Aus dem ETF Magazin: "Chinas Wachstum mit Weitsicht"
Stratege Eric Wiegand sieht einige Gründe, warum chinesische Aktien wieder attraktiv für Anleger seien - auch wenn es kaum Dividenden gibt und die Preise schon ziemlich hoch stünden.
Das jährliche Wirtschaftswachstum in China liegt mit 6 bis 7 Prozent weit unter dem, was noch vor zehn Jahren normal war. Aber: Nach wie vor wächst Chinas Wirtschaft mehr als dreimal so flott wie die der großen westlichen Industrieländer. Dieses stärkere Wachstum zeigt sich auch an den Aktienmärkten. Zwischen August 2006 und August 2017 hat der MSCI-China-Index um 188,88 Prozent zugelegt und damit die Renditen seiner Vergleichsindizes für Schwellen- und Industrieländer deutlich übertroffen. Auch im Gesamtjahr 2017 war die Entwicklung erfreulich, der Index legte um 54 Prozent zu.
ETF-Investoren haben diese Gelegenheiten bisher weitgehend verpasst: Von Anfang 2011 bis Ende 2017 haben europäische Investoren aus chinesischen Aktien-ETFs sogar 1,2 Milliarden Euro abgezogen. Insgesamt beträgt das verwaltete Vermögen von chinesischen Aktien-ETFs in Europa gerade mal 2,7 Milliarden Euro. Investoren bevorzugen in China bislang aktiv verwaltete Fonds sowie Aktien der bekannten chinesischen Technologiekonzerne. Zudem schreckt die hohe Volatilität.
Glänzende Aussichten
Derzeit entsteht aber eine neue Chance für Index-Investoren. Die Kurse chinesischer Aktien dürften nämlich zusätzlich durch die aktuell laufende Aufnahme der chinesischen A-Aktien in den MSCI-Emerging-Markets-Index gestützt werden. Diese Index-Umstellung sollte zu einer höheren Markteffizienz, einer sinkenden Volatilität sowie einem steigenden Interesse institutioneller Investoren am chinesischen Aktienmarkt führen.
Nach Angaben von MSCI könnten in Zukunft etwa 450 große oder mittelgroße A-Aktien in den MSCI-EM-Index aufgenommen werden, was einen Gesamtzufluss von 340 Milliarden US-Dollar bis August 2018 bedeutet. Diese Einbeziehung von A-Aktien durch MSCI könnte somit ein Katalysator für die weitere Entwicklung chinesischer Blue Chips sein.
Ohne Zweifel sind chinesische Aktien derzeit nicht ganz billig und ihre Dividenden eher unterdurchschnittlich. Chinesische Aktien kauft man nicht wegen ihrer Dividendenrendite - mit unter 2 Prozent liegt diese deutlich tiefer als in Europa, Japan oder Schwellenländern. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis der chinesischen Aktien liegt etwas höher als bei anderen Emerging Markets, aber unter dem Bewertungsniveau in Europa und den USA. Andererseits gehören die Ertragsaussichten der chinesischen Unternehmen zu den besten weltweit. Aktienanalysten schätzen, dass die Gewinne in diesem Jahr um mehr als 15 Prozent steigen werden - weltweit einzigartig.
Hintergrund der blendenden Gewinnperspektive ist die gute Verfassung der chinesischen Wirtschaft. Die meisten Wirtschaftsindikatoren in China haben die Erwartungen zuletzt übertroffen, sodass die Deutsche Asset Management ihre Wachstumsprognose für 2018 von 6,3 auf 6,5 Prozent anheben konnte. Solide Fundamentaldaten, angekündigte Reformen staatlicher Unternehmen und Pläne zur Umstrukturierung der Wirtschaft - alle diese Faktoren dürften das langfristige Wachstum der chinesischen Wirtschaft stützen. Darüber hinaus begünstigen stärkere Importe in die USA und Europa sowie der andauernde Verzicht der USA auf Zölle das wichtige Exportgeschäft der Unternehmen. Insbesondere die Handelsdaten des chinesischen Zollbüros sprechen für eine Fortsetzung des zuletzt expansiven Exportwachstums.
Bei alledem präsentiert sich die chinesische Wirtschaft jedoch uneinheitlich: Einkaufsmanager-Indizes (PMI) deuten auf ein eher geteiltes Wachstumsprofil der chinesischen Wirtschaft hin: Einige Branchen boomen, andere schrumpfen. Stark zeigen sich vor allem der private Konsum und der Automobilabsatz in China.
Die stabilen Konjunkturaussichten haben bei den chinesischen Konsumenten einen längst vergessenen Optimismus ausgelöst: Chinas Index für das Verbrauchervertrauen erreichte jüngst mit 114,6 Punkten den höchsten Stand seit 20 Jahren. Schon zuletzt stieg der private Konsum in China kräftig, weil das Lohnwachstum das allgemeine Wirtschaftswachstum übertroffen hat. Besonders gefragt: Luxusgüter und andere Importe. So hat das National Bureau of Statistics ermittelt, dass die Käufe von SUVs und Unterhaltungsprodukten deutlich schneller gestiegen sind als der Gesamtumsatz im Einzelhandel.
Konsum wird einfach
Strukturell sollte die stetig rückläufige Sparquote in China zu einem Anstieg des Konsums führen. Ein höherer Verbrauch dürfte einen stabilisierenden internen Faktor für das Wachstum darstellen und die Abhängigkeit des Landes von Exporten verringern. Eine besondere Bedeutung hat dabei die Informationstechnologie - es gibt kaum einen IT-Trend, der nicht zuerst in China groß geworden ist. So sind beispielsweise digitale Geldbörsen wie Alipay oder Wechat Pay in China so populär geworden, dass Verbraucher anstelle von Bargeld oder Kreditkarten nun diese mobilen Geldbörsen nutzen: für das Mittagessen, die Miete, den Strom oder das Taxi.
2017 verzeichnete der IT-Sektor 92 Prozent Zuwachs, verglichen mit 54 Prozent für den breiten China-Index. Innovationen im IT-Sektor haben auch zu einem Anstieg der Indexgewichte der Sektoren Gebrauchsgüter und Finanzen geführt. Zu den Top-Ten-Unternehmen im MSCI-China-Index zählen aktuell die Internet-Konzerne Tencent Holdings, Alibaba Group, Baidu.com, Netease.com sowie der Mobilfunkgigant China Mobile. Über an den MSCI-China gekoppelte ETFs können Anleger an der steigenden Bedeutung der chinesischen Konsumenten für die Kapitalmärkte partizipieren. Die Konsumdynamik scheint außerdem von einem Wohlstandseffekt getrieben zu sein, der sich aus den jüngsten, sehr starken Steigerungen der Immobilienpreise ergibt. Dieser Wohlstandseffekt war, gesamtwirtschaftlich betrachtet, vor 2016 noch nicht signifikant, da die Immobilienpreise bis dahin allein in den Top-Städten spürbare Zuwächse verzeichneten - hier leben nur rund neun Prozent der städtischen Gesamtbevölkerung.
Da der Boom der Häuserpreise jedoch mittlerweile Städte mit zusammen über 63 Prozent der Stadtbevölkerung erreicht hat, profitiert jetzt ein größerer Anteil der chinesischen Bevölkerung davon. Die Häusermärkte entwickeln sich auch weiterhin positiv. Jedes Jahr zieht es 13 bis 15 Millionen Menschen in China vom Land in die Städte. Die Nachfrage nach Wohnraum ist unverändert hoch. Weil zudem spekulative Investoren am Häusermarkt auftreten, haben sowohl Zentral- als auch Kommunalverwaltungen im Oktober 2016 Beschränkungen für Hauskäufe eingeführt. Das hat eine Stabilisierung der Immobilienpreise mit sich gebracht. Darüber hinaus hat sich der Anstieg der Immobilienpreise deutlich verlangsamt, seit die People’s Bank of China (PBoC) Anfang 2017 begonnen hat, ihre Geldpolitik zu straffen.
Allerdings begünstigt die übermäßige Kreditexpansion steigende Immobilienpreise. Ende 2016 betrug der Anteil der Gesamtschulden Chinas am Bruttoinlandsprodukt 258 Prozent - zweifellos ein hohes Niveau. Auf der Ebene der Zentralregierung liegt die Verschuldung bei nur 37,6 Prozent des BIP und stellt damit kein wirkliches Problem dar. Bemerkenswert dagegen ist das Tempo, mit dem die Schulden der Staatsunternehmen und der öffentlichen Haushalte steigen.
Schulden sind kein Problem
Eine baldige Schuldenkrise ist dennoch eher aus folgenden Gründen unwahrscheinlich: Erstens ist Chinas Kapitalkonto nicht offen und die meisten Schulden werden von einheimischen Investoren gehalten. Zweitens weist der Großteil des Unternehmenssektors eine niedrige Verschuldung auf, obwohl es einige hochverschuldete und ineffiziente Staatsunternehmen gibt. Das eigentliche Schuldenproblem beschränkt sich auf bestimmte Sektoren mit Strukturwandel, insbesondere auf China Railway, die Kohle- und Stahlindustrie, den Baustoff-, Schiffbau- und Immobiliensektor.
Drittens: Die Verschuldungsgeschwindigkeit der Kommunen dürfte sich im kommenden Jahrzehnt verlangsamen. Die Schuldexplosion bei den Lokalregierungen ist vor allem im Zusammenhang mit Infrastruktur entstanden. Nach einer Regelung von 2015 müssen die Kommunen die private Verschuldung durch Anleihen ersetzen. Das führt zu mehr Transparenz. Zudem reformiert China sein Steuersystem, um den Kommunalverwaltungen mehr Einnahmequellen zu ermöglichen. Nicht zuletzt hat sich auch das Wachstum der Bankkredite in Zuge der Straffung der Geldpolitik sowie einer strengeren Bankenregulierung deutlich abgeschwächt. Dabei bewegt sich die PBoC auf einem schmalen Grat, denn sie versucht, die Verschuldung der Wirtschaft zu verringern und neue Geschäftsfelder zu regulieren, ohne die Gesamtinvestitionen zu stören. Bisher war sie mit dieser Politik erfolgreich.
Es ist offensichtlich, dass die Rohstoffpreise weiterhin ein entscheidender Faktor für die relative Gesamtperformance von Aktien in Schwellenländern bleiben werden. In China hat sich die Wertentwicklung von Aktien zunehmend von den Rohstoffpreisen entkoppelt. Darin spiegelt sich der Erfolg chinesischer Reformen. So haben die Behörden Überkapazitäten in rohstofflastigen Industrien wie Stahl und Aluminium in signifikantem Umfang abgebaut: Etwa ein Viertel der Kapazität in der Kohleförderung wurde gekappt sowie mehrere große Stahl- und Aluminiumhütten geschlossen. Das hat nicht nur zu einer besseren Kapazitätsauslastung und zu einer besseren Rentabilität in diesen Sektoren geführt, sondern auch zu weniger Umweltbelastung.
Positives Signal
Ganz nebenbei hat diese Politik der Angebotskonsolidierung dazu beigetragen, die Rohstoffpreise insgesamt zu stabilisieren, denn die Schließung der überschüssigen Kapazitäten in der Stahl- und Aluminiumproduktion hat zu einer deutlichen Erholung der Preise für Nichteisenmetalle geführt. Diesem Trend folgend und zusammen mit den Preissteigerungen bei Öl und Erdgas, ist der Erzeugerpreis-Index (PPI) deutlich gestiegen. Das ist ein klar positives Zeichen für Chinas Wirtschaft, denn sie sollte steigende Gewinne begünstigen und es den Unternehmen erleichtern, ihre Verschuldung zurückzufahren.
Zwei weitere Wirtschaftszweige mit hohen Überkapazitäten sind der Schiffbau und die Stromerzeugung, auch diese mit hohem Anteil Kohleverstromung. Diese wollen die Behörden in einem nächsten Schritt angehen. Da der Arbeitsmarkt relativ gesund ist, hat es bisher nur begrenzten Widerstand von Arbeitnehmerseite gegen die Versuche gegeben, Überkapazitäten abzubauen.
Nicht zu vergessen ist der ganz große strategische Blick, mit dem China die Zukunft gestalten will: Inspiriert von den uralten Handelsrouten der Seidenstraße, fördert China den Handel sowie die Entwicklung von Infrastrukturprojekten in Asien, Europa und Afrika. Schon jetzt zeigen sich die Auswirkungen des steigenden chinesischen Handelsvolumens: In den vergangenen zehn Jahren ist der Anteil der Länder deutlich gewachsen, die vor allem nach China exportieren - insbesondere in Europa und in Afrika.
Mit seiner "One Belt, One Road"-Initiative will China mehr als 65 Länder miteinander verbinden, die bis zu 40 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung auf sich vereinen. Diese Seidenstraßeninitiative könnte auch in den kommenden Jahren für noch weiteres Wachstum sorgen - schon heute zeichnet sich ab, dass sich der globale Handel immer mehr nach Asien und China verlagert.
Von Eric Wiegand, © März 2018, ETF Magazin
Über den Autor: Gastautor Eric Wiegand ist bei der Deutschen Asset Management Leider ETF-Strategie für Europa und Asien. Das ETF Magazin erscheint quartalsweise in Zusammenarbeit mit Focus Money und richtet sich an Berater, Vermögensverwalter und Portfoliomanager, ist aber sicher auch für informierte Anleger interessant.
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