Rohstoff-Börse

Russland: Zwischen Rohstoffen und Reformen

aktualisiert 14.04.11 14:58 Uhr

Wenn der Ölpreis steigt, zieht das auch den russischen Aktienmarkt nach oben. Doch die Rohstoffabhängigkeit ist für das Land Segen und Fluch zugleich.

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von Christoph Platt, €uro am Sonntag

Der Würgegriff der Korruption lässt nicht nach. Sie hält die ganze Wirtschaft fest an der Gurgel.“ Solche Worte zur Situation in Russland hört die Welt nicht zum ersten Mal. Doch es überrascht, aus welchem Mund sie kommen: aus dem von Staatschef Dmitri Medwedew.

Der russische Präsident bezeichnete das Investitionsklima in seinem Land in dieser Woche als „sehr sehr schlecht“. Um Abhilfe zu schaffen, hat er vergangene Woche einen Zehnpunkteplan präsentiert. Dieser enthält Reformen, die Russ­land fit machen sollen für den globalen Wettbewerb im 21. Jahrhundert. Zukünftig will der Staat ausländische Investitionen in strategische Branchen weniger stark kontrollieren. Außerdem sollen Minister ihre Posten in Aufsichtsräten staatsnaher Konzerne räumen. Und das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung soll beim Justizministerium die Aufhebung von Beschlüssen erwirken können, welche die unternehmerische Tätigkeit behindern.

Von dem schlechten Investitionsklima in Russland lässt sich die Moskauer Börse zurzeit aber nicht bremsen. Der in US-Dollar notierte Leitindex RTS stieg seit Jahresanfang um 19 Prozent, auf Eurobasis um elf Prozent. Er gehört damit 2011 zu den besten Indizes weltweit. Nur an den wenig liquiden Minibörsen einiger osteuropäischer Staaten wie Bulgarien oder in der Mongolei ließ sich bislang mehr Geld verdienen.

Der russische Aktienmarkt tut, was er immer tut, wenn der Preis für Erdöl steigt: Er verbucht Gewinne. Die Unruhen in Nordafrika und dem Nahen Osten haben den Preis des schwarzen Goldes in die Höhe schnellen lassen. Ein Fass (159 Liter) der Nordseesorte Brent kostet inzwischen 123 US-Dollar, Ende 2010 waren es noch 93 Dollar.

Dass der russische Aktienmarkt dem Ölpreis folgt, liegt an dem hohen Gewicht der Energieunternehmen in den Leitindizes. Die Abhängigkeit ist beachtlich: „Die Korrelation zwischen dem Index der Moskauer Börse MICEX und dem Ölpreis der Sorte Brent liegt seit 2000 bei 0,89, seit 2009 sogar bei 0,95“, sagt Michael Langer, Volkswirt der Berenberg Bank. Eine Korrelation von eins steht für einen völligen Gleichlauf zweier Kurven.

Die Abhängigkeit vom Ölpreis ist für das Land Segen und Fluch zugleich. In keiner anderen Branche lassen sich so einfach zusätzliche Gewinne vereinnahmen wie im Energie­sektor bei einem steigenden Ölpreis. Klettert die Notierung, hat das – anders als in vielen anderen Ländern – eine belebende Wirkung auf die Gesamtwirtschaft. Der jüngste Ölpreisanstieg führte dazu, dass die Experten ihre Prognosen für das Wachstum des russischen Bruttoinlandsprodukts 2011 von durchschnittlich 3,7 auf 4,4 Prozent anhoben. Auch der Staat profitiert: „Eine Daumenregel besagt, dass ein Anstieg des Ölpreises um einen Dollar zwei Milliarden Dollar in den russischen Staatshaushalt spült“, sagt Langer.


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Die Mehreinnahmen wirken sich aber auch negativ aus. Sie bremsen die wirtschaftliche Entwicklung Russlands, weil sich der Staat auf den Einnahmen ausruht. „Sprudeln die Gewinne aus dem Ölgeschäft, so fühlt sich die Regierung oft versucht, soziale Geschenke zu verteilen, anstatt den Staatshaushalt zu sanieren und in den Ausbau der Wirtschaft zu investieren“, so der Ökonom. Zudem lähmt ein fallender Ölpreis Russlands Wirtschaft und Börse genauso, wie ein steigender sie befeuert.

Die Fokussierung auf den Energiesektor ist ein Schwachpunkt der russischen Wirtschaft. Andere Mankos kommen hinzu: die weitverbreitete Korruption, die unsichere Gesetzeslage, die starke Einmischung des Staates in die Unternehmen und regelmäßig eine hohe Inflation, die im März bei 9,5 Prozent lag. Das alles macht Investitionen unattraktiv.

Der Wille, diese Missstände zu beseitigen, ist vorhanden. „Die Regierung hat das Problem verstanden“, sagt Peter Bodis, Fondsmanager für russische und osteuropäische Aktien bei Pioneer Investments Austria. Insbesondere die Finanzkrise, die Russ­land übel mitgespielt hatte, habe dazu geführt, dass das Land sich inzwischen freundlicher gegenüber ausländischen Investoren verhalte. „Es sind Deals zwischen Unternehmen zustandegekommen, die früher undenkbar gewesen wären“, sagt er. Beispiele hierfür sind der geplante Aktientausch zwischen BP und dem Ölriesen Rosneft und die Beteiligung des französischen Energiekonzerns Total am Gasproduzenten Novatek.

Anleger müssen sich entscheiden: Wollen sie Russland als Rohstoffwette nutzen oder lieber auf Wachstum im Inland setzen? Wer ein Produkt kauft, das einem Leitindex eng folgt, knüpft seinen Erfolg wegen des großen Anteils des Energiesektors stark an die Rohstoffpreise. Wer lieber von der wachsenden Binnennachfrage profitieren möchte, sollte Konsumgüterkonzerne und Finanzwerte hoch gewichten. „Beide Branchen wachsen schnell“, sagt Bodis.

Während der Bankensektor noch günstig bewertet ist, sind viele Konsumaktien mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 15 relativ teuer. Doch der Fondsmanager gibt zu bedenken, dass die wachsenden Gewinne der kommenden drei Jahre längst noch nicht eingepreist seien. „Im Durchschnitt ist von einer Verdoppelung der Gewinne auszugehen“, sagt er.

Öltitel dürften erst einmal eine Verschnaufpause einlegen. Die meisten Experten gehen davon aus, dass der Ölpreis in den kommenden Monaten seitwärts bei 110 bis 120 Dollar pro Fass tendieren wird. Die Gewinne der Unternehmen würden dann nicht weiter steigen.

Aufholpotenzial haben nach Bodis’ Ansicht die Aktien, die von der Inlandsnachfrage angetrieben werden. „Ihre Gewinne wachsen auch bei einem stagnierenden Ölpreis“, sagt er. Der Fondsmanager sieht gute Chancen, dass sich der russische Leitindex von der Ölpreisentwicklung abkoppeln kann, und erwartet einen weiteren Zuwachs von zehn bis 15 Prozent bis zum Jahresende.

Ob Medwedews Zehnpunkteplan in die Tat umgesetzt wird, ist offen. Er wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Denn die neuen Regeln könnten weitere Investoren animieren, sich dem immensen Potenzial Russlands zuzuwenden.

Investor-Info

Russlands Börse und der Ölpreis
Im Gleichschritt
Die absolute Wertentwicklung des russischen Leitindex RTS und des Ölpreises verläuft zwar nicht immer völlig gleich. Doch die Parallelität zwischen Aktien- und Rohstoffbarometer ist bemerkenswert. Ein Engagement in Russland wird damit zu einer Wette auf den Ölpreis.

PIA - Russia Stock VT
Flexibles Russland-Investment
Der PIA - Russia Stock ist einer der ältesten hierzulande erhältlichen Fonds, der ausschließlich in Russland investiert. Auf Fünfjahressicht ist er das beste Produkt in seiner Vergleichsgruppe. Manager Peter Bodis hat Konsumgüteraktien für einen Russland-Fonds hoch gewichtet. Anleger müssen sich aber bewusst sein, dass die Branche gleichwohl gerade einmal zehn Prozent des Portfolios ausmacht. Der Energiesektor hat – trotz Bodis‘ Zurückhaltung –mit 34 Prozent den größten Anteil.

Lyxor ETF Russia
Rohstoffwette in Reinform
Der Lyxor ETF Russia folgt dem DJ RusIndex Titans 10, der die Entwicklung der zehn liquidesten und größten Unternehmen Russlands widerspiegelt. Der Energiesektor hat einen Anteil von 74 Prozent, die Konzerne Lukoil, Surgutneftegaz und Gazprom machen fast die Hälfte des Index aus. Legen diese Schwergewichte zu, entwickelt sich der ETF besser als aktiv gemanagte Fonds, weil Letztere maximal zehn Prozent in einen ­Titel investieren dürfen.

Metzler Eastern Europe
Ganz Osteuropa in einem Produkt
Für Anleger, die sich neben russischen Aktien weitere osteuropäische Titel ins Depot holen wollen, eignet sich der Metzler Eastern Europe. Fondsmanager Markus Brück hat fast 40 Prozent des Vermögens in Russland angelegt. Das zweite Schwergewicht ist Polen mit 27 Prozent. Der Energiesektor macht 28 Prozent, der Bankensektor 21 Prozent des Portfolios aus. Das Vehikel zählt sowohl kurz- als auch langfristig zu den besten Osteuropa-Fonds.

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