"Situation wie 2008"

Wall Street-Experte Rosenberg warnt: Darum dürften die US-Märkte um weitere 20 Prozent einbrechen

06.06.22 22:47 Uhr

Wall Street-Experte Rosenberg warnt: Darum dürften die US-Märkte um weitere 20 Prozent einbrechen | finanzen.net

David Rosenberg sieht ein erhebliches Abwärtspotenzial für die US-Börsen. Die durch die Fed induzierte Kontraktion der Geldmenge werde der US-Wirtschaft nachhaltig schaden. Die Märkte hätten eine Rezession noch längst nicht eingepreist, weshalb der S&P 500 noch deutlich tiefer fallen dürfte. Was hält Rosenberg für ein angemessenes Kursniveau?

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• Rosenberg: Restriktive Geldpolitik überzogen, da abschwächende Inflation voraus
• Experte sieht zweistufigen Börsencrash
• Rosenberg: S&P 500 dürfte erst bei 3.300 Punkten einen dauerhaften Boden finden

David Rosenberg, CEO beim Analyseunternehmen Rosenberg Research, bezeichnete den Börsenaufschwung, der auf den Corona-Einbruch im März 2020 folgte, schon häufiger als "Fake-Bullenmarkt". Dieser sei "auf Sand anstatt auf Beton" gebaut, wie der Marktexperte in seiner Kolumne auf "CNBC" schreibt. Infolge der falkenhaft-restriktiven Geldpolitik der US-Notenbank Fed werde dieser ein jähes Ende finden - und eine schmerzhafte Börsenflaute folgen. Wie begründet Rosenberg seinen Pessimismus?

Rosenberg: Inflationsangst bald vorüber - aber baldige Rekordstände ausgeschlossen

Interessanterweise prognostiziert Rosenberg in puncto Inflationsraten eine baldige Entspannung. Sein Team sei "auch weiterhin der Meinung, dass die Inflationsangst sehr bald vorüber sein wird". Dies sei allerdings keinesfalls gleichbedeutend mit einem raschen Wiederaufschwung der Börsen in Richtung der Rekordstände vom Januar 2022. Die Hausse sei nämlich eine Schimäre, eine "Extrapolation und Hyperventilation von Ökonomen, Strategen, Experten und Medien, die nicht über den Tellerrand hinausschauen können". Die wirtschaftliche Situation sei in den USA nämlich beileibe nicht so rosig, wie sie oft beschrieben wird - und die abebbende Inflation im Jahr 2023 sei nicht positiv, sondern negativ zu bewerten.

Grundlegende Probleme in der US-Wirtschaft - Rosenberg sieht Rezession kommen

So sieht Rosenberg den US-Dollar als deutlich überbewertet an. Das Problem daran: Der hohe Wert des Greenback verlockt zu überschüssigen US-Importen aus Ländern mit günstigerer Währung, wodurch sich in den amerikanischen Produktlagern Überschüsse akkumulierten. Diese müssten durch Preisnachlässe ausgeglichen werden, was wiederum eine deflationäre Wirkung habe. Auf ein solch schnelles Abflauen der Inflation sei die US-Wirtschaft aber nicht eingestellt, damit zusammenhängende Verzerrungseffekte würden deshalb das wirtschaftliche Wachstum nicht nur bremsen, sondern diesem vollends ein Ende setzen.

Der hauptsächliche Belastungsfaktor sei dabei die US-Geldpolitik. Die Fed sei "innerhalb eines Jahres von radikalen Stimuli zu einer Zurückhaltung übergegangen, die die Überreste der Tea Party erröten lassen würde." Diese führte zu einem "Anstieg der Entlassungen und den Rückgang der Einstellungspläne der Unternehmen". Anstelle dies zu registrieren und darauf aufbauend die Geldpolitik weniger restriktiv zu gestalten, verlasse sich Fed-Chef Jerome Powell dagegen auf das "sehr schwache Datenelement" offene Stellen, das ein geschöntes Bild vom Zustand der US-Wirtschaft zeichne. Die zu aggressiv ablaufende Erhöhung des US-Leitzinses werde einen Börsenabschwung verursachen.

Übrigens ist Rosenberg in guter Gesellschaft bezüglich seiner harschen Kritik an der US-Zentralbank: Auch Hedgefondsmanager Bill Ackman monierte, die "Fed würde ihren Job nicht machen". Analyst Keith McCullough schrieb sogar, dass die "Fed es immer vergeigt". Ähnlich wie Ackman und McCullough erwartet denn auch Rosenberg demnächst deutlich tiefere Aktienkurse.

Phase I: Aktienbewertung sinkt wegen restriktiver Geldpolitik

Die derzeitige Marktsituation erinnert Rosenberg an die Finanzkrise von 2008. Damals verlor der S&P 500 innerhalb eines Jahres 38,49 Prozent an Wert. Ähnlich wie 2008 erlebe der Aktienmarkt auch 2022 einen Bärenmarkt, der durch eine ökonomische Rezession verursacht werde. Derzeit erleben wir demnach die "erste Stufe", nämlich der durch die Fed verursachten Kontraktion der Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV). Damals wie heute sorge dies allein für einen Börsenabschwung von 20 Prozent, das KGV verringere sich dabei traditionell um vier bis fünf Punkte. Tatsächlich habe sich das KGV des S&P 500 seit Januar 2022 um fünf Punkte auf circa 21 reduziert, stellt Rosenberg fest. Dies sei aber nur der erste Schritt.

Phase II: Aktienbewertung sinkt wegen reduzierten Unternehmensgewinnen

Bei dem Eintreten einer Rezession verringerten sich die Gewinn der Unternehmen in der Börsengeschichte um mindestens 20 Prozent, so Rosenberg. Dies sorge dann für die zweite Phase des Börsencrashs, nämlich der Anpassung der Aktienkurse an das niedrigere Gewinnniveau der Unternehmen. Die Analysten würden infolgedessen ihre Kursziele der Reihe nach herunterschrauben. Dies wären schlechte Nachrichten für diejenigen Anleger, die die erste Phase zum Wiedereinstieg genutzt hätte, weil sie dachten, der Aktienmarkt wäre günstig bewertet. Diese Charakterisierung des Gesamtmarktes als "günstig" würde jedoch nur dann zutreffen, wenn die Gewinne der Unternehmen so stark blieben wie auf dem Höhepunkt des Konjunkturzyklus. Das werde auf absehbare Zeit nicht mehr der Fall sein, meint Rosenberg.

Rosenberg sieht Kurseinbruch um 20 Prozent voraus

Wann könnte das Tief der Börsentalfahrt laut Rosenberg erreicht sein? "Niemand kann bei Höchst- oder Tiefstständen eine Glocke läuten. Aber es gibt gut etablierte Muster bei den fundamentalen Tiefs", erläutert der Börsenkenner. Mehrere Signale könnten signalisieren, dass der Boden der Kursverluste erreicht sei: Die Rezession muss "Mainstream-Meinung" werden, die Analysten müssen es mit zu niedrig angesetzten Kurszielen übertreiben und die Fed muss das Ende der Leitzinsanhebungen einläuten. Zudem benötigten die Aktien Unterstützung vom Anleihemarkt.

Rosenberg führt aus: "In der Vergangenheit war für das Ende einer Aktienbaisse ein durchschnittlicher Rückgang der 10-jährigen Treasury-Rendite um 135 Basispunkte (das sind 1,35 Prozentpunkte) erforderlich. Die Geschichte zeigt, dass wir erst eine große Rallye bei den Anleihen brauchen, bevor wir uns für Aktien entscheiden können." Bei dem derzeitigen Stand der Anleihen bedeutet dies bei den zehnjährigen US-Staatsanleihen einen Rutsch unter die zwei Prozent Rendite.

Schließlich gibt Rosenberg noch eine düstere Prognose ab: Der S&P 500 dürfte noch bis auf 3.300 Zähler fallen, das bedeutet vom aktuellen Kursniveau von 4.108 Punkten (Stand: 03. Juni 2022) ausgehend ein Abwärtspotenzial von rund 20 Prozent. Der US-Börsenexperte kommt auf einen solchen vermuteten Tiefstand mittels einer Analyse der Dividendenrendite der S&P 500-Unternehmen, die derzeit bei 1,5 Prozent liege. Bärenmärkte endeten historisch nämlich erst dann, wenn die Dividendenrendite der Aktien die Anleiherendite übersteigt - und dies sei erst bei einem S&P 500-Niveau von 3.300 Punkten der Fall, glaubt Rosenberg.

Redaktion finanzen.net

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