Irak: Zwischen Angst und Lebenslust
Nach 30 Jahren Krieg beginnt der Irak sich langsam zu stabilisieren. Vor allem Ölgesellschaften wittern nun ihre Chance auf gute Geschäfte. Das Potenzial des Zweistromlands ist gewaltig.
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von Emmeran Eder, Euro am Sonntag
Das Riesenölfeld Rumaila im Süden Iraks verfügt über ein explosives Erbe aus der Zeit des Kriegs. Der Diktator Saddam Hussein ließ kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner quer über das Ölfeld insgesamt 100.000 Minen verlegen, um so deren Vormarsch zu stoppen. Die Leidtragenden sind inzwischen Kamele, die rund um Rumaila regelmäßig in die Luft fliegen.
Rumaila zeigt symptomatisch die Schwierigkeiten, mit denen in- und ausländische Unternehmen im Zweistromland zu kämpfen haben. Zehn Jahre nach Kriegsende behindert die prekäre Sicherheitslage das Geschäftsleben enorm. Die Zahl der Anschläge ist zwar deutlich zurückgegangen. Aber nach wie vor ist das Reisen im Land mit Gefahren verbunden, besonders im Raum Bagdad ist die Sicherheitslage schlecht. Im Süden Iraks bessert sie sich allmählich. Nur im autonomen Kurdistan im Norden können sich die Einwohner relativ gefahrlos bewegen.
Es ist unklar, wer hinter den immer noch häufigen Terroranschlägen steckt. Die Sunniten fühlen sich von der Mehrheit der Schiiten benachteiligt. Die Kurden als dritte wichtige Volksgruppe streben nach mehr Unabhängigkeit. Hinzu kommen Al Kaidas Gotteskämpfer.
Mit dem vollständigen Abzug der US-Truppen im Dezember 2011 ging ein wichtiger Stabilitätsfaktor verloren. Bisher erfüllte sich die Befürchtung jedoch nicht, der Bürgerkrieg werde zurückkommen.
Konflikte schwelen weiter
„Das drängendste Problem ist die zerrüttete Regierung“, sagt Guido Steinberg, Irak-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Ministerpräsident Nuri al-Maliki hat seit seinem Amtsantritt 2006 alle wichtigen Posten mit schiitischen Gefolgsleuten besetzt und versucht, den Einfluss der Sunniten und Kurden zu reduzieren. Dabei geht er nicht zimperlich vor. Menschenrechtsorganisationen werfen ihm vor, er sei ein Diktator. Die Spannungen zwischen den ethischen und religiösen Gruppen schwelen unter der Oberfläche weiter und können jederzeit wieder ausbrechen.
Trotzdem beginnt sich das Land von den Kriegswirren der vergangenen 30 Jahre zu erholen. 2012 legte die Wirtschaftskraft um 10,2 Prozent zu, dieses Jahr soll sie nach Angaben des IWF um 15 Prozent steigen. Der Grund dafür hat einen Namen — Öl. Irak verfügt nach Saudi-Arabien über die größten globalen Reserven an normal förderbarem Rohöl. Dazu kommt der Vorteil, dass es einfach und billig aus dem Boden zu holen ist. Die Förderung zog zuletzt kräftig an. Inzwischen werden täglich 3,2 Millionen Barrel produziert. Vor Kurzem wurde sogar der Iran überflügelt, was aber an den Sanktionen gegen das Mullah-Regime liegt. Bis 2020 soll sich die Förderung verdoppeln. Gut 90 Prozent des Staatshaushalts machen die Öleinnahmen aus.
Sonst läuft es nicht so rund. Die Infrastruktur ist in katastrophalem Zustand, der Wiederaufbau erfolgt schleppend. Einen Container in Mesopotamien an sein Ziel zu bringen, dauert dreimal so lange und ist viermal so teuer wie in der Türkei.
Viele Branchen liegen brach
Früher wichtige Sektoren wie Chemie, Maschinenbau und Landwirtschaft existieren nur noch rudimentär. Getreide und Reis, die in dem fruchtbaren Zweistromland hervorragend gedeihen, werden importiert. Ein Großteil der Bevölkerung wird über Lebensmittelprogramme versorgt. Ein Viertel der Familien lebt in Armut, die Erwerbslosenquote wird auf gut 30 Prozent geschätzt. Wegen hoher Ölexporte hat Irak dennoch einen Haushalts- und Leistungsbilanzüberschuss.
Neben der politischen Lähmung, der prekären Sicherheitslage sowie der maroden Infrastruktur bereiten Korruption, Bürokratie und mangelhafte Überwachung der Geldströme große Probleme. 30 bis 60 Milliarden Dollar an Hilfe aus den USA sollen in Irak und Afghanistan verschwendet worden und teilweise in dunklen Kanälen versickert sein, ergab der Bericht einer US-Kommission.
Überhaupt sind nicht die Amerikaner die Gewinner des irakischen Aufschwungs, sondern die Türken. Deren Exporte ins Nachbarland kletterten seit 2004 von zwei auf 10,8 Milliarden US-Dollar. Ankara fährt die Friedensdividende ein.
Deutsche Firmen halten sich wegen der hohen Kosten für die Sicherheit zurück und spielen nur eine untergeordnete Rolle bei den Importen. Wenn schon, dann sind deutsche Firmen in Kurdistan tätig, da dort die Gefahren geringer sind und die Stromversorgung, anders als im übrigen Irak, gewährleistet ist.
Siemens, Lufthansa, Knauf, Blechschmidt, MAN und einige Beratungs- und Ingenieurfirmen haben dort größere Büros. „Die Deutschen müssen vor lauter Vorsicht aufpassen, den Boom nicht zu verpassen“, warnt Christoph Witte, Irak-Experte des Kreditversicherers Delcredere. Die Ölmultis sind dagegen das Arbeiten in Krisengebieten gewohnt. Neben US-Branchenriesen wie Exxon, Chevron oder Haliburton sind auch die britische BP, Total aus Frankreich oder die italienische Eni vertreten. Auch die Chinesen fehlen nicht. Kein Wunder: Die Förderkosten für Öl sind in Brasilien oder Kasachstan fünfmal so hoch.
Nervös macht die Multis zunehmend, dass sich Kurdistan und die Zentralregierung nicht über die Verteilung der Einnahmen aus den kurdischen Ölquellen einigen können. Bagdad bestraft sogar Konzerne, die in Kurdistan Öl fördern, mit dem Ausschluss von Projekten im übrigen Irak. Zudem kam es mehrmals zu Zusammenstößen zwischen kurdischen und irakischen Soldaten.
Schwieriger als für die Ölkonzerne ist es für Anleger, im Irak Geld zu verdienen. Eine Börse gibt es zwar seit 2004, sie ist aber nur zwei Stunden täglich geöffnet. Die Kapitalisierung ist gering. Im irakischen Aktienindex ISX sind 85 Firmen vertreten. Im Februar gelang der Telekomfirma Asiacell der bisher größte Börsengang Iraks. Die Gesellschaft hat eine Kapitalisierung von 1,3 Milliarden US-Dollar. Das ist fast die Hälfte des Gesamtvolumens der Börse Bagdad. Neben Asiacell stellen Banken, Agrar- und Touristikfirmen das Gros der Aktien.
Bisher können nur institutionelle Anleger im Irak investieren. Es gibt zwar einen skandinavischen und einen US-Irak-Fonds, beide verlangen aber 100 000 Dollar Mindestbeitrag. In Stuttgart ist eine bis 2028 laufende Irak-Anleihe notiert. Wegen des noch nicht ganz geklärten Prozederes bezüglich des Erlasses irakischer Auslandsschulden, ist aber davon derzeit abzuraten. Jedoch plant die Bagdader Börse, einige Aktien in London oder New York zu listen.
Anleger sollten diese Entwicklung verfolgen. „Denn trotz aller Risiken hat der Irak ein gigantisches Potenzial. Auch, weil die riesigen Gasreserven noch kaum erschlossen sind“, sagt Witte. Investoren brauchen Mut. Ein irakischer Offizieller bringt es auf den Punkt: „Angsthasen haben hier nichts zu suchen.“