Leitzinscheck

Die Fed, die Aktentasche und Ihr Depot

07.09.14 03:00 Uhr

Die Fed, die Aktentasche und Ihr Depot | finanzen.net

Mit dem bevorstehenden geldpolitischen Richtungswechsel in den USA wird die Investmentwelt teilweise neu kalibriert. Für Anleger ist jetzt die Zeit gekommen, ihr Depot einem "Leitzinscheck" zu unterziehen.

Werte in diesem Artikel
Rohstoffe

2.711,64 USD -2,91 USD -0,11%

9.123,09 USD 69,88 USD 0,77%

80,86 USD -0,50 USD -0,61%

78,40 USD -0,36 USD -0,46%

von Björn Jesch, Gastautor von Euro am Sonntag

Erinnern Sie sich noch an den "Aktentaschenindikator"? Jahrelang analysierten Börsianer mit Akribie, wie schwer bepackt der frühere Chef der Federal Reserve (Fed) Alan Greenspan zu den Sitzungen des Offenmarktausschusses erschien. Dicke Akten­tasche - so die augenzwinkernde Logik -, und "Mister Money" hatte lange gearbeitet. Dann war wohl ein Zinsschritt der US-Notenbank zu erwarten. Dünne Aktentasche, und alles blieb beim Alten. Greenspan selbst hat später das "Mysterium" aufgelöst. Demnach hing der Umfang seiner Tasche davon ab, ob er eine Stulle eingepackt hatte oder nicht.

Wer­bung

Zwar sind derart bizarre Indikatoren heute nicht mehr im Einsatz. Aber auch 2014 bleibt die Einschätzung des künftigen Fed-Kurses wichtig und schwierig. Schließlich legt sie ­ mit ihrer Geldpolitik einen wesentlichen ­Börsenparameter fest. Kommt es hier zu grundlegenden Veränderungen, sollte jede Anlagestrategie neu überdacht werden. Und an diesem Punkt befinden wir uns gerade.

Fed mit Wirkung auf nahezu
alle Wertpapierkurse

Seit der Finanzkrise bestand das Hauptziel der Fed in einem niedrigen Zinsniveau, um die Wirtschaft zu stützen. Nun hat sich die ­US-Konjunktur aber deutlich erholt, und die Zentralbank steht vor einer neuen Herausforderung. Nach Jahren der quantitativen Lockerung ("quantitative easing", QE) rückt der Komplettausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik auf die Tagesordnung. Dieser Schritt ist ohne historisches Vorbild, denn seit 2008 ist Liquidität in bislang nicht bekanntem Ausmaß in das Finanzsystem geflossen. Allein die erste Stufe von QE hatte ein Volumen von 1,75 Billionen US-Dollar - und danach sollten noch zwei weitere Phasen folgen! Aktuell haben die Washingtoner Währungshüter über zwei Billionen US-Dollar nur an Anleihen mit zehnjähriger Restlaufzeit oder länger auf der Bilanz. Das Gegenstück zu diesen Zentralbankpositionen sind Überschussreserven bei den privaten Einlageinstituten, die das Geld wiederum häufig am Kapitalmarkt ­angelegt haben. Dadurch hatte QE letztlich einen mittelbaren Einfluss auf nahezu alle internationalen Wertpapierkurse.

Wer­bung

Kommt es nun zu einem Kurswechsel der Fed, wird der (bislang stetige) Zufluss an Zentralbankgeld zunächst abnehmen, dann ganz versiegen und sich schließlich sanft in sein Gegenteil verkehren. Auch wenn die Entwicklung behutsam vonstattengehen dürfte, eine derartige Bewegung hat es bislang noch nie gegeben. Entsprechend existieren weder bei Investoren noch bei den Notenbanken Erfahrungswerte. Welche Kraft allein die Annahme einer geldpolitischen Umkehr - zumindest kurzfristig - entfalten kann, zeigt das Beispiel vom Mai 2013. Damals brachte Ben Bernanke, der Nachfolger von Greenspan, in einer Anhörung vor dem US-Kongress erstmals die Möglichkeit eines Strategiewechsels der Fed öffentlich ins Spiel und löste damit einen Erdrutsch an den Kapitalmärkten aus. Bernanke hatte also, um im Eingangsbild zu bleiben, eine sehr dicke Aktentasche dabei.

Gerade in der derzeitigen geldpolitischen Umbruchphase ist daher das Verständnis von Motiven und Handlungsoptionen der Fed wichtig. Die US-Notenbank verfügt, im Gegensatz zur Europäischen Zentralbank (EZB), über ein duales Mandat, ist also sowohl der Preisstabilität als auch einer hohen Beschäftigung verpflichtet. In den vergangenen Jahren lag der Fokus vor allem auf dem Arbeitsmarkt, aber mittlerweile verschieben sich die Prioritäten. Im Juli wurden zum sechsten Mal in Folge mehr als 200.000 neue Jobs in einem Monat geschaffen, die längste derartige Serie seit 1997. Geht der Trend weiter, könnte über höhere Löhne die Teuerung künftig steigen. Das will die Zentralbank verhindern. Je besser sich der US-Arbeitsmarkt entwickelt, umso schneller dürfte sie daher den Richtungswechsel vorantreiben.

Wer­bung

Bereits seit Dezember 2013 reduziert die US-Zentralbank unter dem Stichwort "Tapering" ihre Anleiheankäufe. Angesichts der soliden Konjunktur ist davon auszugehen, dass im Oktober 2014 das Programm vollständig eingestellt wird. Spannend wird es danach. Eine schnelle, unvermittelte Erhöhung des Leitzinses ist unwahrscheinlich. Allerdings hat die seit Jahresanfang amtierende Fed-Chefin Janet Yellen bereits klargestellt, dass auch dieser Schritt nicht mehr allzu fern liegt. Zur Jahresmitte 2015 rechnen wir bei Union Investment daher erstmals seit Ausbruch der Finanzkrise wieder mit einer Leitzinserhöhung in den USA.

An den Kapitalmärkten dürfte diese Maßnahme - auch schon vor der eigentlichen Durchführung - zu einem Anstieg der Volatilität führen. Zudem werden die Rahmen­bedingungen für nahezu alle Anlageklassen verändert. Besonders augenscheinlich sind die Wirkungen an den Rentenmärkten. Hier ist mit einem Anstieg der Renditen bei US-Staatsanleihen zu rechnen, der in der Folge auch die höher verzinslichen Marktsegmente erfassen dürfte. Bei zehnjährigen US-Treasuries prognostizieren wir zum Beispiel zur Jahresmitte 2015 ein Niveau von 3,5 Prozent.

Starker Dollar verteuert nicht nur
Rohstoffe für die Industrie

Höhere Zinsen haben auch Effekte auf andere Bereiche. Neben den realwirtschaftlichen Faktoren ist das Zinsniveau in einer Volkswirtschaft eine entscheidende Bestimmungsgröße für den Außenwert der Währung. Durch höhere Zinsen in den USA wächst der Abstand zum Rest der Welt, dadurch wächst die Dollarnachfrage, und der "Greenback" wertet potenziell auf. Diese Entwicklung hat vielfältige Folgewirkungen, etwa auf Rohstoffe. Gold, Öl oder Kupfer werden an den Weltmärkten in US-Dollar notiert. Steigt der Wert der "Weltreservewährung", werden Rohstoffe teurer - ohne dass sich an deren Fundamentaldaten etwas verändert hätte.

Und auch bei Aktien spielt die Höhe des Zinsniveaus eine erhebliche Rolle. Zum ­einen weil die Neuanlage in anderen Bereichen (wie Renten) für Investoren im relativen Vergleich attraktiver wird. Zum anderen weil die Unternehmen durch höhere Zinsen mit größeren Refinanzierungskosten konfrontiert sind. Beide Effekte wirken grundsätzlich negativ auf Aktien, aber gerade beim zweiten Punkt sind die Unterschiede je nach Branche er­heblich. Denn: Nicht jeder Sektor ist gleich abhängig vom Zinsniveau. Während etwa der Immobiliensektor oder Energiekonzerne als kapitalintensiv gelten, sind viele Konsum- oder Medienunternehmen weniger stark auf Fremdmittel angewiesen.

Zur Person:

Björn Jesch, Leiter Portfolio­management
bei Union Investment

Jesch ist seit 2012 Leiter des Portfolio­managements von Union Investment und führt das Fondsmanagementteam mit rund 240 Mitarbeitern. Er wurde Anfang ­­ der 90er-Jahre bei der Dresdner Bank als Bankkaufmann und Devisenhändler ausgebildet. ­Später war er im Private Wealth Management der Deutschen Bank tätig und verantwortete dort als CIO die Anlagestrategie.
Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisen­banken und managt ­aktuell rund 220 Milliarden Euro für private und ­institutionelle Anleger.

Bildquellen: Fritz Philipp/Union Investment, Ismagilov / Shutterstock.com