Die postfaktische Rallye - Crashgefahr durch Trump?
Nun ist er also endlich im Amt, der 45. Präsident der Vereinigten Staaten. In den letzten Monaten sah es schon so aus, als hätten die USA zwei Staatsoberhäupter.
Während der scheidende Präsident Barack Obama noch die letzten verzweifelten Weichenstellungen vornahm, verbreitete der kommende Präsident Donald Trump bereits über Twitter Furcht und Schrecken - und machte sich dadurch vor allem die unpatriotischen Unternehmen gefügig. So hat Ford aus lauter Furcht vor Trumps Bannstrahl bereits den Bau einer Autofabrik in Mexiko (für 1,6 Mrd. Dollar) abgeblasen. Und ausländische Konzerne wie die japanische Beteiligungsgesellschaft Softbank oder der taiwanisch-chinesische Elektronikriese Foxconn überschlagen sich dabei, milliardenschwere Investitionen in den USA anzukündigen, um bloß nicht eines Tages als Vernichter amerikanischer Jobs dazustehen, die dann die volle Wucht der Trump´schen Schutzzollkeule trifft.
Aus Sicht seiner Fans hat Donald Trump damit noch vor seinem Amtsantritt schon mehr für die US-Wirtschaft getan als Obama in seiner gesamten Regierungszeit. Und auch die Börse scheint ihn inzwischen zu lieben, wobei die plötzliche Begeisterung der Märkte ganz und gar überraschend kam. Noch kurz vor der Wahl gab es fast kein Analystenhaus, das bei einem Wahlsieg Trumps kein mittelschweres Desaster prognostiziert hätte. Doch innerhalb von nur wenigen Stunden wurde am Markt das unabänderliche Geschehen komplett umgedichtet, und aus dem Anlegerschreck Trump wurde eine heilsbringende Lichtgestalt. Die darauf folgende "Trump-Rallye" brachte den Dow Jones Index auf neue Rekordstände, und die Stimmung unter den Anlegern war Ende des Jahres so gut wie seit 1997 nicht mehr (zumindest im Hinblick auf die Preissignale vom Optionsmarkt).
Freie Bahn für große Konjunkturprogramme? Die Annahmen, die dieser Rallye zugrunde liegen, sehen in etwa so aus: Trump sei ein Mann der Tat, habe eine starke republikanische Mehrheit im Senat und im Repräsentantenhaus hinter sich und habe dadurch freie Hand für eine äußerst expansive Wirtschafts- und Fiskalpolitik. Als fleischgewordene Inkarnation Ronald Reagans werde er sich umgehend daran machen, die Steuern massiv zu senken und gleichzeitig gewaltige Infrastruktur-Investitionen zu tätigen (eine keynesianistische Politik also, die eigentlich auch beim DIW und beim Deutschen Gewerkschaftsbund auf ungeteilten Beifall treffen müsste). Dieses gewaltige Stimulusprogramm werde der US-Wirtschaft dann endlich wieder ungeahnte Höhenflüge verschaffen und damit auch die Unternehmensgewinne nach oben treiben.
Inzwischen lässt sich an der Wall Street allerdings wieder ein gewisses Unbehagen feststellen - namentlich seit Trumps irgendwie beunruhigender Inaugurationsrede. Somit stellt sich die Frage, ob das euphorische Szenario, das die Trump-Rallye bisher angetrieben hat, realistisch ist, oder ob es bald einer möglicherweise weniger glamourösen Realität zum Opfer fallen könnte.
Das Schuldenproblem
Im Blickpunkt der Trump-Skeptiker steht natürlich die Verschuldungsproblematik. Die US-Staatsverschuldung liegt schon jetzt bei fast 20 Billionen Dollar, oder rund 107 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Dabei stieg sie während der beiden Amtsperioden Barack Obamas um stolze 87 Prozent an, nachdem sein Vorgänger George W. Bush bereits einen Zuwachs um 86 Prozent bewerkstelligt hatte. Daneben lag das Haushaltsdefizit der US-Regierung im vergangenen Jahr bei bedenklichen 600 Milliarden Dollar, was eigentlich nicht allzu viel Spielraum für riesige zusätzliche Ausgabenprogramme lässt.
Unter den Trump-Befürwortern gibt es zwar einen kleinen harten Kern, der darauf hofft, dass der kommende Wirtschaftsaufschwung auch zu höheren Steuereinnahmen führen wird - wodurch sich die Neuverschuldung zumindest eindämmen ließe. So hat auch schon Ronald Reagan argumentiert, als er ab 1982 die Staatsausgaben massiv ausweitete. Im republikanischen Lager glauben aber selbst die ganz hart gesottenen Reaganomics-Anhänger nur noch sehr bedingt an diesen Effekt. Im Übrigen hatte Ronald Reagan bei seinem Amtsantritt auch eine weitaus bessere Ausgangslage für schuldenfinanzierte Steuersenkungen. Die amerikanische Staatsverschuldung befand sich damals erst bei einer Billion Dollar, was seinerzeit rund 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entsprach.
Widerstand aus dem eigenen Lager
Die Verschuldungsfrage ist somit kein Pappenstil - und für einen orthodoxen republikanischen Abgeordneten schon dreimal nicht. Man darf dabei nicht vergessen, dass die Republikaner die Bemühungen Barack Obamas, die Schuldenobergrenze abzuheben, vor kurzem noch bis aufs Blut bekämpft haben. Man darf außerdem nicht vergessen, welche Demütigungen Trump der republikanischen Partei zugefügt hat, als er im Wahlkampf immer wieder angekündigte, den politischen "Sumpf in Washington" trockenzulegen - was auf das demokratische und republikanische Establishment gleichermaßen abzielte. Nicht wenige Kernaussagen Trumps im Wahlkampf sind eingefleischten Republikanern ohnehin ein Gräuel, unter anderem sein Protektionismus, seine Sympathien für Russland und seine despektierliche Haltung zur NATO und zu den US-Geheimdiensten (in Letzterem ist der neue Präsident zuletzt wieder zurückgerudert). Und nun sehen die leidgeprüften Republikaner auch noch den Grundsatz der Haushaltsdisziplin zum Teufel gehen - ein Prinzip, um das sie während der Obama-Präsidentschaft eisern gekämpft haben, und mit dem viele einzelne Abgeordnete ihre eigene politische Glaubwürdigkeit verknüpft sehen.
Für die meisten Börsianer ist es dennoch eine ausgemachte Sache, dass der Kongress Trumps großzügige Stimulationsprogramme ohne nennenswerten Widerstand durchwinken wird. Das hat viel mit der Aufbruchsstimmung und der demonstrativen Einigkeit zu tun, die die Fraktion im Vorfeld der Amtseinführung zur Schau gestellt hat. Die konkreten Stellungnahmen zur Haushaltsplanung fallen allerdings schon jetzt recht nüchtern aus. So hat Paul Ryan, der Sprecher des Repräsentantenhauses, der als fiskalpolitischer Falke gilt, kürzlich angemerkt, dass er eine "defizit-neutrale" Steuerreform bevorzugen würde. Mitch McConnell, der Mehrheitsführer der Republikaner im Senat, erklärt wiederum beharrlich, dass das aktuelle Schuldenniveau "gefährlich und inakzeptabel" sei - und das, obwohl Trump McConnells Frau Elaine Chao zur Verkehrsministerin ernannt hat. Und einige weniger bedeutende Abgeordnete trompeten schon ganz ungeniert in die Welt hinaus, dass "wir uns nicht mehr Ausgaben und mehr Schulden leisten können, egal ob ein demokratischer oder ein republikanischer Präsident sie macht". Somit ist nicht ausgeschlossen, dass Trump mit seinen hochfliegenden Steuer- und Investitionsversprechen bei der eigenen Partei am Ende doch ganz erheblich auf Granit beißt.
Die Fed macht Ernst
Und die republikanischen Parteikollegen sind nicht das einzige Problem. Hinzu kommt noch, dass sich zurzeit sowohl die amerikanische Wirtschaft als auch die Finanzmärkte in einer delikaten Lage befinden. Man kann über den Zustand der US-Wirtschaft geteilter Meinung sein. Tatsache ist aber, dass sie sich in den letzten achten Jahren - auch dank massiv gestiegener Staatsausgaben und der ultralockeren Geldpolitik der Fed - von den Folgen der Finanzkrise immerhin erholt hat. Die Arbeitslosenquote fiel zuletzt auf 4,6 Prozent, und damit in einen Bereich, den die US-Notenbank für die "natürliche Arbeitslosenquote" hält, die durch geldpolitische Maßnahmen kaum noch gedrückt werden kann. Daneben ist die Inflation zuletzt wieder deutlich gestiegen und im Dezember mit plus 2,1 Prozent im Zielbereich der Fed angekommen. Das dürfte dazu führen, dass die Notenbank die geldpolitischen Zügel demnächst entschlossener als bisher anziehen wird. Fed-Chefin Janet Yellen hat vergangene Woche erklärt, dass sie das "nachhaltige Leitzinsniveau" bei etwa 3 Prozent sehe, und dass dieses Niveau voraussichtlich 2019 erreicht sein werde.
Es ist noch völlig offen, wie die US-Wirtschaft reagieren wird, wenn es diesmal tatsächlich zu einer ernsthaften geldpolitischen Straffung kommt. Schließlich haben sowohl der Staat als auch die Unternehmen vom billigen Geld der letzten Jahre in einem enormen Umfang profitiert. Sie konnten sich ausgesprochen günstig refinanzieren, was die Regierung zu einer beträchtlichen Ausweitung der Verschuldung und die börsennotierten Gesellschaften zu schuldenfinanzierten Firmenübernahmen und Aktienrückkäufen nutzten. Die Nullzinspolitik hat außerdem den Immobilienmarkt ebenso beflügelt wie den Autosektor oder den ganz normalen kreditkartenfinanzierten Konsum. Dieser Stimulationseffekt soll nun sukzessive wegfallen, wodurch der Regierung und den Unternehmen und Verbrauchern plötzlich erhebliche zusätzliche Belastungen entstehen. Daneben hat die Zinswende noch einen weiteren negativen Effekt für die US-Konjunktur: Sie macht den Dollarraum für internationale Anleger wieder interessanter, was den Dollar gegenüber anderen Währungen steigen lässt, und damit amerikanische Produkte auf dem Weltmarkt weniger konkurrenzfähig macht. Das chronische - und gewaltige - amerikanische Handelsbilanzdefizit, das allein im November schon wieder bei 65 Milliarden Dollar lag, dürfte sich dadurch noch mehr ausweiten.
Inflations- und Schuldenspirale
Die US-Zinswende wird Trumps Wirtschaftspolitik also nicht nur konterkarieren - sondern eben jene Wirtschaftspolitik könnte ihre negativen Auswirkungen noch zusätzlich verstärken. Falls es dem frischgebackenen Präsidenten tatsächlich gelingen sollte, seine Stimulationspläne durchzusetzen, dann wird sowohl die Staatsverschuldung als auch die Inflation noch weiter ansteigen. Ersteres wird den Anstieg der Zinsen ohnehin beschleunigen, und letzteres wird den Druck auf die Notenbank verstärken, den Leitzins noch zusätzlich anzuheben. Und dies dürfte dazu führen, dass der durch Trumps schuldenfinanzierte Programme bewerkstelligte Aufschwung umgehend wieder zunichte gemacht wird.
Trumps handelspolitische Agenda würde das Problem übrigens noch weiter verschärfen. Durch empfindliche Import-Schutzzölle könnte er zwar vielleicht noch das ausufernde Handelsbilanzdefizit in den Griff bekommen. Das Exportgeschäft dürfte aber weiter leiden - nicht nur wegen des gestiegenen Dollar, sondern dann zusätzlich auch noch durch protektionistische Gegenmaßnahmen der Handelspartner. Und selbst die inflationshemmende Wirkung eines starken Dollar würde wegfallen, denn Schutzzölle auf günstige Produkte aus Asien und Mexiko würden im Inland unweigerlich noch zu einem zusätzlichen Inflationsschub führen. Zugleich würden sie die Gewinnmargen vieler börsennotierter US-Unternehmen belasten, die es ja eigentlich sind, die die preiswerten ausländischen Waren einführen.
Auf diese Weise würde Trumps Wirtschaftspolitik nichts weiter bewerkstelligen, als einen Kreislauf aus Inflationsdruck, steigenden Zinsen, wachsenden Staats- und Handelsbilanzdefiziten und fallenden Unternehmensgewinnen in Gang zu setzen, der jedes noch so große Stimulationsprogramm früher oder später wieder abwürgt. Von dem ganzen billionenschweren Konjunkturfeuerwerk würden dadurch schlussendlich nur weitere billionenschwere Schulden übrigbleiben. Für Anleger stellt sich somit nicht nur die Frage, ob Trumps Konjunkturpolitik grundsätzlich falsch ist, sondern auch, ob sie möglicherweise zusätzlich noch zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt kommt. Und diese Frage stellt sich mit umso größerer Dringlichkeit, als der US-Aktienmarkt nun schon seit acht Jahren fast durchgehend steigt, üppig bewertet ist und von einer Anlegermentalität nach oben getrieben wird, die offenbar keine Vorstellung mehr davon hat, dass sich das Blatt irgendwann auch einmal wenden kann.
Verzerrte Realitäten
Um nicht falsch verstanden zu werden: Die Rallye in den USA kann durchaus weitergehen, unter Umständen auch noch jahrelang. Sie ist in Zukunft aber nicht mehr voraussetzungslos. Bisher war es vor allem das niedrige Zinsniveau, das die Kurse verlässlich nach oben trieb. Dieser Faktor fällt jetzt aber schrittweise weg. Indessen haben die Marktteilnehmer beschlossen, dass sich der wirtschaftliche Aufschwung als selbsttragend erweisen wird, und dass deutlich steigende Unternehmensgewinne den Attraktivitätsverlust von Aktien gegenüber Anleihen wettmachen werden. Diese Erwartung muss sich aber erst einmal erfüllen. Und Präsident Trump muss es gelingen, seine wirtschaftspolitischen Maßnahmen so zu dosieren, dass sie diesen Aufschwung befördern, anstatt ihn zu gefährden - ein nicht gerade leichtes Unterfangen.
Viele Kulturpessimisten haben Trumps Wahlsieg zum Anlass genommen, um den Beginn eines "postfaktischen Zeitalters" auszurufen - ein Zeitalter also, das von Realitätsverzerrungen beherrscht wird, und in dem Fakten kaum noch eine Rolle spielen. Am US-Aktienmarkt ist künftig aber genau das Gegenteil der Fall. Dort hat die Niedrigzinspolitik der Fed viele Jahre lang alle anderen Entwicklungen verzerrt und übertüncht. Diese Phase geht jetzt ihrem Ende zu, und die Fundamentaldaten werden unweigerlich wieder an Bedeutung gewinnen. Das heißt, dass auch die neue US-Regierung jetzt wirtschaftspolitisch auf grandiose Weise liefern muss.
Bisher ist die "Trump-Rallye" vor allen ein Produkt kerniger Wahlkampfrhetorik und großspuriger Versprechungen. Das hat die Zuversicht der Marktteilnehmer beflügelt - aber mehr auch nicht. Was uns betrifft, werden wir die Entwicklung weiter gespannt verfolgen. Wir bleiben aber auch bei unserer skeptischen Haltung gegenüber Börsen, die fast ausschließlich von Niedrigzinsen und der Hoffnung auf Schuldenprogramme getrieben werden. Es kann nicht schaden, auch die eine oder andere Aktie zu haben, die nicht aus solchen Regionen stammt.
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Gerhard Heinrich ist ein ausgewiesener Experte für die Schwellenländerbörsen und Redakteur beim Börsenbrief EMERGING MARKETS TRADER. Dieser Dienst bietet fundierte Analysen zu den Aktienmärkten in Asien, Osteuropa, Lateinamerika und Afrika und konkrete Kaufempfehlungen für Anleger. Mehr Infos unter: www.emerging-markets-trader.de. Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.