Börse Frankfurt-News: "Das Gras des Nachbarn ist immer grüner"
FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Fondsmanager Peeters befasst sich mit den Chancen deutscher Aktien für Anleger, vor allem langfristig und im internationalen Vergleich.
2. Mai 2022. FRANKFURT (pfp Adisory). Zeit meines Berufslebens beschäftige ich mich ganz überwiegend mit deutschen Aktien und natürlich bin ich von meiner beruflichen Ausrichtung hochgradig subjektiv, was die Chancen und Risiken deutscher Aktien und auch Unternehmen betrifft. Dennoch ist die Frage, wie aussichtsreich denn Investments in diesem Land sind oder sein können, eine der häufiger gestellten in Präsentationen oder auch in Dialogen mit Investoren und Multiplikatoren.
Und natürlich gibt es neben den auf der Hand liegenden positiven Argumenten - Innovationsfähigkeit, in vielen Punkten bewährte Infrastruktur, gute Bildung, vergleichsweise konfliktarme Kooperation zwischen Kapital und Gewerkschaften - ebenso natürliche und praktisch dauerhafte Kontras zum Investitionsstandort, wie etwa die seit Jahrzehnten problematische Demographie, recht geringe Rohstoff-Autarkie oder auch eine veritabel hohe Steuer- und Abgabenlast. In der Summe aller Komponenten reden wir dann über eine Nation, die seit Jahrzehnten zur absoluten Weltspitze im Export gehört, was eigentlich ein Totschlagargument sein könnte.
Interessanterweise, so zumindest meine persönliche Wahrnehmung, reflektiert die Diskussion, besonders im Land selbst, ganz wesentlich die Problemzonen. Neben den angesprochenen Dauerthemen kommen immer wieder neue und auch nicht falsche Argumente auf den Tisch: Mal ist es die vergleichsweise geringe Ausprägung von Gründermentalität und Kapitalmarkt, mal sind es politische Strömungen, die den Firmen mit Regulatorik und hohen Abgaben das Leben schwer machen, zuletzt war es vor allem die überdimensionierte Abhängigkeit beim Energieimport von Putin-Russland. Zu bemängeln gibt es immer viel, aber das Wehklagen hat schon etwas von "Das Gras des Nachbarn ist immer grüner".
Denn es ist ja nicht nur so, dass auch in allen anderen Investitionsstandorten genug Probleme vorhanden sind. Eher nimmt man die in der Ferne vielleicht weniger wahr als vor der eigenen Haustür, wo man alles quasi unter der Lupe serviert bekommt. Dazu kommt: Klar sind manche Branchen etwas unterrepräsentiert oder gar nicht vorhanden, etwa Ölkonzerne und Goldminen, und es fällt auf, wenn gerade diese Sektoren brummen, was auch für die Hausse bei (zumeist US-amerikanischen) Technologiewerten gilt. Aber üblicherweise sind solch Hypes temporär und um unsere gerade durch den exzellent aufgestellten Mittelstand erreichte Breite in der Industrie beneiden uns viele Länder tatsächlich.
Das aber meiner Ansicht nach gewichtigste Argument in der Debatte ist ein ganz anderes: "Deutsche Aktien" von "deutschen Unternehmen" sind nach Jahrzehnten der Globalisierung in nur noch ganz wenigen Fällen in der Wertschöpfung und auch im Absatz auf Deutschland begrenzt. Es gibt genug Großkonzerne, wo der "Deutschland-Anteil" sowohl in der Produktion als auch im Absatz nur noch im einstelligen Prozentbereich liegt. Und, was oft verkannt wird, auch bei sehr vielen mittelständischen Unternehmen werden die entscheidenden Geschäfte etwa in China oder den USA getätigt. Das alles beinhalten natürlich auch die korrespondierenden Risiken: Die seit fast zwei Jahren währende Aufregung über brüchige Lieferketten zeigt dies anschaulich. Produktionsausfälle in fernen Ländern wie Taiwan oder Vietnam hinterlassen schnell auch Spuren im Zahlenwerk deutscher Firmen. Ein hoher Anteil an Russland-Geschäft wurde auch dem einen oder anderen Wert zur Last.
Deutsche Aktiengesellschaften sind also sehr häufig global operierende und multilateral abhängige Konstrukte in einem deutschen Rechtsrahmen, nicht weniger und nicht mehr. Aber genau dieser Rechtsrahmen sollte spätestens seit der Misere, die auch deutsche Anleger mit russischen Aktien erlebt haben, oder auch der immer wiederkehrenden Diskussion über Rechtssicherheit bei Investments in chinesische Firmen, nicht zu niedrig aufgehangen werden. Wo sonst auf dem Erdball hat man als Deutsche und Deutscher eine vergleichsweise gute Möglichkeit, ihren bzw. seinen Besitzanspruch auch über veritable Krisen hinweg durchzusetzen?
von Roger Peeters, 2. Mai 2022, © pfp Advisory
Roger Peeters ist geschäftsführender Gesellschafter der pfp Advisory GmbH. Gemeinsam mit seinem Partner Christoph Frank steuert der seit über 25 Jahren am deutschen Aktienmarkt aktive Experte den DWS Concept Platow (WKN DWSK62), einen 2006 aufgelegten und mehrfach ausgezeichneten Stock-Picking-Fonds, sowie den im August 2021 gestarteten pfp Advisory Aktien Mittelstand Premium (WKN A3CM1J). Weitere Infos unter www.pfp-advisory.de. Peeters ist weiterhin Mitglied des Vorstands der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) e.V.. Roger Peeters schreibt regelmäßig für die Börse Frankfurt.
Dieser Artikel gibt die Meinung des Autors wieder, nicht die der Redaktion von boerse-frankfurt.de. Sein Inhalt ist die alleinige Verantwortung des Autors.
(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)