Italien: Zurück im Krisenmodus
Die Macht der Populisten lässt die Finanzmärkte zittern. Die Sorge vor einer neuen Schuldenkrise ist groß - in ganz Europa. Die Folgen für den Euro, die Anleihen und Banken.
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von Astrid Zehbe, €uro am Sonntag
Letzte Woche in Italien: Erst erklärt Staatspräsident Sergio Mattarella die seit drei Monaten andauernde Regierungsbildung von rechtsgerichteter Lega und populistischer Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) für gescheitert, weil ihm der vorgeschlagene Euro-Kritiker Paolo Savona als Wirtschafts- und Finanzminister nicht passt. Stattdessen verkündet er die Bildung einer Übergangsregierung - und bittet dann den damit beauftragten Ökonomen Carlo Cottarelli in der Mitte der Woche plötzlich abzuwarten, ob sich Lega und M5S nicht doch noch einigen können. Das konnten sie - mit neuem Kandidaten für das Wirtschaftsministerium und altem, ausgabeorientierten Regierungsprogramm. Neuer Ministerpräsident wird der Juraprofessor und Politneuling Giuseppe Conte.
Auf und Ab an den Märkten
An den sowieso schon verunsicherten europäischen Finanzmärkten sorgte das italienische Politchaos in der vergangenen Woche für regelrechte Panik. Die Sorge um die Stabilität der Eurozone schickte die Gemeinschaftswährung auf Talfahrt. Die Renditen für italienische Staatsanleihen schossen in die Höhe (siehe Investor-Info unten), und auch die Aktienmärkte gerieten unter Druck.
Die kurzzeitige Erleichterung über den Kollaps einer europafeindlichen Regierung war schnell der Erkenntnis gewichen, dass eine Übergangsregierung mit anschließenden Neuwahlen womöglich das größere Übel wäre. Die Märkte beruhigten sich zwar, als Lega und M5S erneut verhandelten. Doch trotz eines vorläufigen Endes des Machtvakuums in Rom treibt viele Anleger weiterhin vor allem eine Frage um: Quo vadis, Italia?
Einen Teil der Antwort kann man bereits jetzt geben: in Richtung Europa eher nicht. Die während der Regierungsverhandlungen diskutierten Vorhaben wie Schuldenschnitt oder Austritt aus der Eurozone werden weiterhin Thema sein. Hinzu kommt die Ausgabenfreude der neuen Regierung: Pläne wie die Einführung eines Bürgerlohns, Steuersenkungen sowie die Absenkung des Renteneintrittsalters könnten Ökonomen zufolge Mehrausgaben von rund 100 Milliarden Euro nach sich ziehen. Maßnahmen zur Gegenfinanzierung fehlen. Stattdessen pochten die Parteien auf einen Schuldenerlass von 250 Milliarden Euro, was in Europa Ängste vor einem Wiederaufflammen der Schuldenkrise schürte.
Das alles trifft Italien ausgerechnet in einer Zeit, in der es zuletzt wirtschaftlich bergauf ging. Das Bruttoinlandsprodukt wird 2018 mit voraussichtlich 1,5 Prozent so stark zulegen wie seit acht Jahren nicht mehr, die Arbeitslosigkeit sinkt, und das Haushaltsdefizit hat sich in den vergangenen fünf Jahren nahezu halbiert. Letzteres führte sogar dazu, dass die schwindelerregend hohe Staatsverschuldung aktuell zumindest nicht weiter steigt.
Nervös sind die Märkte dennoch: Bei der Versteigerung sechsmonatiger Geldmarktpapiere im Volumen von 5,5 Milliarden Euro musste Italien am Dienstag eine durchschnittliche Rendite von 1,2 Prozent bieten. Im April waren Anleger bei einer vergleichbaren Auktion noch bereit gewesen draufzuzahlen. Auch länger laufende Anleihen gerieten unter Druck. Die Renditen für zehnjährige Staatspapiere kletterten erstmals seit dem Frühjahr 2014 wieder über die Marke von drei Prozent - ein Anstieg um rund 1,2 Prozentpunkte innerhalb nur eines Monats.
Euro-Exit bleibt unwahrscheinlich
Es ist vor allem die hohe Staatsverschuldung, die Anlegern angesichts der Spendierfreude der neuen Regierung und dem angedrohten Euro-Austritt Sorgen bereitet. Mit mehr als zwei Billionen Euro ist Italien der drittgrößte Kreditnehmer der Welt. Die geplante Erhöhung der Staatsausgaben würde den Schuldenberg weiter wachsen lassen. Bisher half dem Land vor allem das Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank, die Refinanzierungskosten auf einem erträglichen Maß zu halten. Mit einem Austritt aus der Eurozone wäre das nicht mehr möglich.
Eine Rückkehr zur Lira wäre zudem mit einer erheblichen Abwertung der Währung verbunden. Mit der Folge, dass das Land seine Schulden dann wohl nicht mehr bedienen könnte. In diesem Fall würde die gesamte Eurozone in Mitleidenschaft gezogen werden. Schon jetzt stiegen auch die Renditen anderer ehemaliger Krisenstaaten wie Portugal oder Spanien. Der Euro fiel gegenüber dem Dollar auf den niedrigsten Stand seit zehn Monaten.
Viele Ökonomen glauben dennoch, dass Italien vor einem Austritt aus der Eurozone in letzter Instanz doch zurückschrecken wird. Zum einen, weil im Wirtschafts- und Finanzministerium künftig nun doch kein Hardliner in Sachen Euro-Austritt wie Paolo Savona sitzen wird, sondern voraussichtlich der parteilose Ökonom Giovanni Tria, der nicht als Befürworter eines Austritts von Italien aus der Eurozone gilt. Zum anderen, weil solch ein Schritt massive Kapitalflucht zur Folge hätte - mit schwerwiegenden Konsequenzen für die Wirtschaft. Keine Regierung hat daran Interesse. Bisher sehen das trotz aller Nervosität auch die Märkte so.
"Die Kursdifferenz zwischen zehnjährigen deutschen und italienischen Staatsanleihen legt nahe, dass die Märkte noch weit davon entfernt sind, die Möglichkeit eines Ausstiegs Italiens aus dem Euro einzupreisen", beschwichtigt Luke Hickmore, Investmentmanager bei der Fondsgesellschaft Aberdeen Standard Investments. Allerdings habe sich die Besorgnis wie Wasser hinter einem Damm aufgestaut. Der Zinsanstieg sei ein deutliches Zeichen dafür, dass das Wasser nun über den Damm getreten ist. Zu spüren bekamen das vor allem inländische Gläubiger, in deren Händen sich gut die Hälfte aller italienischen Schuldtitel befindet - allen voran Banken und Versicherer, deren Aktien heftige Kursverluste verzeichneten.
Alternativen in Europa
Für Anleger bleiben vor allem italienische Aktien trotz der Regierungsbildung ein schwieriges Terrain. Andere europäische Märkte bieten jedoch durchaus attraktive Alternativen, zumal sich die wirtschaftliche Situation in vielen ehemaligen Sorgenstaaten verbesserte - darunter auch Frankreich. Ein Zeichen für das Vertrauen der Investoren: Die französischen Anleiherenditen sind mit der steigenden Unsicherheit in Italien gesunken.
Das dürfte den Parteien in Rom im Hinblick auf ihre Erpressungsversuche gegenüber der EU - insbesondere, was die Forderung nach einem Schuldenschnitt angeht - etwas den Wind aus den Segeln nehmen. Ihre Drohungen können die Eurozone nicht ins Chaos stürzen. Vielleicht gestaltet diese Tatsache ja auch die Regierungsarbeit künftig marktfreundlicher als von vielen erwartet.
Investor-Info
Staatsanleihen
Italienische Renditen steigen
Mit den schwierigen Regierungsverhandlungen in Italien stieg auch die Unsicherheit an den Anleihemärkten. Italienische Papiere wurden auf den Markt geworfen, sodass ihre Kurse sanken und die Renditen spiegelbildlich zulegten. Die als sicher geltenden Bundesanleihen hingegen waren stärker gefragt, sodass ihre Renditen zeitweise auf den tiefsten Stand seit zehn Monaten fielen.
SCHRODER ISF ITALIAN EQUITY
Zu viele Banken im Portfolio
Mit mehr als einem Drittel sind Banktitel im Fondsportfolio am schwersten gewichtet. Angesichts der aktuellen Unsicherheit vor allem im Finanzsektor sollten Anleger vorerst die Finger davon lassen - auch wenn italienische Aktien ansonsten nicht grundsätzlich unattraktiv sind. Vor allem Industrietitel, die rund ein Viertel des Portfolios ausmachen, sind lukrativ: Der Sektor wächst und profitiert von der gut laufenden Weltwirtschaft.
ISIN: LU0106238719
Allianz Wachstum Euroland
Auf IT und Industrie setzen
Der Fonds setzt auf europäische Wachstumswerte, die das Management derzeit vor allem im IT- sowie Industriesektor findet. Die beiden Branchen machen rund 50 Prozent des Portfolios aus. Circa zehn Prozent des Vermögens sind in italienische Aktien investiert. Deutsche und französische Titel sind mit 37 beziehungsweise 17 Prozent die Schwergewichte.
ISIN: DE0009789842
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