Anlagestrategie

Technologieaktien: Ein Blick für das, was man nicht sieht

18.05.11 09:00 Uhr

Technologiewerte waren um die Jahrtausendwende bei vielen Anlegern gefragt, zehn Jahre später interessiert die Branche kaum noch. Es geht darum, sich auf das zu konzentrieren, was man heute nicht sieht, aber morgen sehen wird.

Gastautor Didier Le Menestrel

Frédéric Bastiat, französi­scher Ökonom und Politiker des 19. Jahrhunderts, sprach im Rahmen seiner wirtschaftlichen Betrachtungen gerne von dem, „was man sieht und was man nicht sieht“. Ob er sich zu Steuern, staatlichen Subventionen oder der Rolle von Krediten äußerte, stets war er ein leidenschaftlicher Verteidiger des Nicht-Interventionismus, ein überzeugter Liberaler, der in Frank­reich in Vergessenheit geraten ist, aber von einem der berühmtesten Ökonomen des 20. Jahrhunderts, Joseph Schumpeter, gern zitiert wurde.

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Wie das politische Empfinden von Frédéric Bastiat auch gewesen sein mag, in seinem Gleichnis von der zerbrochenen Glasscheibe kommt der Politik keine zentrale Bedeutung zu. Ein Kind zerbricht die Vitrine seines Vaters. Dieser lässt daraufhin einen Glaser kommen, der die Vitrine für sechs Francs repariert. Diese sechs Francs, die sich nun im Umlauf befinden und den Geldbeutel des Glasers füllen, sind „das, was man sieht“, was zu der Aussage führt, dass eine zerbrochene Glasscheibe die Wirtschaft ankurbelt. Aber durch die erzwungene Ausgabe ist der Vater nicht in der Lage, ein Paar neue Schuhe zu kaufen. Dadurch wiederum wird ein anderer Händler nicht von den sechs Francs profitieren, das ist „das, was man nicht sieht“, und das, was zu dem Gedankengang führt, dass es nicht ausreicht, Glasscheiben zu zerbrechen, um die Wirtschaft anzukurbeln.

Branchenschätzungen immer
schneller und detaillierter

Die Woge der Bilder, die uns seit dem dramatischen Erdbeben in Japan überrollt, wird in unserem Metier von vielen Zahlen und verschiedenen Messgrößen begleitet. Die materiellen Schäden in Japan belaufen sich auf 200 Milliarden US-Dollar, die Kosten der Katastrophe für sämtliche Rückversicherer betragen geschätzte 24 Milliarden Dollar. Bei jeder Krise wird „das, was man sieht“, immer schneller und detaillierter geschätzt.


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Die Bewertung der Kosten eines Erdbebens liefert kurzfristige Informationen über den Rückgang des japanischen BIP in den beiden nächsten Quartalen. Aber diese Daten sind für den langfristigen Anleger, der wie Frédéric Bastiat seinen Blick auf das richten muss, „was man nicht sieht“, wenig hilfreich. Was man nicht sieht, das sind die 13,7 Billionen Dollar an Ersparnissen in Japan, welche die 200 Milliarden Dollar, die vom Tsunami vernichtet wurden, relativieren und beweisen, dass das japanische Volk zusätzlich zu seinem bewundernswerten Durchhaltevermögen auch über die für den Aufbau erforderlichen Ressourcen verfügt. Was man auch nicht sieht, das sind die höheren Kosten, welche die Rückversicherer nach dem Erdbeben abwälzen werden. Eine Erhöhung des Engagements im Rückversicherungsgeschäft bedeutet nicht nur, einen gegenläufigen Ansatz unter Beweis zu stellen, sondern auch die Schnelligkeit der Preisanpassun­gen in dieser Branche zu bewerten. Es geht darum, sich auf das zu konzentrieren, was man heute nicht sieht, aber morgen sehen wird.

Denn es ist eine Realität in unserem Metier: Das Vorliegen einer attraktiven Kapitalanlagemöglichkeit zeigt sich nicht auf den ersten Blick. So waren 2006 „das, was man sieht“, die Bilanzen der Banken, die angemessen erschienen, „das, was man nicht sieht“, waren jedoch die enormen außerbilanziellen Posten, die dann 2008 zutage traten.

Was heute noch gut ist, kann
morgen schon obsolet sein

Die Versuchung, sich auf unmittelbar zugängliche Informationen zu konzentrieren, sich mit den unmittelbar verfügbaren Zahlen zufrieden zu geben, ist groß.

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Die momentanen Zahlen, welche die Anpassungsfähigkeit der Menschen im Allgemeinen und der guten Manager im Besonderen stets herabsetzen, außer Acht zu lassen und Reflexhandlungen („Ich schalte den Fernseher ein und ich verkaufe alles!“) zu misstrauen – das sind Regeln, die man in diesen turbulenten Zeiten im Auge behalten sollte. Regeln, die man ganz im Sinne Bastiats so zusammenfassen könnte: Vergessen wir nicht, den Blick darauf zu richten, was man nicht sieht.

zur Person:

Didier Le Menestrel Chairman von
Financière de l’Echiquier
Der Autor ist Mitglied der Société Française des Analystes und gehört dem Verwaltungsrat der Association Française de Gestion an.
Die unabhängige französische Fondsboutique Financière de l’Echiquier wurde 1991 gegründet. Sie ist auf Stock-Picking spezialisiert und verwaltet derzeit ein Vermögen von rund 5,3 Milliarden Euro.