Griechenland und das Schreckgespenst ohne Schlips
Politische Turbulenzen könnten die radikale Linke an die Macht spülen. Athens Börse stürzte deshalb so stark ab wie zuletzt 1987. Auf eine Gegenbewegung sollten aber nur sehr wagemutige Anleger wetten.
von Andreas Höß, Euro am Sonntag
Nur ein Detail verrät, dass ein Bürgerschreck in diesem Anzug steckt: Alexis Tsipras trägt nie Krawatte, nicht einmal bei Staatsbanketten mit höchsten Würdenträgern. Dieses modische Statement schockt das Establishment zwar längst nicht mehr. An den Finanzmärkten gilt der 40-Jährige, dessen Anzug auch bei smarten Bankern durchgehen würde, dennoch als Schreckgespenst. Vergangene Woche löste er indirekt sogar den größten Börsencrash in Griechenland seit 1987 aus.
Kein griechischer Politiker verkörpert den Protest gegen den Sparkurs so wie der Chef der radikalen Linkspartei Syriza, der das "Brüsseler Spardiktat" einen "sozialen Holocaust" nennt, Reformen zurücknehmen und Griechenlands Schulden neu verhandeln will. Käme er an die Macht, stünde Griechenland vor der nächsten Pleite, heißt es. Und der Macht ist der griechische Oppositionsführer zumindest einen Schritt näher. Am Montag stimmt das griechische Parlament ab, ob Stavros Dimas von der konservativen Regierungspartei Griechenlands nächster Präsident wird. Der Urnengang ist erneut ein Votum über den Sparkurs, den Regierungschef Antonis Samaras bisher durchgepaukt hat. Scheitert die Abstimmung, könnten Tsipras und die Syriza Nutznießer der politischen Turbulenzen sein.
Angst vor Chaos und Pleite
Möglich macht das eine Besonderheit des griechischen Politiksystems: Der Staatspräsident braucht für seine Wahl 200 Stimmen. Weil die Regierungskoalition aber nur 155 der 300 Abgeordneten des griechischen Parlaments stellt, ist sie auf Hilfe aus der Opposition angewiesen. Für den Fall, dass sie diese am Montag nicht bekommt, ist für den 23. Dezember ein zweiter Wahlgang angesetzt. Erst bei einem möglichen dritten Urnengang am 29. Dezember wird die Zahl der erforderlichen Stimmen auf 180 gesenkt. Scheitert auch dieser, wird das Parlament aufgelöst und es finden Neuwahlen statt. Umfragen lassen erwarten, dass die meisten Wähler dann ihr Kreuz bei Tsipras und der Syriza machen würden.
Der Vorgang ist also brisant, die Zukunft Griechenlands unsicher. Als vergangene Woche bekannt wurde, dass die Präsidentenwahl vorgezogen wird, stürzte die Börse in Athen um 13 Prozent ab. Nicht einmal während des Höhepunkts der Schuldenkrise gab es einen so großen Tagesverlust. Besonders die Papiere von Banken kamen unter die Räder. Aber auch die Kurse für zehnjährige griechische Staatsanleihen fielen, im Gegenzug stiegen deren Renditen auf rund neun Prozent - im Sommer lagen sie noch bei 5,5 Prozent.
Die gute Nachricht: Staatspapiere anderer Euroländer wie Italien oder Spanien blieben relativ stabil, die Krise ist bisher auf Griechenland beschränkt. Auch der Wechselkurs des Euro signalisiert keinen europaweiten Vertrauensverlust. Die schlechte Nachricht: In Griechenland ist dieser dafür umso größer. Dreijährige Staatsanleihen warfen dort erstmals sogar mehr Rendite ab als zehnjährige Papiere. "Üblicherweise ist das ein Zeichen, dass man mit einem höheren unmittelbaren Pleiterisiko rechnet", so Anleiheexperte Gianluca Ziglio von Sunrise Brokers.
Kausalketten mit Konjunktiven
Gescheiterte Präsidentenwahl, Neuwahl, Syriza-Sieg: Das Schreckensszenario lässt sich bis zu einem weiteren Schuldenschnitt fortsetzen, den die Syriza anstrebt. Selbst einen Euro-Austritt Griechenlands und eine Rückkehr der Eurokrise hält man etwa bei der marktliberalen Denkfabrik CEP für möglich.
Da über all dem aber viele Konjunktive schweben, gibt es Raum für Restoptimismus: "Wenn es darauf ankam, haben die Griechen immer proeuropäischer votiert als befürchtet", sagt Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING-DiBa. Die vorgezogene Präsidentenwahl hält er für einen cleveren Schachzug. "In zwei Monaten wäre sie sowieso angestanden. Jetzt baumelt das Damoklesschwert nicht mehr lange. Entweder fällt es, oder die Regierung Samaras bekommt mehr Rückhalt und Zeit."
Beides braucht sie, denn Griechenland steckt mitten in einem Milliardenpoker. Das Hilfspaket für Hellas sollte zum Jahresende auslaufen und wurde vergangene Woche von der Troika aus EU, EZB und IWF bis Februar gestreckt. Was danach passiert, ist unklar. Eigentlich wollte Griechenland dauerhaft an den Kapitalmarkt zurückkehren. "Wegen der gestiegenen Renditen ist das aber illusorisch", glaubt Brzeski. So könnten erneut die Geldgeber einspringen, die dem Land bereits mit 240 Milliarden Euro unter die Arme gegriffen haben. Spekuliert wird über eine vorsorgliche Kreditlinie aus dem Rettungsschirm ESM, die mit weiteren Sparauflagen verbunden wäre. Ein Dilemma für Samaras, der die ungeliebte Troika eigentlich loswerden wollte, deren Geld nun aber ebenso dringend braucht wie das Vertrauen der Anleger.
Sollte das politische Chaos tatsächlich Syriza-Chef Tsipras an die Macht spülen, würde auch er diesem Dilemma nicht entfliehen können und besonnener agieren als angenommen, hoffen manche Beobachter. Einige Investoren blicken deshalb bereits wieder positiver in die Zukunft und verweisen auf die Chancen und die jüngsten Erfolge des Landes. So ist die griechische Wirtschaft im dritten Quartal erstmals wieder gewachsen, nachdem sie seit Ausbruch der Krise um etwa ein Drittel eingebrochen war. Und auch als sich die schlimmsten Schuldensorgen im Jahr 2012 gelegt hatten, kamen wieder Großinvestoren ins Land. Griechische Aktien legten zwischen Sommer 2012 und Frühjahr 2014 um 185 Prozent zu.
Die griechische Fondsgesellschaft Alpha Trust ist deshalb optimistisch. "Nach dem Ausverkauf wird es definitiv Kaufgelegenheiten geben", heißt es dort. Auch bei der griechischen Alpha Bank beruhigt man die Anleger. Es könne weitere Turbulenzen geben, "am Ende wird aber wieder Normalität einkehren". Kritische Stimmen gibt es dennoch massenweise. Sollte die Regierung kollabieren, werde die Wirtschaft wieder einbrechen und der Absturz an den Börsen weitergehen, warnt der Athener Aktienstratege Thanassis Drogossis von Pantelakis Securities. Als Anleger greife man "in ein fallendes Messer".
Investor-Info
Lyxor ETF Athex Large Cap
Unkalkulierbare Wette
Für konservative Anleger ist die Sache klar: Finger weg von Anleihen und Aktien aus Griechenland! Die unsichere Gemengelage macht sie zu einer Wette mit immensen Risiken. Wer diese eingehen will, könnte mit einem ETF auf griechische Aktien aber auch hohe Gewinne erzielen, falls sich die Probleme lösen. So legte Athens Leitindex in der Erholungsrally nach der Schuldenkrise um 185 Prozent zu.
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