Geldanlage-Serie: Welcher Risiko-Typ sind Sie wirklich?
Die beste Strategie nutzt nichts, wenn Anleger sie nicht durchhalten. Erfahren Sie, wie Sie Ihre Risikobereitschaft richtig einschätzen.
von Julia Groß, Euro am Sonntag
Ein großer Teil der Deutschen kann schwimmen. Dennoch gibt es Situationen, wo der oder die Einzelne trotz vielleicht bester Kraul- und Beinschlagtechnik die Nerven verliert und lieber nicht ins Wasser geht. Die einen beschleicht im offenen Meer ein mulmiges Gefühl, die anderen vielleicht in einem trüben Tümpel. Einer liebt wilde Brandung, dem anderen macht sie Angst.
Die Gründe dafür sind völlig individuell und mitunter auch irrational. Ganz ähnlich ist es auch bei der Geldanlage: Kursverluste wie in diesem Monat quittieren manche Anleger mit einem Achselzucken, andere bekommen beim Blick auf ihr Depot Schweißausbrüche und wollen handeln. Wie jemand mit Risiken umgeht, hängt von der Persönlichkeit ab. Beeinflussen lässt sich diese Eigenschaft im Kern nur wenig.
In der vergangenen Woche haben wir ausführlich über mögliche Ziele einer Kapitalanlage berichtet sowie über die Chancen, die ein langfristiges Engagement am Aktienmarkt bietet. All dieses Wissen nutzt aber nichts, wenn einem die Fehleinschätzung der eigenen Risikobereitschaft einen Strich durch die Rechnung macht und man bei den ersten Verlusten von seiner vorher geplanten Anlagestrategie abweicht. Wer panikartig verkauft, tut dies selten zu einem günstigen Zeitpunkt, häuft Kosten für Gebühren an und zerstört die Basis für die Wirkung des Zinseszinseffekts. Aber auch wenn man seine Risikobereitschaft unterschätzt, kostet das bares Geld: in Form von entgangener Rendite.
Ehrliche Einschätzung nötig
Für die erfolgreiche Geldanlage ist es deshalb essenziell, die eigene Risikobereitschaft ehrlich einzuschätzen. Dabei hilft der Test auf Seite 28. Weil es aber relativ leicht ist, sich bei solchen Fragebögen selbst zu beschummeln, sollten Anleger zusätzlich auch mindestens ein konkretes Verlustszenario durchrechnen, um sich darüber klar zu werden, welche Entwicklungen für sie absolut inakzeptabel wären. Wie das geht, erfahren Sie hier im Text. Ebenso, welche Maßnahmen Sie ergreifen sollten, um Verlustrisiken zu begrenzen.
Denn die risikolose Rendite ohne Fallstricke gibt es nicht, und Versprechen, die genau das in Aussicht stellen, sollten Anleger mit großem Misstrauen begegnen. Experten sprechen in dem Zusammenhang gern vom "magischen Dreieck": Von drei möglichen Eigenschaften einer Kapitalanlage - Rendite, Risiko und Liquidität - lassen sich stets nur zwei umsetzen. Sichere liquide Anlagen wie Sparbuch oder Tagesgeld sind nicht rentabel. Sichere rentable Anlagen sind nicht liquide, etwa langfristige Sparpläne. Und liquide rentable Anlagen wie Aktien oder Aktienfonds sind wiederum nicht sicher. Zwischen diesen Extremen kann jedoch jeder Anlegertyp eine passende Nische finden.
Liquidität spielt bei Anlegern mit einem langen Anlagehorizont, die wie empfohlen nur verfügbares Einkommen einsetzen, eine untergeordnete Rolle. Sie können sich vorrangig darauf konzentrieren, das für sie richtige Verhältnis zwischen Rendite und Risiko zu finden. Anders sieht es bei Anlegern aus, die in absehbarer Zeit über ihr Kapital verfügen wollen, zum Beispiel weil der Ruhestand bevorsteht. Sie müssen den Punkt Liquidität in den Vordergrund stellen und Risiken vermeiden. Die mögliche Rendite wird dadurch begrenzt.
Test mit zwei Teilen
Der Fragebogen auf der folgenden Seite soll Anlegern helfen, ihren Platz im magischen Dreieck zu bestimmen. Er besteht aus zwei Teilen: Zum einen geht es um die persönliche Risikobereitschaft, zum anderen um die persönliche Situation. Dabei werden auch der Anlagehorizont und die Bedeutung von Liquidität abgefragt. Zur Auswertung müssen Sie die Punktezahl des Risikoeinstufungsteils addieren, bei der Situationsbewertung zählt der kleinste Wert der gewählten Antworten. Aus beiden Ergebnissen ergibt sich anhand des unter dem Test abgedruckten Schemas der Anlegertyp.
Allerdings zeigt die Erfahrung von Vermögensverwaltern, dass Menschen dazu neigen, ihre Risikobereitschaft bei der Geldanlage deutlich zu überschätzen. Es lockt der Gedanke an Gewinne, und ein Kreuz auf einem Fragebogen bei der offensivsten Antwort ist schnell gesetzt. Gerade unerfahrene Anleger sind dafür anfällig.
Doch auch die jeweilige Marktsituation kann das Bild, das man von sich selbst hat, verfälschen: So gab es seit neun Jahren kaum noch größere Korrekturen an den Aktienmärkten, die nicht innerhalb weniger Tage wieder ausgebügelt wurden. Selbst so explosive, überraschende Ereignisse wie das Brexit-Votum der Briten brachten die europäischen Börsen nur ein paar Tage durcheinander. Unter diesen Bedingungen lässt sich leicht behaupten, dass Risiko zur Geldanlage dazugehört.
Theorie und Praxis klaffen oft weit auseinander. Die Einstufung per Test, wie sie auch Bankberater und neuerdings Robo-Advisors häufig durchführen, kann deshalb nur ein erster Schritt sein. Der zweite Schritt: Mit konkreten Werten ausrechnen, was ein Verlust bedeutet - und überlegen, ob man die Zahlen, die dabei herauskommen, wirklich aushalten kann. Und zwar nicht nur für einen Moment, sondern über Wochen und Monate.
Sinnvollerweise kalkulieren Anleger mit dem Betrag, den sie investieren wollen oder den ihr Depot insgesamt umfasst. Als Beispiel kann das Jahr 2008 dienen: Damals gab der S & P 500-Index 39 Prozent nach. Bezieht man das auf einen Depotwert von 50.000 Euro, bedeutet das einen Verlust von 19.500 Euro.
Hilfreich ist es auch, die Summe in einen konkreten Wert zu übersetzen. Für 19.500 Euro bekäme man beispielsweise einen neuen VW Golf. Oder auch eine komplette Küche mit gehobener Ausstattung. Oder mehrere Urlaube. Es dauerte übrigens vier Jahre, bis der S & P 500 das Niveau von Anfang 2008 wieder erreicht hatte. Wie sehr würde Sie so eine Entwicklung umtreiben? Und welchen prozentualen Verlust könnten Sie akzeptieren?
Diversifikation als Schlüssel
Für Anleger, die sich ein Bild von ihrer persönlichen Einstellung gemacht haben, ist die Streuung ihrer Investments über verschiedene Anlageklassen das wichtigste Instrument, um das Risiko etwa auf dem gewünschten Level zu halten. Ein defensiver Depotanteil, der in vorrangig kapitalerhaltenden Investments angelegt ist, vermag einen Absturz à la 2008 deutlich zu dämpfen. Investments, die möglichst wenig miteinander korrelieren, sich also tendenziell gegenläufig entwickeln, können Verluste noch stärker begrenzen.
Indem Sie regelmäßig dafür sorgen, dass das gewählte Verhältnis von defensiven zu offensiven Investments konstant bleibt, stellen Sie sicher, dass das Depot stets Ihrem Anlegertyp entspricht. Mit welchen Produktkategorien Sie entsprechend Ihrer Risikobereitschaft arbeiten können und wie eine sinnvolle Aufteilung aussieht, lesen Sie in der kommenden Ausgabe.
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