Euro am Sonntag-Analyse

US-Airlines: Wo Anleger jetzt mitfliegen

10.08.16 11:20 Uhr

US-Airlines: Wo Anleger jetzt mitfliegen | finanzen.net

Viele US-Fluggesellschaften waren in Insolvenz, haben Kosten und Schulden reduziert - und stehen jetzt besser da als die meisten europäischen Flieger.

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von Tim Schäfer, Euro am Sonntag

Marcus Wilborn ist Vielflieger, der New Yorker genießt Diamantenstatus bei Delta Air Lines. Wilborn nutzt gratis die Lounge am Flughafen, oft wird er kostenlos in die erste Klasse hochgestuft, wenn er nach Europa muss. Lange Zeit war er zufrieden. Doch nun ist er sauer. "Viele Vorzüge sind ­ gestrichen. Früher konnte ich einen kostenlosen Flug mit 25.000 Prämienmeilen buchen, jetzt brauche ich viel mehr", beschwert sich der 43-jährige Medizintechnikberater. Muss er ­einen Flug verschieben, fällt neuerdings eine Gebühr von 250 Dollar an. "Seit die Airlines fusioniert sind, gibt es weniger Wettbewerb. Das ist schlecht für die Verbraucher."



US-Flugpassagiere müssen für bequemere Sitzplätze, Mahlzeiten oder Entertainment an Bord mehr bezahlen als jemals zuvor. Die günstigen Kerosinpreise geben die Carrier nicht an ihre Kunden weiter. Der Grund dafür liegt an der Marktstruktur: Die Fliegerbranche in den USA hat sich selbst bereinigt. Es kam zu etlichen Fusionen, womit der vormals harte Preiskampf ein Ende fand. Alle führenden US-Airlines freuen sich über Rekordprofite und sprudelnde Cashflows. Nach der Fusion von American und US Airways entstand die weltgrößte Airline, American Airlines Group, die im vergangenen Jahr 6,3 Milliarden Dollar Nettogewinn bei einer glänzenden Umsatzrendite von 15 Prozent einflog. Konkurrent United Continental Airlines verdiente sogar über sieben Mil­liarden Dollar. "Wir haben eine Rekordperformance erzielt", schwärmte Chef Brett Hart.

Chapter 11 studiert

Während europäische Anbieter wie die Nummer 1, Lufthansa, unter hohen Personalkosten und Pensionsverpflichtungen leiden, entledigte sich die US-Branche solcher Posten in Insolvenzverfahren nach dem Chapter 11. Schulden, Personal und andere Verpflichtungen wurden auf diese Weise bequem abgebaut. Auch der niedrige ­Ölpreis trieb die Ergebnisse der Flieger.

Inzwischen erholt sich die Rohstoffnotierung wieder. Weitere Herausforderungen kommen hinzu: die Terroranschläge in Europa etwa, die auch Auswirkungen auf das Geschäft der US-Fluggesellschaften haben. So plant Delta Air Lines, die Kapazitäten in London im kommenden Winter vorübergehend herunterzufahren. Allerdings sind die Folgen viel geringer als bei den europäischen Carriern.


Mit einem nachhaltigen Einfluss auf das Reiseverhalten in den USA rechnen die wenigsten Beobachter. "Selbst in den Wochen nach den Anschlägen vom 11. September hat sich der Flugverkehr normalisiert", erinnert Jack Plunkett, Branchenexperte und Chef des US-Analysehauses Plunkett Research. Ähnlich entspannte sich die Lage nach den Attentaten auf Verkehrsmittel in Madrid und London 2004 ­respektive 2005.

Fliegen liegt langfristig im Trend. Rund um den Globus wächst die Flugnutzung doppelt so schnell wie das Bruttoinlands­produkt. Die Internationale Luftverkehrsvereinigung IATA prognostiziert eine Verdopplung der weltweiten Passagierzahlen bis 2034. Dann sollen rund sieben Milliarden Fluggäste rund um den Globus befördert werden.


Etwa die Hälfte des gesamten Flugverkehrs entfällt auf die Vereinigten Staaten. Pro Tag bieten US-Carrier in der laufenden Hauptreisezeit 2,8 Millionen Sitzplätze an.

Die Eintrittsbarrieren in den größten Flugmarkt der Welt sind für Nichtamerikaner hoch. Denn die US-Regierung in Washington erlaubt Ausländern nur einen Minderheitsanteil von 25 Prozent an einer US-Airline. Aufgrund der strikten Handhabung gab auch die nach Passagieren größte europäische Airline, die Deutsche Lufthansa, 2015 ihr Vorhaben auf, die US-Billigfluglinie JetBlue zu übernehmen.

Politik fliegt mit

Amerikas Top-Airlines baten überdies das Weiße Haus mit Erfolg um Eindämmung der starken Konkurrenz aus Fernost. Staatlich finanzierte Anbieter wie Emirates, Etihad oder Qatar Airways punkten außerhalb der USA mit moderaten Preisen und hochwertigem Service. Und ­Europas Spitzenflieger wie Lufthansa oder British Airways haben die Amerikaner mit Allianzen wie der Star Alliance oder Oneworld gebunden. Anstatt sich zu bekämpfen, stimmt die Branche ihre Flugpläne ab.

Die US-Vorstände sorgen sich derzeit um die renditeträchtigen Geschäftsreisenden, deren Buchungen zuletzt zurückgingen. Die Branche hat erstmals seit Jahren die Preise gesenkt. Die Gebühren für Essen, Gepäck oder Multimediaangebote bleiben jedoch gesalzen. Die nach Umsatz weltweite Nummer 1, Delta Air Lines, meldete im zweiten Quartal ein Umsatz­minus von zwei Prozent. Immerhin lag der Gewinn über den ­Erwartungen. Laut Chef Ed ­Bastian bleibt das Umfeld kurzfristig "herausfordernd". Der Manager will alles tun, um weiter gute Ergebnisse zu erzielen.

Auf Unverständnis bei Analysten stieß Deltas Kauf einer Raffinerie in Pennsylvania 2012. Der Carrier brauche keine Raffinerie, sondern könne Kerosin wie andere am Markt besorgen, nörgelten Experten. Die Aktie geriet an der Wall Street unter Druck. Chef Bastian hält dagegen, dass die Anlage, die Verluste schreibt, dem Unternehmen insgesamt eine Menge Geld spare.

American Airlines macht derweil Abstriche am ursprünglichen Expansionsplan. Konzernboss Doug Parker blieb hinter dem geplanten Kapazitätsausbau zurück, die Kosten stiegen. Im März stimmte Parker einer sechsprozentigen Gehaltserhöhung für das Bordpersonal zu.

Angesichts der enormen Einsparungen und Kapazitätsbegrenzungen in der gesamten Branche bleiben viele Analysten dennoch optimistisch. Zumal vor allem die Großen - American, Delta und United - wissen, wie sie Aktionäre verwöhnen. Die ehemaligen Insolvenzkan­didaten zahlen inzwischen Di­videnden, Delta erhöhte die Ausschüttung soeben um 50 Prozent. Auch aggressive Aktienrückkäufe gehören zur Investorenpflege - insgesamt drei Milliarden Dollar will Delta dafür ausgeben. Das Rückkaufprogramm soll schon bis Mai 2017 abgeschlossen werden.

Verbraucherschützer bemängeln, dass die führenden Fluggesellschaften beinahe die immer gleichen Großaktionäre haben: Vermögensverwalter wie BlackRock oder große Banken wie JP Morgan tauchen häufig auf. Auch deshalb nehme der Wettbewerb ab, so der Vorwurf.

Vielflieger Marcus Wilborn hat trotz hoher Preise bereits etliche Delta-Flüge für die nächsten Wochen gebucht. Er ärgert sich über Geschenke an die Investoren: "Die sollten sich wirklich mehr um die Kunden kümmern. Sie wollen nur der Wall Street einen Gefallen tun."

Investor-Info

Delta Air Lines
Flieger mit Raffinesse

Die nach Umsatz weltgrößte Fluggesellschaft leistet sich eine eigene Raffinerie. Laut Spartenchef Jack Warmann kostete die Abgabe von Kerosin zu Dumpingpreisen im abgelaufenen Quartal 30 Millionen Dollar - sparte aber insgesamt rund 100 Millionen, weil der Spritpreis im wichtigen Regionalmarkt New York gedrückt worden sei. Bilanziell kommt Delta voran, die Verschuldung ist gesunken. Die Aktie ist niedrig bewertet, auch wenn 2017 der Gewinn laut Analysten stagnieren soll. Umfangreiche Rückkäufe stützen.

American Airlines
Der Schuldenprimus

American Airlines hat mit die höchsten Nettoschulden unter den großen US-Fluggesellschaften, laut Schätzungen des Finanzdatendiensts Bloomberg werden es Ende des Jahres rund 20 Milliarden Dollar sein. Zwar ist die Aktie sehr günstig, allerdings ist die Gewinn­entwicklung wegen der wieder steigenden Treibstoffpreise leicht rückläufig. Angesichts dessen macht auch die bescheidene Dividendenrendite die Aktie aus Sicht der Redaktion nicht zum Kaufkandidaten. Trotz vergleichsweise hoher Gewinnmargen ist das Papier eine Halteposition.

United Continental Hld.
Gewinn im Sinkflug

Korruptionsvorwürfe gegen den früheren Vorstandschef Jeff Smisek stürzten das Unternehmen in eine Krise. Nach dem Rekordgewinn von über sieben Milliarden Dollar im vergangenen Jahr fehlen positive Impulse. Für das laufende Jahr wird ein Rückgang beim Profit von etwa einem Drittel erwartet. Das Gewinnvielfache ist zwar einstellig, wir raten aber dennoch nicht zum Kauf.

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Bildquellen: Chris Parypa Photography / Shutterstock.com, Paulo Afonso / Shutterstock.com

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