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Draghis Showdown: Die Folgen für Anleger

20.01.15 03:00 Uhr

Draghis Showdown: Die Folgen für Anleger | finanzen.net
Mario Draghi

Beobachter erwarten, dass die EZB am Donnerstag groß angelegte Staatsanleihekäufe ankündigen wird. Der historische Schritt ist heftig umstritten - die Börse könnte er trotzdem anschieben.

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von Andreas Höß, Euro am Sonntag

Wenn der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) seinen Worten besonderes Gewicht verleihen will, entledigt er sich gern seiner Brille, um seinem Gegenüber direkt in die Augen zu sehen. Auch bei der EZB-Sitzung am Donnerstag wird Mario Draghi diesen Kunstgriff wohl anwenden - obwohl ihm Beobachter, Gegner und Anhänger ohnehin gebannt zuhören werden. Denn die meisten Experten erwarten eine historische Ankündigung: Die EZB könnte für Hunderte Milliarden Euro Staatsanleihen kaufen und damit erstmals in ihrer Geschichte ein echtes Quantitative Easing auflegen.

Die QE genannte ultimative Waffe setzen Währungshüter ein, wenn wie derzeit in Europa die Zinsen bereits nahe null liegen und keine Zinssenkungen mehr möglich sind, um Wirtschaft und Preise zu stabilisieren.

Funktionieren soll das so: Die Notenbank druckt Unmengen an Geld und flutet damit über Wertpapierkäufe die Finanzmärkte. Sie hofft, dass das Kapital in der Wirtschaft ankommt, wo es für Wachstum und höhere Inflationsraten sorgen soll (siehe Investor-Info). Die Notenbanken in England, Japan oder den USA haben die sogenannte Atombombe der Geldpolitik längst eingesetzt. Allein die US-Notenbank Fed hat seit der Finanz­krise für fast 4.000 Milliarden US-Dollar Wertpapiere gekauft.

Notfalls werde man Geld aus dem Helikopter abwerfen, um Deflation und Wirtschaftskrise zu verhindern, erklärte der damalige Fed-Chef Ben Bernanke das QE-Prinzip einmal. In Europa ist die Maßnahme aber eher so umstritten wie der Abwurf von Massenvernichtungswaffen. Selbst im geldpolitischen Rat der EZB, der am Donnerstag über das Kaufprogramm entscheiden muss, ist der Konflikt so groß, dass sich die sonst so verschwiegenen Notenbanker öffentlich duellieren.

Streit im EZB-Rat
Auf der einen Seite: die Kritiker der geplanten Anleihekäufe, angeführt von Bundesbankpräsident Jens Weidmann und EZB-Direktorin Sabine Lautenschläger. Für sie ist der Kauf von Staatspapieren aus Deutschland, Frankreich, aber auch aus Krisenländern wie Griechenland ein Tabu, weil das zumindest indirekt einer Staats­finanzierung mit der Notenpresse gleichkäme. Diese ist der Zentralbank der 19 Eurostaaten verboten. Außerdem warnen sie, dass die Geldflut Finanzblasen verursachen und die Eurostaaten animieren könnte, sich stärker zu verschulden. Lautenschläger sagte vor wenigen Tagen, sie sei von Staatsanleihekäufen "nicht überzeugt". In der Sprache der Notenbanker ist das ein vehementer Protest.

Auf der anderen Seite: die Befürworter, allen voran EZB-Chef Draghi. Er befürchtet sinkende Preise, die Verbraucher und Unternehmen dazu veranlassen könnten, Investitionen immer weiter hinauszuschieben. Das schade der Wirtschaft und gefährde die Preisstabilität, weshalb die EZB eingreifen müsse. Draghi ließ bereits durchblicken, dass man dabei Kritiker in den eigenen Reihen notfalls überstimmen werde. Das sollte funktionieren. Beobachter gehen davon aus, dass die Befürworter von Staatsanleihekäufen im geldpolitischen Rat klar in der Mehrheit sind.

Juristischer "Freibrief" für EZB
Auch juristisch gab es vergangene Woche Rückendeckung für den geldpolitischen Kurs der EZB. Im Jahr 2012 hatte sie schon mal angekündigt, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen - allerdings nicht flächendeckend, sondern nur aus Krisenländern. Das Programm wurde nie gestartet, trotzdem hat eine Gruppe um den CSU-Politiker Peter Gauweiler ­geklagt. Am Mittwoch signalisierte ein Gutachter des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), dass er Staatsanleihekäufe der EZB für legitim halte, wenn diese sich an einige Auflagen hält, wie zum Beispiel die Anleihen nicht direkt von Eurostaaten zu kaufen. Der EuGH, der im Herbst sein Urteil spricht, folgt in der Regel der Meinung seiner Gutachter. "Das ist ein juristischer Freibrief", sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.

Die Entwicklung der Preise in der Eurozone bescherte der Fraktion um Draghi ebenfalls gute Argumente. Der Absturz des Ölpreises hat die Inflationsrate Ende 2014 ins Negative gerissen, die Deflationsgefahr wird realer. Und, noch wichtiger: Im Moment gehen die Akteure an den Finanzmärkten davon aus, dass die Teuerung erst in zehn Jahren wieder die von der EZB angepeilten zwei Prozent erreicht. Für die Notenbanker ist das ein Warnsignal. Investoren scheinen nicht mehr daran zu glauben, dass die Währungshüter für stabile Preise sorgen können.

Es geht ums Ganze
Es steht also auch die Glaubwürdigkeit der EZB auf dem Prüfstand - jener Institution, die mit wenigen Worten und vielen Milliarden den Euro gerettet und dafür gesorgt hat, dass sich Staaten wie Italien oder Spanien trotz zum Teil mangelnden Reform­eifers so günstig verschulden können wie nie. Die EZB müsse "nun liefern, sonst würden die Zinsen sofort wieder steigen", sagte jüngst Ignazio Visco, Italiens Mitglied im EZB-Rat.

Das weiß auch Draghi, der seit Langem die QE-Erwartungen schürt. Im November hat er die Ratsmitglieder unterschreiben lassen, dass die EZB ihre Bilanz um 1.000 Milliarden Euro ausweiten wird, was etwa zehn Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung der Eurozone entspricht. Zuletzt hatte die EZB begonnen, ABS-Papiere und Pfandbriefe zu kaufen. Um auf die geplante Summe zu kommen, sind aber Käufe im größten Anleihesegment nötig, dem für Staatspapiere.

Davon geht man zumindest an den Finanzmärkten aus. Allein die Aussicht auf den Einsatz des letzten Mittels hat dort zu starken Bewegungen geführt. Die Kurse für Staatsanleihen sind gestiegen, deren Zinsen und Renditen im Gegenzug gefallen. Auch der Euro hat in Erwartung der Geldflut nachgegeben, was einem heimlichen Konjunkturprogramm für die europäische Exportwirtschaft gleicht und an den Devisenmärkten Turbulenzen verursacht hat: Weil durch EZB-Käufe weitere Verluste der Gemeinschaftswährung zu erwarten sind, musste die Schweizer Notenbank am 15. Januar ihre teuren Interventionen am Devisenmarkt aufgeben, die den Schweizer Franken zum Euro stabil halten sollten.

Spekulationen um das Paket
Trotz der Verwerfungen lechzen Investoren förmlich nach dem frischen Geld. Zugleich beurteilen viele Analysten die wirtschaftlichen Auswirkungen eines QE skeptisch. Eine Modellrechnung der US-Bank Morgan Stanley ergab, dass eine Geldinjektion von 1.000 Milliarden Euro die Wirtschaftsleistung und die Inflation in der Eurozone nur um je 0,4 Prozent anheben würde. Die Schätzungen der EZB sollen gar noch tiefer liegen.

Die Börsen könnten hingegen profitieren. So erwarten Analysten an den Aktienmärkten höhere Gewinne als an den Anleihemärkten, wo ein QE weitestgehend eingepreist sei. "In den letzten Monaten hatten wir Jo-Jo-Börsen. Immer wieder stürzten die Kurse ab und die Geldflut hob sie", sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer. Drehe die EZB den Geldhahn weiter auf, könne man davon ausgehen, dass sie damit auch die Aktienkurse längerfristig weiter anhebe.

Bleibt die Frage, wie dieses Aufdrehen des Geldhahns konkret aussehen könnte. Börsianer rechnen damit, dass die EZB für 500 Milliarden Euro Staatsanleihen und eventuell für 100 Milliarden andere Papiere wie Unternehmensanleihen kaufen wird. Varianten gäbe es dafür viele. So könnte die EZB die Anleihekäufe an die nationalen Notenbanken delegieren, die dann auf eigene Rechnung Papiere aus dem Heimatland kaufen. Selbst Euroaustritte einzelner Staaten wären so möglich, ohne dass andere ­ Euromitglieder auf großen Verlusten sitzen blieben. Eine charmante Art, um Skeptiker wie Bundesbankprä­sident Weidmann zu besänftigen, glaubt man bei der Commerzbank. Weil die Schulden nicht vergemeinschaftet würden, bliebe der Reformdruck auf Staaten wie Griechenland hoch, wo bald gewählt wird.

Andere gehen davon aus, dass die EZB selbst als Käufer auftreten wird. Und auch auf die Frage, wie viele Anleihen welcher Länder gekauft werden, gibt es verschiedene Antworten. Häufig wird der Kapitalschlüssel der EZB als plausibelste Variante genannt. Denkbar ist auch eine Aufteilung nach ausstehenden Schulden oder Bonitätsratings. Es bleibt also Raum für Spekulationen, die die Börsen mindestens bis Donnerstag in Atem halten dürften.

Investor-Info

Geldpolitik
So funktioniert das QE

Die Europäische Zentralbank (EZB) will Geld drucken und es über Staatsanleihekäufe in den Finanz- und Wirtschaftskreislauf pumpen, um fallende Preise und Wirtschaftsschwäche zu bekämpfen. Diese Bilanzausweitung nennt man Quantitative Easing (QE). Das QE soll seine Wirkung auf verschiedene Weise entfalten. Erstens: Die EZB senkt durch ihre Käufe die Zinsen und Renditen am Anleihemarkt. Es wird also billiger, sich zu verschulden. Zweitens: Weil die EZB die Staatsanleihen nicht direkt von Eurostaaten, sondern bei Banken und anderen Investoren kauft und die Papiere faktisch dem Handel entzieht, wird Kapital frei, das diese anlegen können. Das Kalkül: Banken vergeben mehr Kredite an Unternehmen und Verbraucher, die ihrerseits Investitionen tätigen - Unternehmen etwa in Maschinen, Verbraucher in Immobilien oder Autos. Drittens ziehen durch die niedrigen Zinsen bei Staatsanleihen andere Anlageklassen wie Immobilien oder Aktien mehr Investoren an. Deren Wert steigt und damit die Vermögen in der Eurozone. Das kurbelt den Konsum an. Zusammen sollen diese Effekte für Wirtschaftswachstum sorgen. Preise und Löhne steigen wieder, die Inflationsrate erhöht sich.

Finanzmärkte
Von der Geldflut angehoben

Die durch Staatsanleihekäufe freigesetzte Liquidität schiebt auch Aktienkurse an. So profitierten US-Aktien davon, dass die US-Notenbank Fed seit 2008 mit vier Wertpapier-Kaufprogrammen ihre Bilanzsumme ausweitete. Auffällig: Drehte die Fed den Geldhahn zu, gaben die Kurse jeweils nach. Kündigt also die EZB Staatsanleihekäufe an, sollte das auch die Aktienkurse in Europa stützen. Anleger können darauf mit einem ETF auf den Eurozonen-Aktien­index Euro Stoxx 50 (ISIN: IE 000 847 100 9) oder den DAX (DE 000 593 393 1) setzen.

Euro
Bald Parität zum US-Dollar

Die US-Notenbank hat ihre Anleihekäufe eingestellt und denkt über Zinserhöhungen nach, die EZB lockert hingegen ihre Geldpolitik. Das schwächt den Euro. Seit Sommer 2014 hat er gegenüber dem US-Dollar rund 15 Prozent an Wert verloren. Glaubt man beispielsweise einer Schätzung der US-Bank BNY Mellon, könnte die Parität zum Dollar Ende des Jahres erreicht sein, was einem weiteren Wertverlust von 15 Prozent entspräche. Anleger können darauf mit einem Zertifikat Long USD Short Euro (ISIN: DE 000 A1E K0V 2) setzen.

Bildquellen: Jorg Hackemann / Shutterstock.com, Andreas Böttcher/ECB