Interview

Nouriel Roubini: Politik geht Munition aus

05.07.11 06:00 Uhr

Optimismus gehört nicht zu seinen Stärken: Nouriel Roubini, Professor für Ökonomie an der renommierten Stern Business School, gilt als Krisenprophet. €uro am Sonntag redete mit ihm Klartext.

von Andreas Höß, €uro am Sonntag

Viele sehen in ihm ein Frühwarnsystem für die Finanzmärkte. Roubini hat als einer der Ersten die Finanzkrise vorausgesagt und sich damit den Spitznamen „Dr. Doom“ eingehandelt. Nun warnt er, dass die hohen Schulden in den Industriestaaten die Welt in die nächste Rezession stürzen könnten.

€uro am Sonntag: Professor Roubini, seit dem Frühjahr gab es massenhaft schlechte Nachrichten. Die Atomkatastrophe in Japan zum Beispiel oder die Schuldenkrise in Europa. Haben sich die Börsen dafür gut gehalten?
Nouriel Roubini: Wir haben in diesem Jahr einige Schocks erlebt, zwei davon haben Sie genannt. Dafür haben sich die Börsen in der Tat gut gehalten.

Woran liegt das? Ignoriert man die Realität?
Bis in den April hinein hat man den positiven Faktoren einfach mehr Beachtung geschenkt. Und diese sind nicht zu leugnen. Die Weltwirtschaft hat ihren Einbruch aus der Krise aufgeholt und wächst wieder. Viele Unternehmen haben Kosten gekürzt, sind jetzt sehr produktiv und überraschen mit hohen Gewinnen. Die Schwellenländer haben sich außerdem als Lokomotiven der Weltwirtschaft etabliert.


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Das klingt überraschend positiv.
Wie gesagt, es gibt positive Faktoren. Daneben gibt es aber auch eine Vielzahl an negativen Entwicklungen. Und die sind seit Ende April wieder mehr in den Vordergrund gerückt. Deshalb hat seitdem auch so etwas wie eine Korrektur an den Börsen stattgefunden, die bisher aber eher gering ausgefallen ist.

Bisher? Sie erwarten also einen größeren Einbruch?
Ja, ich gehe davon aus, dass die Korrektur länger andauern wird. Viele Faktoren schüren die Unsicherheit an den Märkten und werden deshalb für Schwankungen sorgen. Die Konjunkturdaten in den USA und in Großbritannien sind schwach, Japan ist sogar wieder in die Rezession zurückgefallen. Die Schuldenkrise an der Peripherie Europas ist ein ­extrem hoher Unsicherheitsfaktor. Überhaupt stellen uns die hohen Schulden in den Industrienationen vor Probleme.

Die sind ja auch dadurch entstanden, dass man in der Krise die Banken gerettet hat.
Das Risiko der Banken ist damals auf die Staaten übergegangen. Nun strahlen die Staatsrisiken zurück auf den Bankensektor. Von 2007 bis 2010 hat man allen Schocks und negativen Marktentwicklungen mit Stützungsmaßnah­men entgegen­gewirkt. Das Glas war für die Märkte immer halb voll und nicht halb leer, weil Steuern und Zinsen gesenkt, Rettungspakete geschnürt wurden und man die Konjunktur angekurbelt hat. Jedes Mal, wenn es schlecht aussah, hat man ein neues Kaninchen aus dem Hut gezaubert. Jetzt aber geht der Politik die Munition aus.

Und sie kann die Realwirtschaft und die Märkte nicht mehr befeuern?
Die Stimulusprogramme sind zu einer Droge geworden. Der Entzug wird hart werden. Die geld- und haushaltspolitischen Konjunkturprogramme werden eingestellt, obwohl das Wachstum – zum Beispiel in Großbritannien oder den USA – nach wie vor blutleer ist. In den USA kämpft die Wirtschaft seit der Finanzkrise mit strukturellen Problemen. Die privaten Haushalte entschulden sich langsam und fahren den Konsum zurück. Bisher ist der Staat mit Konjunkturspritzen und einer expansiven Geldpolitik eingesprungen. Nun muss auch er sparen und wird künftig Transferleistungen kürzen oder Steuern erhöhen. Außerdem werden die Industriestaaten die Leitzinsen wieder anheben. Die Gefahr, dass die USA in die Rezession zurückfallen, steigt.

Gut, dass China die Weltwirtschaft wie schon 2009 aus der Krise ziehen wird.
Das ist keineswegs sicher. Auch in den Schwellenländern wächst die Wirtschaft wieder langsamer, weil man versucht, die Teuerung zu bremsen. China könnte zudem ab 2013 Probleme mit faulen Krediten und Überkapazitäten bekommen. Das Land gibt 50 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Sachinvestitio­nen wie Immobilienprojekte und Infrastruktur aus. Ich bin vor ein paar Wochen in einem nagelneuen, aber fast leeren Hochgeschwindigkeitszug durch China gereist. Parallel zur Zugtrasse verlief eine neue Autobahn, die ebenfalls fast leer war. Ich habe bisher keinen ähnlich gigantischen Investmentboom erlebt, der nicht mit einer harten Landung ausgegangen wäre.

Sie waren vor ein paar Tagen auch in Portugal.
Dort sieht es fast noch schlechter aus als in Griechenland. Dem Land fehlt jede Wettbewerbs­fähigkeit. Griechenland baut wenigstens Schiffe, Portugal lebt nur von Portwein und Tourismus. Wegen all dieser Risiken für die Wirtschaft und die Märkte kaufe ich niemandem ab, dass die Korrektur an den Börsen nur von kurzer Dauer sein wird.

Was sollten An­leger tun? Beten und Gold kaufen?
Sie sollten sich auf jeden Fall defensiv aufstellen und zum Beispiel Anleihen aus finanziell relativ gesunden Ländern wie Deutschland oder Rohstoffnationen wie Norwegen oder Australien kaufen. Auch erstklassige Unternehmen sind eine Option. Weitet sich die Korrektur aus, werden auch die klassischen siche­ren Häfen wie der US-Dollar und US-Staatsanleihen gefragt sein – trotz der Probleme in den USA.

Investor-Info

Weltwirtschaft
Anfälliges Comeback
Bei allen negativen Konjunkturnachrichten aus den USA – die Weltwirtschaft hat sich nach ihrem Absturz 2008 und 2009 schnell und kräftig erholt. So erwartet der IWF für 2011 ein globales Plus von 4,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Und 2012 soll die Weltwirtschaft noch einmal um 4,2 Prozent zulegen. Problematisch ist aber das starke Ungleichgewicht. Die Mehrheit der Schwellenländer wie China und Türkei boomen, während vor allem ­Industrienationen kaum wachsen. Zudem warnt der IWF, dass die Weltkonjunktur immer noch sehr anfällig für Krisen sei.

Aktienmärkte der Industrieländer
Günstig ist nicht immer gut
Für viele US-Konzerne wird es schwerer, positiv zu über­raschen. Zwar sind US-Aktien, ähnlich wie europäische Papiere, günstig bewertet. Allerdings ist das Potenzial für höhere Margen erschöpft, sagen Analysten. Bisher haben viele US-Firmen ihre Profitabilität im Wesentlichen durch Werkschließungen und Entlassungen gesteigert. Höhere Margen sind deshalb jetzt nur über Umsatzwachstum zu erreichen. ­Europa hat noch Spielraum. Laut UBS könnte die durchschnittliche operative Gewinnmarge 2011 von 13 auf 14 Prozent steigen. Das wäre ein Rekordwert.

Wall Street vs. Frankfurt
Starke deutsche Konzerne
In vielen Branchen, vor allem aber bei Autos, Chemie und in der Industrie, ist die durchschnittliche Kursentwicklung von Aktien deutscher Unternehmen seit Jahresbeginn klar besser als bei US-Aktien. Dass sich die Kurse von Eon und RWE wegen des Atomausstiegs schwächer entwickeln als die Aktien von US-Versorgern, ist dagegen nicht überraschend. Deutlich vorn, trotz der schwachen Konjunktur, liegen US-Firmen aber auch im Einzelhandel.