Bundesbank: Deutsche Wirtschaft stagniert im ersten Quartal in etwa - Russischer Energielieferstopp könnte BIP 2022 um 2 Prozent schrumpfen lassen
Die deutsche Wirtschaft hat nach Einschätzung der Bundesbank im ersten Quartal unter dem Einfluss widerstreitender Kräfte gestanden.
Wie die Bundesbank in ihrem Monatsbericht für April schreibt, zeigte sich der Dienstleistungssektor wegen der schrittweisen Aufhebung der Anti-Corona-Maßnahmen robust, während der verarbeitende Sektor unter dem Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine zu leiden begann. "Alles in allem könnte die Wirtschaftsleistung in Deutschland im ersten Quartal 2022 in etwa stagniert haben", heißt es in dem Bericht. Das Statistische Bundesamt veröffentlicht eine erste BIP-Schätzung am nächsten Freitag.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges dürften laut Bundesbank die eigentlich angelegte kräftige konjunkturelle Erholung in Deutschland erheblich schwächen. "Beeinträchtigungen im Außenhandel und in den Lieferketten, die drastisch gestiegenen Energiepreise und eine erhöhte Unsicherheit belasten Unternehmen und private Haushalte", schreibt sie.
Die Geschäftserwartungen der Unternehmen hätten sich im März laut Umfragen des Ifo-Instituts über alle Sektoren hinweg erheblich eingetrübt. "Besonders ausgeprägt war der Rückgang in der Industrie, wo auch die Produktionspläne und Exporterwartungen stark zurückgingen." Das Ausmaß der makroökonomischen Folgen des Krieges gegen die Ukraine sei jedoch nach wie vor sehr unsicher und hänge von seinem weiteren Fortgang ab.
Die Bundesbank erwartet, dass die Inflation in den nächsten Monaten ähnlich hoch wie zuletzt bleiben wird, als sie 7,6 Prozent, den höchsten Stand seit 1981, erreichte. Auch dies hänge aber vom weiteren Verlauf des Krieges in der Ukraine, den damit verbundenen Lieferengpässen sowie möglichen Ausweitungen der Sanktionen ab.
Russischer Energielieferstopp könnte BIP 2022 um 2 Prozent sinken lassen
Ein Stopp russischer Energielieferungen und ein Abbruch der Handelsbeziehungen zu Russland würde die deutsche Wirtschaft nach Berechnungen der Deutschen Bundesbank wegen des scharfen Anstiegs der Rohstoffpreise, negativer Vertrauenseffekte und des Fehlens von Rohstoffen schwer treffen - allerdings wohl nicht so schwer wie von manchen Ökonomen und Industrievertretern befürchtet.
Wie die Bundesbank in ihrem aktuellen Monatsbericht für April schreibt, könnte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2022 unter gewissen Annahmen um gut 2 Prozent sinken. Volkswirte hatten zuletzt BIP-Zuwächse von 2 bis 3 Prozent prognostiziert. Das Euroraum-BIP könnte um 1-3/4 Prozent zurückgehen.
Die Bundesbank nimmt in ihrem Mitte März entworfenen Szenario ein Ende der russischen Energielieferungen bereits für einen Teil des ersten Quartals an. "Es wird unterstellt, dass die EU... ein Embargo auf russische Produkte einschließlich fossiler Energieträger mitträgt. Über steigende Rohstoffpreise, wegfallende Handelsbeziehungen und eine länger erhöhte makroökonomische Unsicherheit kämen auf Deutschland und die anderen Mitgliedsländer des Euroraums wirtschaftliche Belastungen zu, die über das in der März-Projektion der EZB berücksichtigte Maß hinausgingen", heißt es in dem Bericht.
Die Bundesbank verwendete mehrere Makro-Modelle zu Abschätzung des wirtschaftlichen Schadens, für zwei von ihnen nennt sie Ergebnisse: Laut dem makroökonometrischen Modell der Bundesbank würde das BIP 2022 um knapp 2 Prozent unter dem "Vergleichsniveau" liegen, also der nicht veröffentlichten BIP-Prognose der EZB für Deutschland. "Für die Folgejahre zeigen die Simulationsergebnisse - getrieben durch den Einfluss der Rohstoffpreise - einen noch stärkeren Effekt", schreibt die Bundesbank.
Mit einer Input-Output-Rechnung versucht die Bundesbank zudem, die Auswirkungen eines Lieferstopps zu erfassen. Dabei geht sie davon aus, dass beispielsweise russisches Erdgas kurzfristig nicht ersetzt werden kann, weshalb es zu einer Rationierung zulasten der Industrie käme. Daraus ergibt sich für 2022 eine zusätzliche BIP-Minderung um 3-1/4 Prozent.
Laut Bundesbank addieren sich beide Effekte kurzfristig schlimmstenfalls, so dass das BIP um gut 5 Prozent unter der EZB-Prognose liegen würde. Die Bundesbank-Zahlen scheinen die Verfechter der These zu stützen, dass ein Importstopp für russisches Gas verkraftbar wäre. Chefvolkswirte industrienaher Wirtschaftsforschungsinstitute hatten dagegen vor einem BIP-Einbruch wie in der Corona-Krise (über 5 Prozent) und vor Massenarbeitslosigkeit gewarnt. Im Juni 2020 hatte die Bundesbank infolge der Corona-Krise ihre BIP-Prognose für 2020 um gut 7,5 Prozentpunkte gesenkt.
Zugleich käme es laut Bundesbank zu einem deutlichen Anstieg der Inflation. Gemäß ihrer Simulation könnte die am Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) gemessene Teuerung 2022 um 1-1/2 Prozentpunkte über der EZB-Prognose liegen und 2023 noch deutlicher. Selbst 2024 wäre die Inflation noch erhöht.
Die Bundesbank betont in dem Bericht, dass diese Szenarien - von Prognosen will sie nicht sprechen - von ungewöhnlich hohen Unsicherheiten umgeben seien. "Gleichwohl legen sie nahe, dass es im Falle eines Lieferstopps zu erheblichen BIP-Verlusten und einem weiteren, länger anhaltenden Anstieg der Inflationsrate in Deutschland und im Euroraum kommen könnte."
FRANKFURT (Dow Jones)
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