Der Weg in den DAX ist bereitet
Trotz des heftigen Kurssturzes und des Insolvenzantrags wäre die Wirecard-Aktie eigentlich noch bis September im DAX geblieben.
Denn das aktuelle Regelwerk der Deutschen Börse für die erste deutsche Börsenliga sieht in solchen Fällen keinen schnellen Austausch vor. Nur im Falle einer Abwicklung oder einer Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse muss ein Unternehmen nach den derzeitigen Regeln "umgehend" aus einem Auswahlindex herausgenommen werden. Ansonsten ist ein Rauswurf nur nach den "normalen" Kriterien möglich, die sich nach Marktkapitalisierung und Handelsumsatz richten. Demnach wäre Wirecard erst bei der September-Überprüfung nicht mehr im DAX zu halten gewesen.
Nach heftiger Kritik von vielen Marktteilnehmern soll diese Prozedur nun aber geändert werden. "Das Vertrauen in den Kapitalmarkt hat offensichtlich in den letzten Tagen gelitten. Als Marktplatzbetreiber ist es auch unsere Aufgabe, das Vertrauen in den Kapitalmarkt zu stärken", teilte der Frankfurter Marktbetreiber mit. "Deshalb haben wir uns entschlossen, die Regelwerke unter Einbindung der Regulatoren und die Regeln für die Zugehörigkeit zur DAX-Familie einer vertieften Prüfung zu unterziehen und zu überarbeiten." Die Vorschläge zur Veränderung des Regelwerks würden wie üblich mit den Marktteilnehmern besprochen, erklärte die Deutsche Börse.
Konkret soll künftig das Bekanntwerden eines Insolvenzantrages dazu führen, dass ein Unternehmen binnen zweier Handelstage aus den DAX-Indizes herausgenommen wird. Noch bis 7. August können die Marktteilnehmer zu dem Vorhaben Stellung nehmen. Spätestens am 13. August möchte die Deutsche Börse das Ergebnis der Umfrage unter Fondsmanagern, Händlern und anderen Investoren auswerten - und eine Entscheidung treffen. Bereits Mitte August könnte die DAX-Mitgliedschaft von Wirecard also Geschichte sein.
Nutznießer wäre Delivery Hero. Der Essenslieferdienst ist Nachrückkandidat Nummer eins. Auf der Rangliste Aktienindizes der Deutschen Börse für den Monat Juni belegte die Aktie die Plätze 26 und 33 hinsichtlich der Kriterien Börsenwert und Umsatz. Der "Konkurrent" Symrise wurde abgehängt und kommt nur noch auf die Ränge 27 und 38. Da für die Berechnung des Rangs Marktkapitalisierung der volumengewichtete 20-Tage-Durchschnittskurs zugrunde gelegt wird, dürfte sich daran wohl auch nichts mehr ändern. Denn um Delivery Hero zu überholen, müsste Symrise schon eine starke Aufholjagd hinlegen.
Auch abgesehen von der Indexphantasie läuft es bei Delivery Hero hervorragend. Das Auftragswachstum hat sich im zweiten Jahresviertel nach einem anfänglichen Einbruch im April im Vergleich zum zweiten Quartal des Vorjahres auf 94 Prozent beschleunigt, wobei im Juni die Zahl der Bestellungen im Vergleich zum gleichen Monat des Jahres 2019 sogar um 104 Prozent gestiegen ist. Der Bestell-Boom macht Lust auf das vollständige Trading-Update für das zweite Quartal, das am 28. Juli veröffentlicht wird. Gepaart mit der DAX-Phantasie dürfte es daher nicht mehr lange dauern, bis der Titel die Marke von 100 Euro nachhaltig überwindet. Dazu bietet sich eine heiße Spekulation an: Mit einem Discount Call der HVB sind bereits im September satte 93,1 Prozent, wenn das künftige DAX-Mitglied dann mindestens bei 100 Euro steht (ISIN DE000HW0DD89).
Christian Scheid ist seit rund 18 Jahren als Wirtschafts- und Finanzjournalist tätig, davon seit circa zehn Jahren als freier Autor. Aktuell schreibt er für mehrere deutschsprachige Fachmagazine und -zeitungen in den Bereichen Aktien und Derivate, darunter Börse Online, Capital, Euro am Sonntag und Zertifikate // Austria. Per 1. Juli 2014 kehrte er zum ZertifikateJournal zurück, wo er bis Ende 2009 schon einmal tätig war und die damalige Österreich-Ausgabe des ZJ verantwortete. Hier können Sie sich zum Gratis-Newsletter anmelden: ZertifikateJournal
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