Börse Frankfurt-News: "Favoritenwechsel an den Märkten: Wie out sind Tech-Aktien?"
FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Eigentlich hat sich während der Sommermonate fundamental nichts verändert: Nvidia und Co. produzieren fette Gewinne und die KI-Revolution bleibt das große Thema an den Märkten. Allerdings brodelt es unter der Oberfläche: Seit Ende Juni bahnt sich ein Favoritenwechsel an: Tech-Aktien werden abverkauft, klassische Branchen machen ein Comeback. Was Anleger wissen sollten, erläutert Ali Masarwah, Fondsanalyst und Geschäftsführer des Finanzdienstleisters envestor.
9. September 2024. Wenn Anlegerinnen und Anleger nach einer ausgedehnten Sommerpause das Geschehene Revue passieren lassen, werden sie keine großen fundamentalen Veränderungen seit Ende Juni feststellen. Das Datenhaus Factset hat eine Nachlese veröffentlicht zur Berichterstattung der US-Unternehmen im zweiten Quartal. Demnach lag das Gewinnwachstum der Unternehmen im S&P 500 zwischen April und Juni bei 10,8 Prozent. Das war die höchste Steigerung seit dem vierten Quartal 2021. Auch das Umsatzwachstum der US-Unternehmen war mit einem Plus von 5,2 Prozent im zweiten Quartal zufriedenstellend.
Und was machen die Märkte daraus? Anfang August brachen die Aktienkurse weltweit ein, was sich einen Monat später - zwar mit weniger Wucht - wiederholte. Man muss allerdings diese Aussage qualifizieren. Nicht DIE Aktienkurse haben verloren, sondern vor allem ein Marktsegment: Tech-Aktien, genauer gesagt: Nvidia und Hyperscaler wie Alphabet, Amazon, Meta und Microsoft, also die wichtigsten Träger der KI-Hype.
An den vier Handelstagen nach Bekanntgabe glänzender Quartalszahlen verlor Nvidia 500 Milliarden Dollar an Marktwert an der Börse. Auch andere Tech-Giganten sackten ab, wenn auch nicht so kräftig wie Nvidia. Die Financial Times hat ausgerechnet, dass Nvidia, Apple, Microsoft, Alphabet und Meta bisher im dritten Quartal einen Börsenwert von 1,8 Billionen Dollar eingebüßt haben.
Branchenrotation - jetzt in diesem Kino
Das Bemerkenswerte an Regimewechseln ist, dass man erst in Nachhinein realisiert, dass sie sich vollzogen haben. Wenn sie im Gange sind, verharren die meisten Anleger noch in der "alten Zeit". Das ist nicht verwunderlich, denn in aller Regel vollziehen sich Trendwechsel nicht gradlinig. Erst wenn sich ein Trend verstetigt hat, akzeptieren wir, dass sich die Lage grundlegend verändert hat. Bis der Regimewechsel vollzogen ist, zeichnen die meisten anhand von Fundamentaldaten Kontinuitätslinien weiter.
Ein guter Gradmesser für Veränderungen ist der Aktienmarkt. Die Börse ist ein klassischer Frühindikator für fundamentale Veränderungen. Wir antizipieren die Zukunft, das Heute ist die Performance von gestern. Vor diesem Hintergrund geben Sektoren-Indizes eine gute Indikation für die Erwartungen. Sowohl in Europa als auch in den USA haben sich in den vergangenen zwei Monaten auf Branchenebene interessante Verschiebungen ergeben.
In den USA waren in den vergangenen fünf Jahren Tech-Aktien die großen Gewinner, wie das annualisierte Plus von 21,5 Prozent zeigt. Energie-Aktien profitierten - nach einer langjährigen Dürre - von einer rasanten Erholung 2021 und 2022 im Zuge der steigenden Inflation. In Europa war das Bild ähnlich, wenngleich Tech-Aktien bei weitem nicht so erfolgreich waren wie in den USA. Zwischen 2019 und heute waren neben Tech-Aktien in Europa die Gewinner bei Industrie- und Finanzaktien zu finden. Auch der Healthcare-Sektor lag vorn. Schwach entwickelten sich seit 2019 in den USA langfristig Aktien aus den Sektoren Basiskonsum und Versorger. In Europa waren die Verlierer ebenfalls Basiskonsum, Telekoms und Luxuskonsum.
Seit Juni hat sich dieses Bild vollkommen verändert. In den USA stachen von Anfang Juli bis Anfang September Versorger mit einem Plus von gut 8,5 Prozent hervor. Finanzaktien und Basiskonsum-Titel konnten ebenfalls ordentlich zulegen. Gesundheitstitel notierten in den vergangenen zwei Monaten ebenfalls bequem in positivem Terrain. Dagegen brachen US-Tech-Aktien seit Beginn des dritten Quartals um gut 10 Prozent ein. Auch Energie-Aktien und Telekoms entwickelten sich schwach. Bei letzteren ist zu beachten, dass Tech-Plattformen wie Meta und Alphabet seit 2019 zum Bereich Telekommunikationsdienstleister gezählt werden.
In Europa waren die Gewinner des dritten Quartals bisher ebenfalls Versorger. Sie stiegen sogar um gut 11 Prozent seit Anfang Juli. Telekoms und Basiskonsumgüter-Aktien zählten ebenfalls zu den Gewinnern. Die Verlierer von gestern sind also die Gewinner von heute. Europäische Tech-Aktien brachen dagegen sogar um gut 13,5 Prozent seit Juli ein. Energie- und Luxuskonsum zählten ebenfalls zu den Verlierern in diesem Quartal.
Fazit: Ist es dieses Mal anders?
Die Sektorrotation scheint in Gang zu kommen. Während Techwerte seit Anfang Juli verlieren, kommen die klassischen, langweiligen Branchen wie Versorger, Finanzaktien und Konsumgüter bei Anlegern wieder in Mode. Gestützt wird die These des Favoritenwechsels von der Outperformance von Nebenwerten, die wir ebenfalls seit Anfang Juli beobachten können. So konnte in den USA seit Juli der Nebenwerte-Index Russell 2000 den gleichgewichteten S&P 500 outperformen, der wiederum den (kapitalisierungsgewichteten) S&P 500 übertraf.
Fehlsignale sind bei solchen zeitnahen Betrachtungen nicht ausgeschlossen, aber es erscheint wahrscheinlich, dass es dieses Mal doch anders kommen wird und wir im Zuge der angekündigten Zinswende vor einer Renaissance der klassischen Branchen stehen. Das muss kein Crash von Tech-Aktien bedeuten und auch ein Ende des KI-Hypes ist nicht wahrscheinlich. Aber Tech-Aktien könnten in den nächsten Monaten eine signifikante Underperformance bevorstehen. Anlegerinnen und Anleger sollten dieses Szenario zum Anlass nehmen, um sicherzustellen, dass ihre Portfolios auf breiten Füßen stehen.
Von Ali Masarwah, 9. September 2024, © envestor.de
Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor.de, eine der wenigen Fondsplattform, die Cashbacks auf Fonds-Vertriebsgebühren zahlt. Masarwah analysiert seit über 20 Jahren Märkte, Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar. Seine Expertise wird auch von zahlreichen Finanzmedien im deutschsprachigen Raum geschätzt.
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