Türkei: Wirtschaft schlägt Freiheit
Die Kommunalwahlen am Bosporus haben für klare Verhältnisse gesorgt. Investoren setzen nun darauf, dass das Schlimmste vorbei ist.
von Emmeran Eder, Euro am Sonntag
Die Anleger ahnten es. Sie nahmen den klaren Sieg der islamisch-konservativen Partei AKP des türkischen Ministerpräsidenten Recep Erdogan bei der Kommunalwahl voraus. Schon eine Woche vor dem Votum startete der Istanbuler Leitindex BIST 100 ein Comeback und legte bis zum Tag nach der Wahl am 31. März um zehn Prozent in Euro zu.
Damit hatten sie einen besseren Riecher als der Großteil der ausländischen Medien und Experten, die ein Kopf-an-Kopf-Rennen prognostiziert hatten. Selbst in Istanbul und Ankara konnte die Opposition nicht siegen, obwohl sich dort das Zentrum der Proteste gegen den starken Mann der Türkei befindet. Demokratie war der Mehrheit der Türken unwichtiger als der seit elf Jahren währende Aufschwung, der Erdogan zugeschrieben wird. "Investoren sehen die AKP-Stärke als ein Zeichen für die Beibehaltung des Status quo in der Wirtschaft", sagt Tim Ash, Schwellenländer-Leiter bei der Standard Bank.
Ob sie damit recht haben, ist ungewiss. Noch hat Erdogan den Machtkampf gegen die mehr Freiheit fordernde urbane Mittelschicht sowie gegen die Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen nicht gewonnen. Die Proteste dürften vor den Präsidentenwahlen im August und der Parlamentswahl 2015 wieder aufflammen. Die politische Unsicherheit wird bleiben. "Jedoch ist der klare Wahlsieg ein erster Schritt hin zu mehr Stabilität", meint Gregor Holek, Emerging-Markets-Fondsmanager bei Raiffeisen Capital Management. Es wird nun schwer werden, dem autoritären Erdogan die Macht abzunehmen. Die Gegner müssen akzeptieren, dass sie in der Minderheit sind. Erdogan kündigte bereits ein hartes Vorgehen gegen Widersacher an.
Wachstum schwächt sich ab
Die politischen Wirren wirken sich inzwischen auch negativ auf die Wirtschaft aus. Das Wachstum wird 2014 wohl nur zwei Prozent betragen, viel weniger als in den Vorjahren. Die hohe Inflation von 8,5 Prozent und die Zinsen von elf Prozent machen Konsumenten und Firmen zu schaffen. Die Verbraucherstimmung verschlechterte sich und der Einkaufsmanagerindex fiel von 53,4 auf 51,7. Das deutet zwar auf konjunkturelle Bremsspuren hin, aber nicht auf eine Rezession. Gefahr droht der Wirtschaft am Bosporus aber von zwei Seiten. Zum einen ist sie stark abhängig von ausländischen Kapitalzuflüssen, zum anderen ist der jahrelange Konsum-Boom auf Pump gebaut.
Holek sieht das aber weniger dramatisch. Selbst wenn die faulen Kredite anstiegen, würden das die Banken gut verkraften. Diese seien streng reguliert, was eine Folge schärferer Vorschriften nach der Bankenkrise 2001 sei. 80 Prozent der Problemdarlehen sind mit Eigenkapital unterlegt. "Die Anzahl fauler Kredite ist weit von der der Krisenstaaten in Südeuropa entfernt. Einen Flächenbrand kann ich nicht erkennen", sagt der Wiener. Auch das Leistungsbilanzdefizit verringerte sich von zehn auf acht Prozent. Bis Jahresende rechnen Experten nur noch mit fünf Prozent. Die stark abgewertete Währung Lira verteuert Importe, weshalb sich die Einfuhren reduzieren. Die Ausfuhren und der Tourismus profitieren hingegen von der schwachen Lira. Vor allem Textil- und Autoexporte legten zu. Damit muss sich die Türkei weniger stark im Ausland finanzieren. Zudem fließt wieder Kapital ins Land - Gelder aus Russland suchen eine neue Heimat.
Holek ist trotz aller Probleme positiv für die türkische Börse gestimmt. Politische Unsicherheiten und die gedämpfte Konjunkturentwicklung 2014 habe sie eingepreist. Der MSCI-Türkei-Index fiel seit Ende Mai 2013 um 32 Prozent in Euro. Vor allem die Banken, die hohes Gewicht in den wichtigen Indizes besitzen, stürzten ab. Holek sieht dennoch keine Finanzkrise ante portas. Die Banken hätten aus früheren Fehlern gelernt und seien gesund. Sie dürften vom höheren Wachstum 2015, das auf 3,5 Prozent geschätzt wird, profitieren und den Index nach oben ziehen. Mutige Anleger verdienen doppelt - mit Lira und Aktien. Dazu eignet sich das RBS-Zertifikat (ISIN: DE 000 AA6 J9T 0) auf den MSCI-Türkei-Index, der 25 Bluechips umfasst. Die Dividenden werden reinvestiert. Das Papier ist nicht devisengesichert, der Spread beträgt ein Prozent.
Türkische Aktien sind nur für hartgesottene Anleger attraktiv, die hohe Schwankungen ertragen können. Denn Istanbul bleibt vor allem eines - eine politische Börse.