Finanzielle Repression: Triebfeder für Übernahmen?
In den letzten Monaten ließen sich vermehrt Unternehmens übernahmenan den internationalen Kapitalmärkten beobachten.
Ist das nur ein kurzzeitiger Trend oder könnte es sich mittelfristig als zusätzliche Triebfeder für den Aktienmarkt erweisen?
Die Bekanntgabe einiger großer Übernahmetransaktionen in den ersten Monaten des Jahres 2013 führte zu einer gestiegenen Aufmerksamkeit bezüglich Unternehmensübernahmen internationaler Investoren. Das scheint zwar nur eine Momentaufnahme zu sein, doch könnte sich daraus ein Trend entwickeln, der insbesondere von drei Treibern weitergetragen werden dürfte:
1. Gesunde Unternehmensbilanzen
2. Niedrige Zinsen mit günstigen Refinanzierungsmöglichkeiten
3. Knappes Wachstum
Gesunde Unternehmensbilanzen
Globale Unternehmen (ohne Finanzdienstleister) – allen voran US-amerikanische – haben im Zuge der Finanzmarktkrise ihre Investitionen und damit ihre Kosten drastisch heruntergefahren. Mit dem Resultat, dass deren Verschuldungsgrad, gemessen am Verhältnis von Nettoverschuldung zum Ergebnis vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen auf Sachanlagen und Abschreibungen auf immaterielle Vermögenswerte, in Richtung eines langfristigen Tiefpunkts tendierte. Aktuell liegt der Verschuldungsgrad glo baler Unternehmen bei 1,5 und damit 13 % unterhalb des 20-jährigen Durchschnitts.
Zu beobachten sind allerdings regionale Differenzen. Die Kürzung von Investitionen und damit Kosten war vor allem bei angelsächsischen Unternehmen aus den USA und Großbritannien stark ausgeprägt. Sie reduzierten ihren Verschuldungsgrad zwischen dem dritten Quartal 2009 und dem vierten Quartal 2010 bzw. 2011 um ca. 40 %. Interessant aber auch: Im Zuge der konjunkturellen Erholung 2011 weiteten US-amerikanische Unternehmen – im Gegensatz zu z. B. Firmen aus Großbritannien– ihr Verhältnis von Nettoverschuldung zu EBITDA nicht wieder überproportional aus, sondern liegen mit einem aktuellen Verschuldungsgrad von 1,3 nach wie vor 15 % unterhalb des langfristigen Durchschnitts der letzten 20 Jahre.
Dieses Entschulden bzw. „Deleveraging“ insbesondere der US-amerikanischen Unternehmen führte in den letzten Jahren dazu, dass die Unternehmen (ohne Finanzdienstleister) nicht nur ihre Bilanzen bereinigen konnten, sondern auch aus der Geschäftstätigkeit heraus einen höheren Nettozufluss an liquiden Mitteln, gemessen am freien Cashflow in % des Bruttoinlandsprodukts (BIP), erzielen konnten, wie Schaubild 2 veranschaulicht. So liegt der freie Cash flow US-amerikanischer Unternehmen bei aktuell 4,4 % des US-BIPs und damit nahe an seinem Allzeithoch von 4,7 %. Für die G-4-Staaten (USA, Europa, Großbritannien und Japan) stieg er bis Ende 2010 auf 4 % an, während er sich Mitte 2009 noch bei knapp 2 % des BIPs der G-4-Staaten bewegte.
Das Ergebnis: Durch den stärkeren Abbau der Verschuldung im Zuge der Finanzmarktkrise und einem gestiegenen Nettozufluss an liquiden Mitteln in den letzten Jahren konnten US-Unternehmen ihre Liquidität (Netto-Cashflow) nahezu verdoppeln. Sie sitzen per März 2013 auf einem finanziellen Polster von über 1,7 Billionen US-Dollar (siehe Schaubild 3). Zum Vergleich: Europäische Unternehmen horteten per Ende 2012 etwa 475 Mrd. US-Dollar in Cash.
US-Unternehmen sitzen auf über 1,7 Billionen US-Dollar an liquiden Mitteln
Herausforderung: Niedrigzinsumfeld
Fast logisch, dass die Vorstände sich nun verstärkt wieder Gedanken machen, wie sie ihre freien Mittel einsetzen, zumal „Cash“ im derzeitigen Niedrigzinsumfeld mit teils negativen Realrenditen wenig rentierlich erscheint. Für Unternehmen könnten sich u.a. zwei Optionen bieten:
1. Höhere Investitionstätigkeit: Die Unsicherheit über die weitere globale konjunkturelle Entwicklung scheint zunehmend einem breiteren Optimismus zu weichen. Unternehmen blicken laut diversen Frühindikatoren wieder zuversichtlicher in die Zukunft und sind demnach auch willens, ihre Investitionstätigkeit zu erhöhen. Zuletzt erkennbar: Die Investitionsausgaben (Capex) stiegen in den USA und den Wachstumsländern auf ein neues Allzeithoch.
2. Gestiegene Übernahmeaktivität: Unternehmen mit einem hohen Anteil an freien liquiden Mitteln könnten die Möglichkeit von Übernahmen (M&A = Mergers & Acquisitions) stärker in Betracht ziehen. Die Anzahl von Übernahmen, die innerhalb des ersten Quartals 2013 im Unternehmenssektor bekannt gegeben wurden, lässt die Vermutung zu, dass diese Möglichkeit bei den Unternehmenslenkern in den kommenden Monaten wieder ganz oben auf der Agenda stehen könnte.
Sei es eine höhere Investitionstätigkeit oder eine gestiegene Übernahmeaktivität – beide Optionen dürften von den im Verlauf günstigeren Refinanzierungsbedingungen der Unternehmen profitieren. Denn nicht nur, dass sich die Zinsbelastung in Relation zum Umsatz am Beispiel US-amerikanischer Unternehmen in den letzten Jahren von ca. 2,5 % um die Jahrtausendwende auf aktuell 1,7 % verbessert hat – auch die Verbesserung der Bilanzstruktur hat die Kreditaufnahme der Unternehmen in den letzten Jahren erleichtert, wie an der Rendite von USUnternehmensanleihen abzulesen ist. Schaubild4 legt sogar nahe, dass sich die Zinsbelastung von US-amerikanischen Unternehmen in Relation zum Umsatz in Zukunft noch weiter reduzieren könnte.
Übernahmen haben sich in Richtung der Wachstumsländer verschoben
Dabei zeigen die Daten, dass es offensichtlich noch Spielraum gibt. Auch wenn das Übernahmevolumen in 2011 gegenüber dem Vorjahr leicht angezogen hat, scheint sich diese Entwicklung in 2012 nicht verstetig zu haben. So lag das globale M&A-Volumen per Ende 2012 nicht nur 20 % unter dem Volumen des Vorjahrs, sondern auch deutlich unterhalb des langfristigen Durchschnitts der letzten fast 20 Jahre. Jenes für Westeuropa lag sogar knapp 50 % darunter (siehe Schaubild 5). In Relation zur Marktkapitalisierung sank das globale M&AVolumen sogar auf den tiefsten Stand seit 20 Jahren.
Globales M&A-Volumen
Interessant ist jedoch, dass sich das Umfeld von Übernahmen in den letzten Jahren zusehends verändert hat. Waren es von Mitte der 1990er Jahre bis kurz nach der Jahrtausendwende vor allem US-amerikanische Unternehmen, die das Bild bei Übernahmen prägten – deren Anteil erreichte zwischenzeitlich fast 40 % aller weltweiten Übernahmen –, kehrte sich diese Entwicklung in den letzten Jahren zugunsten der Unternehmen aus den Wachstumsländern um, die auf dem internationalen M&A-Parkett zunehmend aktiver wurden: Während ihr Anteil damals bei gerade mal 6 % gelegen hatte, liegt er mittlerweile bei 41 %. US-amerikanische Unternehmen erreichten per Ende 2012 lediglich noch einen Anteil von 17 % an den weltweiten Übernahmen, westeuropäische Firmen einen von 13 %. Mögliche Ursache könnte die politische Unsicherheit im Zuge der EU-Schuldenkrise und deren globale Auswirkungen sein.
Nimmt man die Region Asien-Pazifik in die Berechnung hinzu, kommt man auf einen Anteil von 70 %, d. h., nahezu ¾ aller weltweiten Übernahmen finden in jenen Wachstumsländern statt.
Small und Mid Caps: Profiteure einer höheren Übernahmeaktivität?
Durch eine mögliche höhere Übernahmeaktivität könnten nicht nur die Aktienmärkte als Ganzes zusätzlichen Rückenwind verspüren, sondern vor allem Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von bis zu 10 Milliarden Euro, also die sogenannten Small und Mid Caps. Wie Schaubild 7 am Beispiel der USA zeigt, ist die Anzahl an Übernahmen im Small bzw. Mid Cap-Bereich deutlich größer als bei großkapitalisierten Unternehmen. In Summe wurden in den Jahren 2001 bis 2012 auf der Suche nach weiterem Wachstum fast 800 Small Caps und Mid Caps in den USA akquiriert, dagegen nur etwa 50 Large Caps. In Japan übersprang die Zahl an Übernahmen im Small- und Mid-Cap-Bereich Ende letzten Jahres die Marke von 1.000 und in UK waren es fast 7-mal mehr Small und Mid Caps als Large Caps, die über den gleichen Zeitraum hinweg übernommen wurden.
Und für das knappe Gut „Wachstum“ wird von Seiten der Käufer gern auch eine Prämie bezahlt. Die Prämie wird dabei auf dem Durchschnitt der Kurse der letzten 20 Handelstage vor Bekanntgabe der Übernahme berechnet. Am Beispiel der USA ist zu beobachten, dass über den Zeitraum 2001 bis 2012 eine Durchschnittsprämie für Small Caps von 25 % bzw. für Mid Caps von gut 27 % gezahlt wurde (Basis: Standard & Poor’s Indizes). Für Large Caps dagegen lag die Prämie nur bei 6,5 %.
Übernahmen – ein zusätzlicher Aktienmarkttreiber?
Zwar kam das globale Transaktionsvolumen in den letzten Jahren bei Weitem nicht mehr an die Rekordniveaus aus den Jahren 2000 und 2007 / 2008 heran, doch lässt sich eine Fortsetzung des jüngst ansteigenden Trends in 2013 vermuten. Einerseits, weil Übernahmeaktivitäten – hier am Beispiel des USAktienmarktes – der Aktienmarktentwicklung mit einer zeitlichen Verzögerung von etwa 12 Monaten folgen sollten.
Andererseits sprechen sowohl attraktive Unternehmensbewertungen als auch eine geringe Verschuldung und ein hoher Cashbestand, der nach lohnender Rendite sucht, dafür. Und: Organisches Wachstum ist bei den Unternehmen in den Industrieländern ein knappes Gut geworden. So halten sie zunehmend nach externen Expansionsmöglichkeiten bzw. attraktiven Nischen Ausschau, insbesondere in den Wachstumsländern.
Sollte sich diese Einschätzung bestätigen und sich damit unsere Analyse als zutreffend herausstellen, dass Tief- bzw. Wendepunkte in der globalen M&AAktivität auf Sicht der kommenden Monate, vor allem aber auf Sicht von einem Jahr, einen positiven Einfluss auf die Wertentwicklung der Aktienmärkte haben könnten, könnte sich der Trend jüngst steigender Übernahmen als ein zusätzlicher Aktienmarkttreiber erweisen.
Wendepunkte in der M&A-Aktivität scheinen positiv für den Aktienmarkt zu sein
Autor: Stefan Scheurer Vice President, Global Capital Markets & Thematic Research, Allianz Global Investors
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