Was kann den DAX jetzt noch aufhalten, Thomas Mayer?
Dr. Thomas Mayer, ehemaliger Chefvolkswirt der Deutschen Bank, analysiert die Aktien- und Rohstoffmärkte. Zudem beurteilt er, wie es jetzt mit Griechenland weitergeht.
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von Benjamin Summa
finanzen.net: Herr Dr. Mayer, im griechischen Schuldendrama gab es einen Kurswechsel der Regierung von Alexis Tsipras. Man hat um eine Verlängerung des Kreditprogramms gebeten. Allerdings hat Berlin den Antrag schon zurückgewiesen. Geld ohne die Anforderungen des Programms zu erfüllen, komme nicht in Frage, sagt Wolfgang Schäuble. Wie geht es nun weiter?
Dr. Thomas Mayer: Es hätte mich auch gewundert, wenn sich Griechenland den Konditionen der Eurogruppe nun bedingungslos gefügt hätte. Auf der einen Seite will die Eurogruppe den "Grexit" vermeiden und gleichzeitig das Hilfsprogramm fortführen, die griechische Seite will das Geld ohne Konditionalität haben. Das hat Züge eines Pokerspiels. Eine Lösung wird vermutlich so aussehen, dass Hilfsgelder weiterhin an Auflagen gebunden werden, aber diese werden für die Griechen faktisch nicht mehr von Bedeutung sein. Die Signalwirkung einer solchen Lösung wäre verheerend, denn alle Regeln für Finanz- und Strukturreformen wären ad absurdum geführt.
Eine hypothetische Frage: Was würde in Griechenland konkret passieren, wenn das Land den Euro nicht mehr hätte?
Das Land würde wieder eine eigene Währung einführen, die aller Wahrscheinlichkeit nach in der Folge sehr stark abwerten würde. Die Schulden an die Euroländer würden wohl nicht mehr in vollem Umfang zurückbezahlt, sondern nur noch in abgewerteter neuer griechischer Währung - das käme dann einem Schuldenschnitt gleich. Die Währungsabwertung hätte zur Folge, dass sich die griechischen Privathaushalte weniger Importgüter kaufen könnten. Andererseits würden natürlich Exporte für Ausländer erheblich billiger - aus meiner Sicht würde das zu einer Ankurbelung vor allem des Tourismussektors führen. Solche Abwertungen sind zwar nicht gut für den Wohlstand der Bevölkerung, aber sie helfen aus verfahrenen Situationen, in denen das Wachstum niedrig und die Arbeitslosigkeit hoch ist, häufig wieder heraus.
Die Aktienmärkte lassen sich von der Griechenland- und Ukrainekrise nicht beeindrucken. Der Dax eilt seit der EZB-Ankündigung, Anleihen im Wert von 1,1 Billionen Euro anzukaufen, von Rekord zu Rekord. Ist ungetrübter Optimismus hier angebracht oder gibt es aus Ihrer Sicht auch Gefahren für die Aktienmärkte?
Die Märkte insgesamt werden natürlich gefüttert von der Liquidität, die die EZB und auch die japanische Notenbank auf die Weltmärkte pumpen. Die damit verbundene Zinsreduzierung führt natürlich dazu, dass sich die Gewinnmultiplikatoren bei den Unternehmen ausweiten und damit die Aktienmärkte steigen - der niedrige Ölpreis gibt zusätzlich Rückenwind. Diese Entwicklung dürfte kaum durch lokale Ereignisse wie den Krieg um die Ukraine oder einen "Grexit" nachhaltig beeinflusst werden.
Ich möchte kurz darlegen, warum die Auswirkungen eines "Grexits" auf die Finanzmärkte aus meiner Sicht stark begrenzt sind: Griechenland hat den absolut größten Teil seiner Schuld umgeschichtet in eine Verschuldung gegenüber öffentlichen Gläubigern, diese Schuld ist quasi nicht mehr am Markt. Das, was noch an Schulden gegenüber privaten Gläubigern übrig ist, würde wohl auch nach einem möglichen Euroaustritt Griechenlands weiter bedient werden. Denn die Alternative wäre eine Insolvenz wie in Argentinien, das wäre der weitaus schmerzhaftere Prozess.
Auch die Ansteckungsgefahr für andere Länder wäre nicht besonders groß, weil jetzt klar ist, dass sich der Europäische Stabilitätsmechanismus als Teil des Euro-Rettungsschirms im Zweifelsfall hinter notleidende Länder stellt - und wenn das nicht reicht, gibt es noch immer die EZB. Die Furcht vor einem "Lehman II" kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.
Nur eine Entwicklung könnte die Aktien-Hausse meines Erachtens empfindlich stören: die Änderung der Geldpolitik der US-Notenbank Fed. Ich vermute jedoch, dass die Fed das angekündigte Zinserhöhungsprogramm nicht durchziehen kann. Vermutlich wird sie im zweiten Halbjahr 2015 eine Zinserhöhung veranlassen. Das wird dann höchst wahrscheinlich zu stärkeren Marktvolatilitäten führen. Im Ergebnis werden dann nur noch kleinere Zinsschritte verfolgt, die marktverträglicher sind.
Eine Leitzinserhöhung in den USA würde den Dollar weiter stärken, weil er für Investoren noch attraktiver wird. Und die 1,1 Billionen Euro-Bazooka von Mario Draghi schwächt den Euro, weil die EZB die Geldmenge hierdurch stark erhöht. Nicht wenige sehen die Gefahr eines Abwertungswettlaufes, man könnte das auch Währungskrieg nennen, um Vorteile im Export zu haben. Wie ist Ihre Lesart in dieser Frage?
Von einem Währungskrieg würde ich dann sprechen, wenn alle Länder in Schwierigkeiten sind und einzelne Länder versuchen, eigene Probleme durch eine Abwertung auf andere Staaten abzuwälzen. Eine solche Situation existiert zurzeit nicht, denn die Veränderungen bei den Wechselkursen sind im Wesentlichen auf unterschiedliche Wirtschaftsentwicklungen zurückzuführen. Japan und die Eurozone schwanken um die Stagnation herum, deswegen ist die Geldpolitik hier expansiv und die Währungen schwach. Ganz anders sieht es in den USA und in Großbritannien aus, dort haben wir ein relativ robustes Wachstum. Das führt dazu, dass in diesen Ländern der nächste Zinsschritt nach oben sein wird. Zu einem Währungskrieg würde es nur dann kommen, wenn die positive konjunkturelle Entwicklung in den USA und in Großbritannien kippen würde.
Das ist ein Auszug aus einem Infotext, veröffentlicht auf der Website der Bundesbank: "Die Bundesbank und die Europäische Zentralbank (EZB) haben den klaren gesetzlichen Auftrag, Geldwertstabilität zu sichern. Würden die Notenbanken Geld drucken, um damit die Haushalte von Krisenstaaten zu finanzieren, könnte sie diesen Auftrag langfristig nicht erfüllen. Denn auf längere Sicht führt eine solche Staatsfinanzierung über die Notenpresse zu einer höheren Inflation - dies lehren die historischen Erfahrungen Deutschlands und vieler anderer Länder." Ökonomisch besteht aber kein relevanter Unterschied zwischen den Anleiheaufkäufen der EZB und einer direkten Finanzierung der Staaten durch die EZB, oder sehen Sie das anders?
Nein, ich sehe das genauso. Wenn die Banken Anleihen der Staaten aufkaufen und diese zur Refinanzierung bei der EZB einreichen, dann trägt die EZB zur Staatsfinanzierung bei. Der Arm der EZB wären dann die Banken.
Im Text der Bundesbank ist davon die Rede, dass durch eine massive Geldmengenausweitung auf längere Sicht eine starke Inflation zu befürchten ist. Derzeit dreht sich allerdings alles um Deflationsängste. Wie ist Ihr langfristiges Szenario in diesem Punkt: Deflation oder Inflation?
Es kommt immer auf die Definition von Inflation an. Wir haben die Konvention entwickelt, Inflation zu messen als Preisveränderung eines Warenkorbes, den die Statistiker als für den Konsumenten typisch beschreiben. Das ist aber nur ein Ausschnitt aus dem gesamten Umfeld, in dem sich Inflation entwickelt. Derzeit steigen zwar die Preise für die meisten Waren und Dienstleistungen nur moderat - und bei Öl sind sie sogar gefallen. Aber das ist ja nur ein Teil dessen, das man mit Geld kaufen kann. An den Aktien-, Anleihen- und Immobilienmärkten steigen die Preise sehr kräftig. Eigenartigerweise wird das hingenommen. Tatschlich ist diese Art der Inflation viel gefährlicher. Ein bestes Beispiel für diese Gefahr ist Japan in den 1980er-Jahren. Dort hatten wir eine ausgeprägte Vermögenspreis-Inflation, der Nikkei stand damals bei über 40.000 Punkten. Als die Blase 1990 platzte, wurde die japanische Wirtschaft in die Rezession gezogen, dann in die Stagnation, von der sich das Land bis heute nicht erholt hat. Eine Vermögenspreis-Inflation ist also wesentlicher gefährlicher als ein Konsumentenpreis-Inflationszyklus.
Um es zusammenzufassen: Die Geldpolitik hat jetzt schon eine negative Wirkung, diese wird nur von den Statistikern nicht erfasst.
Der starke Dollar ist ein Hauptgrund für die niedrigen Ölpreise - und niedrige Ölpreise bedeuten mehr Kaufkraft und höhere Margen für viele Unternehmen. Sehen Sie durch den dramatischen Verfall der Rohstoffpreise eigentlich ausschließlich Vorteile für die Weltwirtschaft?
Der Verfall der Ölpreise speist sich meines Erachtens aus zwei Quellen. Zum einen ist durch das Fracking in den USA zusätzliches Angebot auf den Markt gekommen. Zum anderen ist die Weltwirtschaft auf einen niedrigeren Wachstumspfad eingeschwenkt. In den westlichen Industrieländern ist man dabei, mit den Nachwirkungen der Finanzkrise zu kämpfen. Und in den Emerging Markets - allen voran China - hat sich das Wachstum verlangsamt. Mit einem langsameren Wachstum der Weltwirtschaft ist natürlich auch eine geringere Nachfrage noch Rohstoffen einhergegangen. Diese Situation ist für alle ölkonsumierenden Länder - dazu gehört Euroland und insbesondere Deutschland - uneingeschränkt positiv, weil sie eine Kaufkraftstärkung des Konsumenten bewirkt. Aber für die Ölproduzenten ist das natürlich weniger positiv. Die haben weniger Export-Einnahmen und müssen den Gürtel enger schnallen. Aber das betrifft relativ wenige, dünn besiedelte Länder. Einige von diesen Ländern trifft es brutal hart, nämlich die, die in der Vergangenheit vor dem Hintergrund steigender Ölpreise über ihre Verhältnisse gelebt haben. Beispiele sind Venezuela, Iran und Russland.
Gold hat in Euro im Vergleich zum Herbst 2014 mehr als 20 Prozent zulegen können. Wie bewerten Sie die langfristige Perspektive beim Krisenmetall?
Ich betrachte Gold nicht als klassischen Rohstoff, sondern als Alternativwährung zu unserem künstlichen, aus dem Nichts geschaffenen Geld. Da unser Geldsystem derzeit in einer schweren Krise steckt, man betrachte sich nur die Niedrigzinsen weltweit, ist Gold als Alternativgeld so etwas wie eine Option auf den Verfall unseres modernen Kunstgeldes. Für den Goldpreis wird langfristig entscheidend sein, ob unser Geldsystem langfristig wieder auf die Beine kommt. Wenn es nicht wieder auf die Beine kommt, dann wird der Goldpreis langfristig steigen. Gold ist die Put-Option, also eine Absicherung gegen den Zusammenbruch des Kunstgeldsystems. In der Vergangenheit musste für diese Put-Option Gold eine Prämie gezahlt werden in Form von entgangenen Zinsgewinnen. Diese ist in diesen Niedrigzinszeiten entfallen. Gold ist und bleibt für mich eine sehr interessante Anlageklasse.
Kurzvita
Dr. Thomas Mayer war Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Derzeit ist er Direktor der Denkfabrik der Vermögensverwaltung Flossbach von Storch.
Disclaimer: Der Autor, Benjamin Summa, ist freier Mitarbeiter bei finanzen.net. Er interviewt regelmäßig Finanzexperten zu aktuellen Themen.
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Bildquellen: Deutsche Bank AG