, dass in der lokalen Verwaltung weniger mit Reformen experimentiert wird und mehr Weisungen von zentraler Stelle erteilt werden. Dies ist für die Reform und die Produktivität gefährlich, da die wirksamsten Reformen traditionell ihren Ursprung auf der lokalen Ebene hatten.

Die Kontrolle der Partei über den ­Privatsektor wird anhalten. Der Arbeitsbericht verkündete "eine neuartige ­Beziehung zwischen Politik und Wirtschaft". Damit würde sich ein Trend fortsetzen, der damit begonnen hat, dass die Partei Betriebsorganisationen in Privatunternehmen eingerichtet hat und der Staat Vorstandssitze in Technologieunternehmen übernimmt.

Umweltfragen werden höchste Priorität haben. Dies ist weniger auf Xi Jinpings Politik zurückzuführen, sondern geboren aus der Notwendigkeit und der Gelegenheit - die Umwelt steht kurz vor dem Kollaps, und ein geringerer Druck in Bezug auf die Schaffung von Arbeitsplätzen reduziert den Druck, immer mehr Wachstum zu erzeugen.

Das Land braucht Know-how
und Auslandsinvestitionen

Eine Reform des Kapitalverkehrs ist nicht mehr vorrangig. Die Formulierung "stetige Bemühungen für eine vollständige Konvertierbarkeit" aus dem jüngsten Bericht wurde entfernt, was Bedenken um Kapitalabflüsse und ihre destabilisierenden Auswirkungen deutlich macht.

Die Betonung der Offenheit für ausländische Investitionen deutet darauf hin, dass der starke Rückgang der ausländischen Direktinvestitionen (FDI) die politischen Entscheidungen beeinflusst. Die FDI in China sind bis August im Vorjahresvergleich um 6,5 Prozent zurückgegangen und haben sich seitdem nur leicht erholt. Sensitive Sektoren wie das Bildungswesen werden geschlossen bleiben. Dagegen könnten Sektoren, in denen China ausländisches Know-how benötigt - wie Elektrofahrzeuge, Halbleiter, künstliche Intelligenz, Finanzwesen und Supercomputer - für weitere ausländische Direktinvestitionen geöffnet werden.

zur Person:

Alex Wolf
Volkswirt bei Aberdeen Standard Investments
Wolf, seit 2014 Volkswirt für die Emerging Markets beim britischen Investmenthaus Aberdeen, kam vom US-Außenministerium, dem er acht Jahre lang als Diplomat in Peking und Taipeh gedient hatte. Zuvor war er ­ bei BAE Systems und ­Lehman Brothers tätig.
Aberdeen Standard Investments ist mit einem verwalteten Vermögen von 737 Milliarden Euro eines der größten ­europäischen Investmenthäuser.

Bildquellen: Aleksey Klints / Shutterstock.com, Standard Life plc