ifo-Geschäftsklimaindex sinkt erneut - Stimmung der Wirtschaft eingetrübt
Das Geschäftsklima in Deutschland hat sich im September in etwa wie erwartet eingetrübt, wobei sich allerdings die Beurteilung der aktuellen Geschäftslage überraschend verschlechterte.
Der vom ifo-Institut erhobene Geschäftsklimaindex sank auf 98,8 (August revidiert: 99,6) Punkte, wie das ifo-Institut im Ergebnis seiner monatlichen Umfrage mitteilte. Die von Dow Jones Newswires befragten Volkswirte hatten einen Rückgang auf 98,5 Punkte prognostiziert. Für August waren vorläufig 99,4 Punkte gemeldet worden.
Der Index der Geschäftslagebeurteilung ging auf 100,4 (revidiert 101,4) Punkte zurück. Volkswirte hatten dagegen einen Anstieg auf 101,8 Punkte erwartet, der vorläufige August-Wert betrug 101,4 Punkte. Der Index der Geschäftserwartungen sank auf 97,3 (revidiert 97,8) Punkte. Erwartet worden waren 96,4 Punkte. Basis war ein vorläufiger August-Wert von 97,5 gewesen.
"Die Probleme bei der Beschaffung von Rohstoffen und Vorprodukten bremsen die deutsche Konjunktur, die Industrie erlebt eine Flaschenhals-Rezession", kommentierten die Konjunkturforscher die Daten.
Im verarbeitenden Gewerbe fiel der Geschäftsklimaindex deutlich. Die Unternehmen schätzten ihre aktuelle Lage merklich weniger gut ein. Ein stärkerer Rückgang war zuletzt im Mai 2020 beobachtet worden. Auch der große Optimismus bei den Erwartungen aus dem Frühjahr war nahezu verschwunden. "Die Auftragsbücher sind noch immer gut gefüllt, aber die Neubestellungen flachen ab", befand das ifo-Institut.
Im Dienstleistungssektor besserte sich das Geschäftsklima. Dies war auf deutlich zuversichtlichere Erwartungen der Unternehmen zurückzuführen. Die aktuelle Lage beurteilten sie jedoch etwas schlechter. Im Gastgewerbe und Tourismus ist nach der großen Skepsis im Vormonat eine gewisse Zuversicht zurückgekehrt. In der Logistik trübten sich die Aussichten hingegen ein, im Gleichklang mit der Industrie.
Im Handel blieb der Index nahezu unverändert. Während die Händler mit ihrer aktuellen Lage etwas zufriedener waren, nahm der Pessimismus mit Blick auf die kommenden Monate etwas zu. Eine große Mehrheit der Händler berichtete von Lieferproblemen bei der Beschaffung. Im Bauhauptgewerbe besserte sich das Geschäftsklima deutlich. Die Beurteilung der aktuellen Lage stieg auf den höchsten Stand seit März 2020. Auch die Erwartungen hellten sich merklich auf.
Ökonomen-Überblick zum Rückgang des ifo-Geschäftsklimas
Ulrich Kater, Chefvolkswirt Dekabank
"Der Rückgang ist alles andere als dramatisch. Es sind einzig die Lieferengpässe und Knappheiten, die die Unternehmen davon abhalten, mehr zu produzieren. Das spricht für einen hohen Investitionsbedarf in der Zukunft. Außerdem werden die rekordhohen Aufträge abgearbeitet, was den Aufschwung weit in das nächste Jahr verlängert."
Ralph Solveen, Analyst Commerzbank
"Die spürbaren Materialengpässe in der Industrie dürften die Industrie in den kommenden Monaten weiter bremsen. Zudem dürfte die Pandemie im Winter einige Dienstleistungsbereiche wieder stärker beeinträchtigen, auch wenn es keinen allgemeinen Lockdown geben wird. Darum dürfte die Erholung der deutschen Wirtschaft - nach einem noch einmal starken dritten Quartal - im vierten Quartal merklich an Fahrt verlieren."
Thomas Gitzel, Chefvolkswirt VP Bank
"Die Signale könnten eindeutiger nicht sein: Die kräftige wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Pandemie verlangsamt sich. Zwar fällt der Rückgang des Ifo-Geschäftsklimaindex nur verhältnismäßig gering aus, doch es zählt der Gesamtmix an Konjunkturnachrichten. Bereits in dieser Woche war der Einkaufsmanagerindex rückläufig gewesen und die Industrieproduktion leidet schon seit längerer Zeit."
Jens-Oliver Niklasch, Analyst Landesbank Baden-Württemberg
"Der Rückgang für den Gesamtindex war in etwa zu erwarten. Das Ergebnis wäre aber besser zu verkraften, wenn nicht gerade der Lageindex vergleichsweise deutlich gesunken wäre. Es dürfte uns damit ein schwieriges viertes Quartal ins Haus stehen, in dem die Lieferkettenthematik Corona als Hauptrisiko sogar ablösen könnte. Und Corona ist ja keineswegs vorbei. Alles in allem also eher unerfreuliche Neuigkeiten aus München."
Christian Lips, Chefvolkswirt NordLB
"Grundsätzlich bleibt das Aufschwungsszenario intakt, der Aufholprozess verzögert sich jedoch durch die Flaschenhälse bei der Industrieproduktion. Daher fällt unsere BIP-Prognose für 2021 mit 2,7 Prozent geringer aus, während für 2022 ein kräftiges Wachstum von mehr als 4 Prozent wahrscheinlich ist. Da Knappheiten sowohl die Konjunktur- als auch die Inflationsrisiken erhöhen, wird die EZB weiter auf Zeit spielen. Zumindest für die Eurozone sind Zinserhöhungen noch in weiter Ferne."
FRANKFURT (Dow Jones) / (dpa-AFX)