Börse Frankfurt-News: "Norwegens Staatsfonds bevorzugt US-Aktien" (pfp Advisory)
FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Fondsmanager Christoph Frank berichtet darüber, wie Europas Work-Life-Balance die Investoren schwinden lässt und die USA weiter fortschreitet.
29. Mai 2024. Kürzlich erregte ein Interview, das Nicolai Tangen der "Financial Times" gab, meine Aufmerksamkeit. Darin lobte er die US-Amerikaner für ihre Arbeitsmoral und kritisierte gleichzeitig die Europäer. Fakt sei, dass die Menschen in den USA arbeitswilliger, ehrgeiziger und risikobereiter seien. Im Gegensatz dazu würden in Europa Themen wie Work-Life-Balance und Regulierung übertrieben berücksichtigt, was Investitionen erschwere. Auch deshalb hätten US-Unternehmen in puncto Innovation und technologische Entwicklung ihre europäischen Konkurrenten in den vergangenen zehn Jahren abgehängt. Deutlich höhere Aktienbewertungen in den USA spiegelten dies wider.
Ich teile seine Generalkritik nicht in allen Punkten. Aber einiges kommt mir doch sehr bekannt vor, deckt es sich doch mit zahlreichen Eindrücken aus meinen eigenen Gesprächen mit Unternehmensvorständen und anderen Kapitalmarktteilnehmern. Und Nicolai Tangen ist nicht irgendwer: Er steuert den norwegischen Staatsfonds Oljefondet, der mit zuletzt rund 1.500 Milliarden Euro Gesamtvolumen an etwa 10.000 Unternehmen weltweit beteiligt ist bzw. etwa 1,5 Prozent der Anteile aller weltweit börsennotierten Aktiengesellschaften besitzt.
Kurzum: Wenn Tangen beschließt, künftig (noch) ein bisschen mehr in den USA zulasten Europas zu investieren, können schnell viele Milliarden Euro Richtung USA gelenkt werden bzw. ein Rebalancing in regionaler Hinsicht unterbleiben. Genau das hat Tangen bzw. sein Vorgänger übrigens zuletzt getan: In den vergangenen zehn Jahren hat der Anteil amerikanischer Aktien im Oljefondet stark zugelegt. Die Rally bei den "Magnificent Seven" hat der Staatsfonds also nicht nur mitgemacht, sondern vermutlich aufgrund seiner Marktmacht auch befeuert.
Man muss Tangens Kritik nicht mögen oder ihr zustimmen. Aber Zuhören schadet meines Erachtens nicht. Wenn er ausführt, dass es in Amerika viel künstliche Intelligenz und keine Regulierung gebe, in Europa dagegen keine künstliche Intelligenz und viel Regulierung, hört sich das nicht nur knackig an, sondern trifft trotz Überspitzung leider auch ziemlich genau den Nagel auf den Kopf. Während Europa vorrangig die Risiken von Neuerungen diskutiert und Innovatoren Knüppel zwischen die Beine wirft, sehen die US-Amerikaner häufig erst einmal die Chancen und agieren pragmatischer. Wer wird wohl das Rennen machen? Wohl kaum ein Kontinent, dessen politische Protagonisten auf Gipfeltreffen Absichtserklärungen und Richtlinien schreiben lassen, sich anschließend selbst dafür feiern, aber Unternehmen trotzdem eher behindern. Ich erinnere beispielhaft an die im Jahr 2000 verabschiedete "Lissabon-Strategie", mit der die EU bis 2010 zum wettbewerbsfähigstenWirtschaftsraum der Welt aufsteigen und ein günstiges Umfeld für die Gründung und Entwicklung innovativer Unternehmen schaffen wollte.
Die Ergebnisse sind bekannt, übrigens auch die des Nachfolgeprogramms "Europa 2020". Ich befürchte, Tangen wird mit seiner Prognose recht behalten, dass die Lücke zwischen den beiden Kontinenten künftig noch größer werden wird. Zumindest wird das so lange der Fall sein, bis die Europäer zu einer Politik zurückkehren, die den Unternehmen mehr Spielräume lässt und sich selbst auf ihre Rolle als ordnungspolitische Rahmengeberin beschränkt, statt staatliche bzw. supranationale Steuerung zu präferieren.
Von Christoph Frank, 29. Mai 2024, © pfp Advisory
Christoph Frank ist geschäftsführender Gesellschafter der pfp Advisory GmbH. Gemeinsam mit seinem Partner Roger Peeters verwaltet der Experte, der seit über 25 Jahren am deutschen Aktienmarkt aktiv ist, den 2006 aufgelegten und mehrfach ausgezeichneten Stock-Picking-Fonds DWS Concept Platow (LU1865032954) sowie den im August 2021 aufgelegten pfp Advisory Aktien Mittelstand Premium (WKN A3CM1J). Weitere Informationen unter www.pfp-advisory.de. Frank schreibt regelmäßig für die Frankfurter Wertpapierbörse.
(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)