Corona-Finanzhilfen

Neuverschuldung des Bundes soll 2021 auf 179,82 Milliarden Euro steigen - Bundesrechnungshof mit verfassungsrechtlichen Bedenken

27.11.20 16:15 Uhr

Neuverschuldung des Bundes soll 2021 auf 179,82 Milliarden Euro steigen - Bundesrechnungshof mit verfassungsrechtlichen Bedenken | finanzen.net

Der Bund plant für 2021 angesichts der Coronavirus-Pandemie und der damit verbundenen Finanzhilfen eine Neuverschuldung von 179,82 Milliarden Euro.

Das ist das Ergebnis der Beratungen der Haushaltsexperten der Bundestagsfraktionen, wie die Abgeordneten Otto Fricke (FDP) und Sven-Christian Kindler (Grüne) unabhängig voneinander über den Kurznachrichtendienst Twitter mitteilten. Sie hatten die Details zum Budget bei ihrer so genannten Bereinigungssitzung festgeschrieben, die von Donnerstag bis zum Freitagmorgen gedauert hatte.

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Der bisherige Etatentwurf von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte 96,2 Milliarden Euro an neuen Schulden vorgesehen, nach 218,5 Milliarden 2020. In einer Vorlage für die Sitzung war das Finanzministerium Anfang der Woche dann von gut 160 Milliarden ausgegangen, worin aber die Kosten für die Abfederung der zuletzt beschlossenen Beschränkungen noch nicht eingerechnet waren. Scholz hat aber schon betont, dass für 2020 nicht alle eingeräumten Mittel ausgegeben würden. Berichten zufolge könnte die Nettokreditaufnahme 2020 eher zwischen 160 und 200 Milliarden Euro liegen.

Der Budgetplan für 2021, den das Parlament am 11. Dezember im Plenum beschließen will, sieht nun Ausgaben von 498,62 Milliarden Euro vor. Geplant gewesen waren von Scholz 413,40 Milliarden. Die Investitionen erhöhen sich auf 61,85 Milliarden von geplanten 55,17 Milliarden Euro. Für die Steuereinnahmen wird nun mit 292,79 Milliarden gerechnet - 824 Millionen mehr als im Entwurf.

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Rechnungshof meldet beim Haushalt verfassungsrechtliche Bedenken an

Der Bundesrechnungshof übt erneut scharfe Kritik an der Haushaltspolitik der Bundesregierung. Besonders stoßen sich die Prüfer daran, dass der Bund vorhandene finanzielle Rücklagen nicht nutze, um die Höhe der Notfallkredite im Zusammenhang mit der Corona-Krise zu begrenzen. "Die Strategie der Bundesregierung lässt sich dahingehend zusammenfassen: 'Schone Rücklage, erkläre Notlage'", monierten die Prüfer des Rechnungshofs. "Diese Handlungsweise beschädigt die Wirkung der Schuldenregel und ist daher verfassungsrechtlich bedenklich."

Außerdem sei die Schuldenpolitik "riskant", bekannte Haushaltsrisiken würden ausgeblendet und Konsolidierungsansätze fehlten. Auch würden Ausnahmen von der Schuldenregel übermäßig in Anspruch genommen und die Finanzplanungsjahre 2022 bis 2024 mit erheblichen Lücken versehen.

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"Eine solche schuldenaffine Strategie ist riskant. Sie kann auf Dauer nur gutgehen, wenn das Zinsniveau auf niedrigem Stand bleibt", mahnte der Bundesrechnungshof in seinem 55-seitigen Bericht für den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags. Dieser hat jüngst den Bundeshaushalt für 2021 beschlossen. Dieser sieht wegen der coronabedingten hohen Finanzhilfen eine Neuverschuldung des Bundes von 179,82 Milliarden Euro vor.

Bemühen zur Begrenzung der Kreditaufnahme nicht erkennbar

Zusammen mit den für 2020 veranschlagten neuen Krediten von 218 Milliarden erhöhten nun die Schuldenpläne für 2021 die seit Bestehen der Bundesrepublik über alle Finanzkrisen hinweg aufgebaute Bundesschuld auf einen Schlag um mehr als 30 Prozent. "Dies ist ein einmaliger Vorgang. Die von der Bundesregierung gezogenen Vergleiche zur Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 greifen daher zu kurz", so der Rechnungshof.

Ein Bemühen, die Kreditaufnahme auf das notlagenindizierte Maß zu begrenzen, sei "nicht erkennbar". So seien Konsolidierungsansätze nicht vorhanden. Der erforderliche enge Zusammenhang zwischen der höheren Kreditaufnahme und der außergewöhnlichen Notsituation sei zudem nicht bei jeder Maßnahme nachvollziehbar.

Die Finanzplanung lasse auch nicht erkennen, wie die vor der Corona-Krise bereits bekannten finanzwirtschaftlichen Herausforderungen angegangen werden sollen. Dazu zählte der Rechnungshof etwa die Folgen des demographischen Wandels für die Handlungsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme, die Übernahme der versicherungsfremden Leistungen, insbesondere aus der gesetzlichen Rentenversicherung, durch den Bundeshaushalt sowie den Umbau von Gesellschaft und Wirtschaft im Hinblick auf den Klimawandel.

Überveranschlagung bei der Kreditaufnahme

Bereits für den 2. Nachtragshaushalt 2020 habe man eine "erhebliche Überveranschlagung" konstatiert, erklärten die Prüfer. Dieser Befund dürfte sich zum Jahresende 2020 bestätigen.

Besser wäre es daher, auf Haushaltsentscheidungen ohne belastbare Faktenlage zu verzichten und sich stattdessen auf die Berücksichtigung der jetzt absehbaren Krisenbekämpfungsmaßnahmen im Haushalt 2021 zu konzentrieren. Im Frühjahr 2021 könnte dann bei nachgewiesenem Bedarf mit einem Nachtragshaushalt 2021 auf Basis aktueller Daten - insbesondere des Haushaltsabschlusses 2020 - wenn nötig nachgesteuert werden.

Deckungslücke von rund 130 Milliarden

Für die Jahre 2022 bis 2024 wiesen die Haushaltspläne zudem erhebliche Lücken auf. Insgesamt sieht der Rechnungshof für diese Jahre eine strukturelle Deckungslücke von insgesamt rund 130 Milliarden Euro. Diese müsse gegebenenfalls vollständig durch neue Kredite abgedeckt werden. "Die Finanzplanung ist damit nicht tragfähig, verfehlt ihren Zweck als mittelfristiges Planungsinstrument und überlässt schmerzhafte Konsolidierungsschritte der kommenden Bundesregierung", kritisierten die Prüfer.

Auch mahnten sie, dass die Jahre der anstrengungslosen Haushaltskonsolidierung dank fallender Zinsausgaben und steigender Steuereinnahmen vorbei seien. Dabei könnte die aktuell schwierige Haushaltslage nicht allein auf die Corona-Krise zurückgeführt werden. Vielmehr sei die aktuelle Haushaltslage auch das Resultat einer "schon vor der Krise verfolgten expansiven Ausgabenlinie, falscher Prioritätensetzungen sowie über Jahre unterlassener Konsolidierungsmaßnahmen z. B. bei den Steuersubventionen und sonstigen Steuervergünstigungen", monierte der Bundesrechnungshof.

Insgesamt sei die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen bei allen Gebietskörperschaften gefährdet. Denn auch die Länder verfolgten zum Teil Maßnahmen mit dem Effekt der Aushebelung oder zumindest Schwächung der Schuldenbremse sowie tragender Haushaltsgrundsätze. "Dies gefährdet die Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte insgesamt", warten die Prüfer in ihrem Bericht.

Scholz: Neuschulden zusammen 2020 und 2021 etwas über 300 Milliarden Euro

Trotz der nochmaligen Erhöhung der für 2021 geplanten Neuverschuldung hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) an der Erwartung festgehalten, dass die Neuverschuldung in diesem und nächstem Jahr zusammengenommen insgesamt gut 300 Milliarden Euro betragen werde. "Das sind Ausnahmehaushalte im Jahr 2020 und 2021", sagte Scholz bei einer Video-Pressekonferenz. "Aber es ist notwendig in einer besonderen Ausnahmelage, in der wir uns befinden."

Man müsse beide Jahre zusammen betrachten, und 2020 werde man den eingeräumten Rahmen von 218,5 Milliarden Euro "bei weitem nicht ausschöpfen", sagte Scholz voraus. Deshalb verschiebe sich Einiges in das Jahr 2021. Die Gesamtsumme werde "alles zusammen etwas über 300 Milliarden" Euro betragen. "Das, was dieses Jahr nicht gebraucht wird, wird im nächsten Jahr verbraucht", bekräftigte Scholz auf eine Nachfrage.

Angesichts der beschlossenen Beschränkungen warb der Vizekanzler für Geduld. "Und ich werbe dafür, dass wir zuversichtlich bleiben", sagte er. Die Einschränkungen seien "eine Zumutung", es sei ein Kraftakt. Jedoch sei Deutschland mit einer entschlossenen Reaktion wirtschaftlich bisher gut durch die Krise gekommen. Im dritten Quartal habe es einen beeindruckenden Aufschwung gegeben. "Das beweist, wo wir hinkommen können und werden." Zaudere man, werde man die Folgen später spüren.

Der Bund plant nach den jüngsten Festlegungen im Bundestags-Haushaltsausschuss für 2021 angesichts der Coronavirus-Pandemie und der damit verbundenen Finanzhilfen eine Neuverschuldung von 179,82 Milliarden Euro. Das hat der Ausschuss in seiner so genannten Bereinigungssitzung vereinbart, die von Donnerstag bis zum Freitagmorgen gedauert hatte. Der bisherige Etatentwurf von Scholz hatte 96,2 Milliarden Euro an neuen Schulden vorgesehen.

Scholz hatte zuvor schon betont, dass für 2020 nicht alle eingeräumten Mittel ausgegeben würden. Berichten zufolge könnte die Nettokreditaufnahme 2020 eher zwischen 160 und 200 Milliarden Euro liegen. Der Budgetplan für 2021, den das Parlament am 11. Dezember im Plenum beschließen will, sieht Ausgaben von 498,62 Milliarden Euro vor. Unter anderem werden die Mittel für Corona-Unternehmenshilfen um 37,5 Milliarden auf 39,5 Milliarden Euro und Gelder für eine Corona-Vorsorge als globale Mehrausgabe um 30 Milliarden auf 35 Milliarden Euro erhöht.

BERLIN (Dow Jones)

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