Börse Frankfurt-News: "Die Linkssteile macht Anleger chancenlos" (pfp Advisory)
FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Fondsmanager Christoph Frank über die zurzeit geltenden "Regeln" am Aktienmarkt und was diese für aktive Anleger und Fondmanager bedeuten.
13. November 2023. "Affe schlägt Investmentprofis": Die Geschichte vom Affen, der Dartpfeile auf den Kursteil des "Wall Street Journal" warf und mit den so getroffenen Aktien eine bessere Rendite erzielt haben soll als die meisten Investmentprofis, geistert seit Jahrzehnten in allerlei Varianten durch Zeitungen und das Internet. Ob es diesen Affen in der realen Welt überhaupt gab, und falls ja, welcher Affe der erste war und wann er seine Pfeile warf, oder ob es nicht doch eher ein Redakteur mit verbundenen Augen war, lässt sich heute nicht mehr zweifelsfrei klären. Selbst die Trefferquoten, die bei diesem Experiment aufgetreten sein sollen, werden unterschiedlich überliefert. Unabhängig von der wackeligen Quellenlage wird die Geschichte bis heute gerne von interessierter Seite herausgekramt, um die vermeintliche Nutzlosigkeit professioneller oder aktiver Managementansätze zu illustrieren.
Ich will heute aber auf einen weniger beachteten Aspekt dieser populären Geschichte hinaus, der im aktuellen Börsenumfeld eine erstaunliche Relevanz hat. Stellen wir uns vor, dass wir sehr viele Affen (oder Redakteure) Dartpfeile werfen lassen und so im Lauf der Zeit sehr viele Zufallsportfolios "zusammenwürfeln". Wir würden erwarten, dass sich die Renditen innerhalb der meisten Einzelportfolios einigermaßen gleichmäßig verteilen. Es gäbe ein paar Highflyer und ein paar krasse Verliereraktien. Die große Masse des Portfolios würde allerdings aus "grauen Mäusen" nahe der Durchschnittsrendite bestehen. Ungefähr die Hälfte der Aktien sollte unter der Durchschnittsrendite landen, etwa die andere Hälfte darüber.
Genau diese glockenähnliche Verteilung der Renditen, die die meisten Anleger(innen) mit mathematischem Gespür intuitiv erwarten, sollte gemäß dem Gesetz der großen Zahlen auch in der Praxis am Aktienmarkt auftreten, sofern die zusammengestellten Portfolien halbwegs diversifiziert sind. Bei gängigen Aktienindizes ist diese Voraussetzung meistens gegeben. Erstaunlicherweise gelten zurzeit am Aktienmarkt allerdings komplett andere "Regeln".
Beispielsweise lagen am Freitag beim US-amerikanischen S&P 500 nur 129 der 503 Indexmitglieder über der Rendite, die dieser wichtige Leitindex in den vergangenen zwölf Monaten eingefahren hat. (Die Zahl "503" ist kein Tippfehler - der S&P 500 enthält 500 Unternehmen, aber zurzeit 503 Aktien, da er jeweils zwei Aktiengattungen von Alphabet, Fox und News Corp. einbezieht.) Mit anderen Worten: Nur knapp 26 Prozent aller Mitglieder dieses sehr breit diversifizierten Aktienbarometers erreichten wenigstens die Indexrendite, über 74 Prozent lagen darunter.
Hierzulande sieht es mitnichten anders aus: Beim deutschen Leitindex DAX übertrafen in den vergangenen zwölf Monaten lediglich 35 Prozent die Indexrendite, beim MDAX immerhin noch 44 Prozent. Den Vogel schossen indes die Small Caps ab: Beim SDAX betrug die Quote unfassbar niedrige 21 Prozent. Lediglich 15 der 70 Indexmitglieder schafften eine Outperformance, 55 nicht! Eine derart linkssteile Verteilung der Aktienrenditen habe ich in meiner bisherigen Börsenlaufbahn noch nicht gesehen, und die besteht mittlerweile auch schon seit rund 30 Jahren.
Was bedeutet das für unsere Affen? Unabhängig davon, wie ihre Darts in der Dartscheibe landeten, waren ihre Chancen, den deutschen Aktienmarkt in den letzten zwölf Monaten zu übertreffen, gering, und wenn sie sich auf den Small-Cap-Sektor konzentrierten, sogar nahe bei Null. Die Aussichten für die Profis, von denen ich glaube, dass einige von ihnen viel bessere Fähigkeiten zur Aktienauswahl haben als Affen oder Redakteure mit verbundenen Augen, waren angesichts der linken Seite der Renditeverteilung kaum besser. Daher überrascht es mich nicht, dass es nur wenigen Fondsmanagern gelang, die Benchmark oder bekannte Indizes in diesem Zeitraum zu schlagen.
Doch was bedeutet das für die Zukunft? Wie schon bei der frappierenden Schwäche der Small Caps (vgl. meine Kolumne vom 2. Oktober 2023), halte ich auch in diesem Fall eine Rückkehr zur Normalität für wesentlich wahrscheinlicher als ein Fortbestehen der Anomalie. Um zum Normalzustand zurückzukehren, könnte eine für aktive Anleger bzw. Fondsmanager extrem undankbare Gemengelage im besten Fall folglich schon bald durch das glatte Gegenteil abgelöst werden. Und das wären doch wahrlich gute Nachrichten für Stock-Picker.
Von Christoph Frank, 13. November 2023, © pfp Advisory
(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)