Inflation springt in Deutschland im November über 5 Prozent
Für Verbraucher und Sparer in Deutschland ist die Nachricht bitter: Die Inflation hat im November einen Sprung gemacht und erstmals seit rund 29 Jahren wieder die Fünf-Prozent-Marke erreicht.
Die Verbraucherpreise erhöhten sich nach vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamtes um 5,2 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Eine Fünf vor dem Komma hatte die Wiesbadener Behörde bei der Teuerungsrate zuletzt im Zuge des Wiedervereinigungsbooms im September 1992 mit damals 5,0 Prozent gemessen. Im Oktober des laufenden Jahres hatte die Rate noch bei 4,5 Prozent gelegen.
Eine höhere Inflation schwächt die Kaufkraft von Verbrauchern, weil sie sich für einen Euro dann weniger kaufen können als zuvor. Zugleich verlieren Sparguthaben beispielsweise auf mickrig verzinsten Tagesgeldkonten unter dem Strich an Wert.
Angeheizt wird die Inflation, die im vergangenen Jahr besonders niedrig war, vor allem von steigenden Energiepreisen und vorübergehende Sonderfaktoren infolge der Corona-Krise. Ökonomen erwarten, dass der Preisauftrieb im kommenden Jahr nachlässt. "So erschreckend hoch die Inflationsraten in November auch ausfällt, die Zahl markiert das vorläufige Ende des immensen Teuerungsschubes", meinte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank am Montag. Auch nach Einschätzung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) könnte der Scheitelpunkt des Preisanstiegs erreicht sein.
Das Institut für Weltwirtschaft rechnet allerdings damit, dass die Inflation im kommenden Jahr trotz des erwarteten Rückgangs überdurchschnittlich hoch bleiben. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer mahnte, wegen der hohen Haushaltsdefizite und der EZB-Anleihekäufe gelange zu viel Geld in Umlauf. Die Europäische Zentralbank (EZB) sollte den Fuß vom Gas nehmen, ihre Anleihekäufe einstellen und die Negativzinspolitik beenden.
Besonders tief mussten die Menschen in Europas größter Volkswirtschaft im November erneut für Energie in die Tasche greifen. Haushaltsenergie verteuerte sich innerhalb eines Jahres um 22,1 Prozent. Der Anstieg beschleunigte sich damit. Im Oktober waren die Energiepreise gegenüber dem jeweiligen Vorjahresmonat um 18,6 Prozent gestiegen und im September um 14,3 Prozent.
Auch die Rücknahme der temporären Mehrwertsteuersenkung schlägt inzwischen voll durch. Seit Januar 2021 gelten wieder die regulären Mehrwertsteuersätze, Waren und Dienstleistungen werden also tendenziell wieder teurer. Hinzu kommen Materialmangel und Lieferengpässe sowie die Einführung der CO2-Abgabe Anfang 2021.
Gegenüber dem Vormonat Oktober sanken die Verbraucherpreise insgesamt im November den vorläufigen Daten zufolge um 0,2 Prozent.
Die Inflation ist ein wichtiger Gradmesser für die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Notenbank strebt für den Währungsraum der 19 Länder eine jährliche Teuerungsrate von 2 Prozent an und ist zumindest zeitweise bereit, ein moderates Über- oder Unterschreiten dieser Marke zu akzeptieren. Aus Sicht der Notenbank ist der jetzige Anstieg der Inflation in Deutschland und im Euroraum vorübergehend.
"Wir gehen davon aus, dass im November der Höhepunkt der Inflationsentwicklung erreicht ist und dass die Inflation im kommenden Jahr wieder allmählich zurückgehen wird, und zwar in Richtung unseres Inflationsziels von zwei Prozent", sagte EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel im ZDF. "Und tatsächlich gehen die meisten Prognosen sogar davon aus, dass die Inflation unter diese zwei Prozent fallen wird. Und insofern kann man eigentlich keine Hinweise darauf sehen, dass die Inflation außer Kontrolle gerät."
Schnabel betonte, die EZB sei dem Ziel der Preisstabilität verpflichtet: "Wenn wir sehen, dass sich die Inflation dauerhaft auf einem höheren Niveau als zwei Prozent festsetzen könnte, dann werden wir natürlich ganz entschlossen reagieren."
Kritiker werfen der EZB vor, mit ihrer Geldpolitik die Inflation noch anzuheizen, weil die Notenbank über Anleihenkäufe Milliardensummen in die Märkte pumpt. Zudem hält die EZB die Zinsen seit Jahren auf einem Rekordtief.
In Deutschland lag der harmonisierte Verbraucherpreisindex HVPI, den die EZB für ihre Geldpolitik heranzieht, im November um 6,0 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats und um 0,3 Prozent über dem Stand von Oktober 2021.
Ökonomen-Stimmen zum Inflationssprung in Deutschland
Die Inflation in Deutschland hat im November erstmals seit rund 29 Jahren die Fünf-Prozent-Marke erreicht. Die Verbraucherpreise erhöhten sich gegenüber dem Vorjahresmonat um 5,2 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am Montag mitteilte. Eine Fünf vor dem Komma hatte die Wiesbadener Behörde zuletzt im September 1992 gemessen. Nach europäischer Berechnungsmethode betrug der Preisanstieg gar 6,0 Prozent.
Die Europäische Zentralbank (EZB) verweist seit längerem auf coronabedingte Sondereffekte und rechnet mit einem Rückgang der Teuerung im kommenden Jahr. Liegt sie richtig oder irrt sie? Stimmen von Ökonomen:
Michael Heise, Chefökonom HQ Trust:
"Ob der Höhepunkt der Preisniveausteigerungen erreicht ist, hängt vor allem von der Entwicklung der Energiepreise ab. Die jüngsten Abschläge bei den Rohölpreisnotierungen werden, wenn sie Bestand haben, relativ schnell die Kraftstoff- und Heizölverteuerung dämpfen. Aufwärtsdruck bei den Kosten der Haushalte für Energie wird aber durch die weitere Anhebung der C02-Abgabe zu Jahresbeginn und den verzögerten Anstieg der Gaspreise im Haushaltsverbrauch bleiben. (...) Zudem muss damit gerechnet werden, dass die produzierenden Unternehmen die höheren Energie- und Rohstoffkosten zum überwiegenden Teil in höheren Absatzpreisen weiterreichen werden. Umfragen zeigen, dass in allen großen Wirtschaftsbereichen mit Preiserhöhungen gerechnet wird."
Marco Wagner, Analyst Commerzbank:
"Die Inflationsrate in Deutschland ist im November stärker als erwartet auf 5,2 Prozent gesprungen. Verantwortlich hierfür sind zwar auch etliche Sondereffekte. Aber inzwischen steigen die Preise auf breiter Front stärker an. Damit dürfte die Inflationsrate mit dem Wegfallen der Sondereffekte zwar im kommenden Jahr wieder fallen. Sie dürfte sich aber auf einem höheren Niveau als vor der Corona-Pandemie einpendeln, und auf mittlere Sicht sprechen einige strukturelle Faktoren für eine weiter anziehende Inflation in Deutschland und im Euroraum."
Thomas Gitzel, Chefökonom VP-Bank:
"Beim Blick auf die Inflationsrate könnte es einem fast schwindelig werden. (...) Der ganze Mix aus Basiseffekten, höheren Energiepreisen, geringerer Mehrwertsteuersatz im Vorjahr und die Materialknappheiten manifestieren sich nun in dieser hohen Inflationsrate. Die November-Inflationsrate sollte aber den vorläufigen Teuerungshöchststand markieren. (...) Die Inflationsraten werden zwar in den kommenden Monaten noch auf verhältnismäßig hohem Niveau bleiben, doch ein fallender Trend sollte erkennbar sein. Bleiben Zweitrundeneffekte aus, dürfte zur Jahresmitte 2022 bereits schon wieder die EZB-Zielmarke von 2 Prozent angesteuert werden."
Melanie Debono, Analystin Pantheon Macroeconomics:
"Wir erwarten im Dezember erneut einen hohen Wert. Danach wird die Kerninflation im ersten Quartal mit ziemlicher Sicherheit sinken, da die Mehrwertsteuereffekte nachlassen und die Inflation von Nicht-Energie-Produkten sinken wird. Wir sind uns weniger sicher, wie lange die hohe Dienstleistungsinflation anhalten wird - und bei Energie bleibt ein Fragezeichen."
Jörg Zeuner, Chefvolkswirt Union Investment:
"Der Preisauftrieb dürfte auch im Dezember kräftig bleiben. Jedoch sollte sich die Lage im nächsten Jahr ändern. Die aktuelle Unsicherheit, wie der Corona-Winter in Deutschland und Europa verlaufen wird, verdirbt so manchem die Kauflaune. Dies könnte den weiteren Preisanstieg dämpfen. Im ersten Halbjahr 2022 werden die Folgen der Mehrwertsteuersenkung und die statistischen Basiseffekte ebenfalls an Bedeutung verlieren. Die Engpässe am Güter- und am Arbeitsmarkt aber werden uns noch eine Weile beschäftigen. Trotzdem sollte sich die Teuerungsrate schrittweise normalisieren. Aktuell rechnen wir mit einem Rückgang der Inflation bis Ende 2022 auf unter zwei Prozent."
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WIESBADEN (dpa-AFX)
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