Börse Frankfurt-News: "Wirtschaft und Politik - vorsichtige Entkopplung"
FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Dem Fondsmanager Peeters gehen die ersten Bürokratieabbau in allen Bereichen nicht weit genug. Er erwartet weitere Abwanderung hiesiger Unternehmen bzw. Verlagerung von Geschäftsbereichen.
4. September 2023. FRANKFURT (pfp Adisory). Nachdem die ersten Ergebnisse der Kabinettstagung in Meseberg über den Ticker gelaufen sind, habe ich mich durchaus gefreut über die Ankündigungen, was denn alles an Bürokratieabbau so geplant sei. Neben der nun möglichen digitalen Kündigung von zivilrechtlichen Verträgen etwa für das Fitnessstudio sprang mir direkt die weitgehende (also zumindest für deutsche Staatsbürger) entfallende Meldepflicht in Hotels ins Auge. Super, dachte ich mir, diese anachronistische Zettelwirtschaft nervt mich tatsächlich immer wieder beim Einchecken in Hotels. Kann gerne weg!
Soweit die Bestandaufnahme des Privatmanns Roger Peeters. Bei der relevanteren Betrachtung des geplanten Maßnahmenpakets in meiner beruflichen Funktion, in der mich der positive Impact auf die deutsche Unternehmenslandschaft interessiert, fällt mein Fazit bescheidener aus. Man kann alles Adressierte sicher begrüßen, aber genauso klar muss ich konstatieren: Das kann nun wirklich nicht mehr als ein Anfang gewesen sein. Für die von der Bürokratie aus Berlin und Brüssel arg gebeutelte Wirtschaft sind die noch längst nicht umgesetzten Ideen wohl nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Und wenn parallel neue und sehr massive "Bürokratie-Kraken" wie etwa das "Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz" vor der Tür stehen, dann würde ich konstatieren, dass viele Politiker tatsächlich nicht verstehen wollen oder können, was die Wirtschaft ernsthaft hemmt.
Und diese Gemengelage, bei der man schlicht weg nicht mehr weiß, ob die Politik nicht versteht, was sie da "anrichten" oder es bewusst in Kauf nehmen, weil ihnen andere Ziele wichtiger sind als das wirtschaftliche Fundament in diesem Land, zieht sich auch nach der Sommerpause der Politik durch zahlreiche Bereiche: Die Wohnungsnot ist bereits existent. Gleichwohl wird Bauen immer weiter verteuert (auch durch zahllose neue und erweiterte Vorschriften), während gleichzeitig die Nachfrage nach Wohnraum schon alleine durch die hohe Zuwanderung deutlich steigt. Parallel soll neuesten Plänen zufolge den (künftigen) Vermietern die Motivation am Bau durch eine weitere Kappung der Mieten genommen werden. All das kombiniert ist eine Eskalation mit Ansage.
Ähnlich trübe das Bild in der Energiepolitik: Seit Jahren führt man das Land unter anderem durch Abschalten günstiger Kraftwerke und einer Vielzahl von erhöhten Abgaben in die verheerende Situation, dass die zuverlässige Energieversorgung, einer der wesentlichen Pfeiler unserer Ökonomie, ernsthaft beschädigt ist und von Aluminiumhütten bis zur Chemieindustrie zahlreiche Werke die Produktion ruhen lassen oder ins Ausland verlagern. Nun wollen manche Politiker eine niedrige vierstellige Anzahl von energieintensiven Konzernen über viele Milliarden Euro neue Schulden beim Strompreis unterstützen. Dies wohlgemerkt kein Jahr, nachdem mehrere Top-Politiker lächelnd in die TV-Kameras erklärt hatten, dass "Deutschland kein Strom-Problem habe". Weitsicht sieht anders aus.
In diesem Kontext bekomme ich oft die Frage, warum die Aktienkurse deutscher Unternehmen bei dieser politischen Führung nicht deutlich niedriger notieren, als es im Spätsommer 2023 der Fall ist. Nun, aus meiner Sicht ist der Sachverhalt recht klar: Nur, weil ein Konzern seine Wurzeln oder auch seinen rechtlichen Sitz in Deutschland hat, macht er sich in einer globalisierten Okönomie nicht abhängig von der lokalen Politik. Absatzmärkte, Produktionsstätten, Lieferketten und vieles mehr lassen sich auch in andere Regionen verlagern, und gerade die Verlagerung wird sich weiter beschleunigen, wenn Berlin nicht deutlich umdenkt. Auf solch ein Umdenken hoffe ich wiederum als Privatmensch, der ich eigentlich sehr gerne hier lebe und mich schon manchmal ein wenig sorge.
von Roger Peeters, 4. September 2023, © pfp Advisory
Roger Peeters ist geschäftsführender Gesellschafter der pfp Advisory GmbH. Gemeinsam mit seinem Partner Christoph Frank steuert der seit über 25 Jahren am deutschen Aktienmarkt aktive Experte den DWS Concept Platow (WKN DWSK62), einen 2006 aufgelegten und mehrfach ausgezeichneten Stock-Picking-Fonds, sowie den im August 2021 gestarteten pfp Advisory Aktien Mittelstand Premium (WKN A3CM1J). Weitere Infos unter www.pfp-advisory.de. Peeters ist weiterhin Mitglied des Vorstands der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) e.V. Roger Peeters schreibt regelmäßig für die Börse Frankfurt.
(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)