Ethik für Ökonomen
Nie gab es so viele Ökonomen wie heute. Fast alle sind durch das „System“ korrumpiert.
Über drei Viertel der Lehrstuhlinhaber für Finance haben in den USA schon einmal für das Federal Reserve System gearbeitet.
Diese Woche fand in Göttingen die Tagung des ehrwürdigen Vereins für Socialpolitik (VfS) – der Berufsorganisation der Ökonomen in Deutschland statt. Unter Prof. Michael Burda, dem amerikanischen Vorsitzenden des Vereins, wurde ein neuer Ethikkodex verabschiedet. Ökonomen sollen nun offenlegen, von wem sie bezahlt werden. Ich habe in Göttingen auf einer Ergänzungsveranstaltung gesprochen, die vom Erfurter Finanzsoziologen Helge Peukert und Christoph von Freyendorf organisiert wurde. Auch Peter Bofinger, Heiner Flassbeck und Oskar Lafontaine waren da, ebenso wie der deutschstämmige IWF-Ökonom Michael Kumhoff, der mit seiner IWF-Studie zu den Vorteilen eines Vollgeldsystems Furore machte.
Die Ergänzungsveranstaltung wurde bewusst als Ergänzungsveranstaltung verstanden – viele der Referenten hätten auch gerne beim VfS gesprochen, wenn man dort, wie überall bei der etablierten Ökonomie auf der Welt, etwas offener für unterschiedliche Methoden, insbesondere historisch-soziologische Betrachtungsweisen wäre.
So, wie die Dinge derzeit stehen, sind die Ökonomen in Mehrheit eine tragende Säule des derzeitigen kranken Systems. Auf einer Abendveranstaltung sprach Andreas Dombret, Vorstandsmitglied der Bundesbank, von einer „symbiotischen Beziehung“ zwischen Bundesbank und Ökonomen.
Wer als Ökonom etwas auf sich hält, arbeitet nebenbei für die Bundesbank, große Industrieverbände oder Ministerien. Am meisten Finanzmittel hat die Finanzbranche – und hier wieder die Investmentbanken. Kein Wunder, dass sie sich Ökonomen in Scharen einkaufen – wie zum Beispiel EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing, der nachher bei Goldman Sachs anheuerte und danach die Finanzmarktreformkommission der Bundesregierung leitete.
Es sind in der Vergangenheit massive Mauscheleien und Interessenkonflikte vorgekommen. So hat Frederic Mishkin 2006 einen sehr positiven Report über den Finanzplatz Island verfasst. Er vergaß, zu erwähnen, dass er von der isländischen Handelskammer ein Honorar von 124.000 Dollar für die Studie erhielt. U.S.-Finanzstaatssekretär Larry Summers war Ende der 90er Jahre einer der Motoren der Deregulierung im U.S.-Finanzmarkt. Später erhielt er für eine einzige Rede bei Goldman Sachs 135.000 Dollar und verdiente als Berater verschiedener Hedgefonds mehr als 20 Millionen Dollar. Das hinderte Barack Obama nicht, Summers von 2009 bis 2010 zum Chef des National Economic Council zu machen, wo er für Fragen der Finanzmarktregulierung zuständig war. Der deutsche Staatssekretär Caio Koch-Weser, der in Brüssel maßgeblich an dem Wegfall der Gewährträgerhaftung für die deutschen Landesbanken mitgewirkt hat, hat heute einen Versorgungsposten bei der Deutschen Bank. Und so weiter…
Ein Ethikkodex wird diese Probleme nicht lösen. In unserem System schreiben sich die spekulativen Finanzmarktakteure die Regeln zu Lasten aller anderen selbst.
War da noch was?
Ach ja, das Verfassungsgericht hat den ESM durchgewinkt. Zwar mit Auflagen, aber das Geldausgeben auf Kosten Deutschlands kann weitergehen.
Als Leser meiner Beiträge wissen Sie, dass ich das sowieso habe kommen sehen. Die Geldschwemme ist schlecht für Europa, aber gut für die Aktienmärkte. Unsere Strategie, die auf europäische Aktien setzt, geht leider auf. Aber sich etwas wünschen und mit Blick auf die Realität eine nüchterne Strategie verfolgen sind zwei paar Dinge.
Prof. Dr. Max Otte ist Herausgeber des PRIVATINVESTOR (www.privatinvestor.de) und Geschäftsführender Gesellschafter der IFVE Institut für Vermögensentwicklung GmbH. Ziel des Instituts ist die Aktienanalyse und die Entwicklung von Aktienstrategien für Privatanleger.Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.