Einäugiger unter Blinden

Am vergangenen Freitag hat die Ratingagentur Standard & Poors (S&P) neun EU-Länder in ihrer Kreditwürdigkeit ...
... abgestuft - unter anderem Frankreich und Österreich. Damit war auch die Grundlage für das Triple A-Rating für den Rettungsschirm EFRS entzogen, so dass inzwischen auch hier die Top-Bewertung fiel. Ein Aufschrei ging durch die (europäische) Finanzwelt, der aber bei genauer Betrachtung nur teilweise gerechtfertigt ist. An den Abstufungen selbst ist nichts auszusetzen.
Vielmehr muss man sich wundern, dass Deutschland seine Topnote behalten hat und der Ausblick sogar von negativ auf stabil erhöht wurde.
Spitze des Eisbergs
Ein Triple-A-Rating legt nahe, dass das Ausfallrisiko für eine Anleihe faktisch Null beträgt. Zuletzt lag die Verschuldung der Bundesrepublik aber bei rund 80 Prozent des BIPs. Trotz XXL-Boom wird Deutschland auch 2011 wieder einen zweistelligen Milliardenbetrag an neuen Verbindlichkeiten aufhäufen. Die etwa zwei Billionen Euro Schulden sind aber nur die Spitze des Eisbergs. Der Staat hat noch eine Vielzahl an Versprechen ausstehen, die in den kommenden Jahrzehnten fällig werden (vor allem in Form von Pensionen und Sozialleistungen). Da diese nirgends verbucht sind, gibt es über die Höhe nur Schätzungen. Der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen kalkuliert den Betrag auf zusätzliche 4,8 Billionen Euro. Damit käme Deutschland auf eine Gesamtschuldenlast von fast sieben Billionen Euro oder 260 Prozent des BIPs. Der US-Ökonom Kenneth Rogoff hat in Langzeitstudien festgestellt, dass staatliche Verschuldungsquoten ab 90 Prozent massive Probleme mit sich bringen. Die Bundesrepublik mag besser dastehen als die anderen Länder der Eurozone. Es kann aber allenfalls die Rede von einem Einäugigen unter Blinden sein. Auf lange Sicht wird auch Deutschland seine Schulden nicht zurückzahlen.
Ärgerliche Bevorzugung
Auffallend und ärgerlich ist dagegen die Asymmetrie durch S&P bei der Bewertung anderer Industrieländer wie den USA, Großbritannien oder Japan. Obwohl diese sowohl bei der Neu- als auch bei der Gesamtverschuldung deutlich schlechter dastehen und bislang keinerlei Anstrengungen unternehmen, mit Reformen die Situation zu verbessern, liegen die Ratings genauso gut oder besser als für die EU-Länder. Diese Bevorzugung ist nicht gerechtfertigt und untergräbt die laufenden Reformbemühungen der Euro-Zone.
Wolfgang Braun ist Chefredakteur der „Aktien-Strategie“ (früher Global Performance). Der seit 1999 erscheinende Börsenbrief hat sich auf deutsche Wachstums-Aktien spezialisiert. Dank einer ausgefeilten und bewährten Anlagestrategie schlägt das Musterdepot die Vergleichsindizes deutlich. So schaffte das Depot seit seiner Auflegung im März 1999 eine durchschnittliche jährliche Performance von rund 15 Prozent - obwohl in diesen Zeitraum der dramatische Niedergang des Neuen Marktes sowie die Finanzkrise 2008 fällt. Weitere Informationen unter www.aktien-strategie.de
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