Indiens Bankenwelt

Indien: Bares statt Konto

12.09.14 03:00 Uhr

Indien: Bares statt Konto | finanzen.net

Fast jeder Inder hat ein Handy, die Mehrheit aber kein Konto. Das soll sich ändern. Noch ein zweiter Punkt macht Indiens Banken interessant: Wächst die Wirtschaft, wachsen zugleich die Geldhäuser.

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von Michael Braun Alexander, Euro am Sonntag

Unglaubliches Indien - mit diesem Slogan, begleitet von bunten Bildern, vermarktet sich das Land in der Welt. Eine hübsche Marketingaktion. Wer aber das "Incredible India" jenseits der touristischen Taj-Mahal-Oberflächlichkeit kennenlernen will, muss nur ein Konto bei einer indischen Großbank eröffnen. Selbst für ein langweiliges Girokonto ohne Kreditkarte oder Dispo sollte man fünf Monate, drei Filialbesuche, sechs Hausvisiten von Bankmitarbeitern, eine eidesstattliche Erklärung und zahllose Telefonate, SMS und Unterschriften einplanen. Der Antrag für die Einrichtung eines Wertpapierdepots, der nächste Schritt, umfasst 105 Seiten. Das sei eben leider "langwierig", sagt Biswadeep Sarkar, der zuständige Kundenbetreuer.

Ein zähes Prozedere - und dennoch, was Bankdienstleistungen in Indien angeht, quasi die Überholspur. Etwa 900 Millionen der rund 1,25 Milliarden Inder, von denen die Hälfte jünger ist als 25, haben zwar ein Handy; die Mehrheit hat allerdings noch heute kein Konto. Die Reserve Bank of India (RBI), Indiens Notenbank, schätzt, dass nur sechs Prozent der 600.000 Dörfer und Kleinsiedlungen des Subkontinents über eine Bankfiliale verfügen. Vor allem für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen wie Wanderarbeiter oder Bauern ist es fast unmöglich, ein Konto zu eröffnen. Dafür ist unter anderem ein kafkaesker Wohnsitznachweis erforderlich. Wer beispielsweise ein Zimmer oder eine Wohnung mit anderen teilt, was in Indien üblich ist, blitzt bei vielen Banken ab.

Indiens Finanzsektor ist in vieler Hinsicht archaisch und Jahrzehnte hinterher. Und er ist eine Art Hybrid: staatlich-bürokratisch und zugleich marktwirtschaftlich-dynamisch, rasantes Wachstum inklusive. Anleger sind deshalb gut beraten, indische Bankaktien in den kommenden Jahren auf dem Radar zu haben. Die von der Regierung Modi schwungvoll angegangene Liberalisierung der indischen Wirtschaft dürfte mittelfristig zu höherem Wachstum führen. Der Finanzsektor würde davon merklich profitieren, denn auch in Indien gilt eine alte Regel: Wächst die Wirtschaft, wachsen auch die Banken. Risikofreude und Durchhaltefähigkeit sollten Anleger aber mitbringen. Die Probleme der Branche sind so groß wie ihre Perspektiven.

Neben der drastischen Unterversorgung weiter Bevölkerungsteile mit Bank- und Sparprodukten weist Indiens Finanzsektor zwei Hauptprobleme auf. Zum einen mischt seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1947 der Staat fleißig mit. Noch heute liegen rund 70 Prozent der Vermögenswerte bei Staatsbanken, die in der Regel erheblich mehr faule Kredite in den Büchern haben als ihre privaten Rivalen. Zum anderen ist die Kapitalausstattung in Indiens Finanzsektor unzureichend: Er benötigt umgerechnet rund 30 Milliarden Euro an zusätzlichem Kapital, wenn 2018 die sogenannten Basel-III-Regeln in Kraft treten.

Interessante Adressen für Aktionäre gibt es trotz allem. Der Platzhirsch unter Indiens Privatbanken ist ein in Deutschland weitgehend unbekanntes Institut, die HDFC Bank, nach Marktkapitalisierung die Nummer 1 im Lande. Per April betrieb sie 3.403 Filialen und 11.256 Geldautomaten in Indien. Ihre Geschäftszahlen sind aus europäischer Sicht abenteuerlich gut. Die HDFC Bank hat seit 1998 das Kunststück fertiggebracht, den Gewinn jährlich um durchschnittlich 20 Prozent zu steigern  - ein Trend, der sich nach einer Berechnung des Nachrichtendienstes Bloomberg bis 2017 fortsetzen soll. In den Jahren 2005 bis 2014 hat sich der Nachsteuergewinn verzwölffacht, der Gewinn je Aktie knapp verachtfacht. Die Kreditqualität der Bank ist die beste in Indien.

Die Branche öffnet sich
Ende Juli wurden Spekulationen laut, wonach die HDFC Bank mit dem Mutterkonzern HDFC, einer Hypothekenbank, fusionieren und Kosten senken könnte, was bislang keines der beiden Unternehmen bestätigt hat. Darüber hinaus tragen sich Regierung und RBI mit dem Gedanken, den Aktienanteil, den ausländische Investoren an indischen Banken halten dürfen, von in der Regel 49 auf 74 Prozent zu erhöhen. Bei der HDFC Bank ist das sogenannte FII-Limit ("Foreign Institutional Investors") von 49 Prozent bereits ausgeschöpft - was dazu führt, dass die an westlichen Börsen gehandelten Papiere mit einem Aufschlag auf den in Indien quotierten Aktienkurs bewertet werden (siehe Investor-Info).

ICICI, gemessen an der Bilanzsumme die zweitgrößte Privatbank Indiens, ist ebenfalls ein solides Unternehmen, das mit seinen Zahlen allerdings hinter der HDFC Bank zurückbleibt. Das Wachstum bei Umsatz und Gewinn ist appetitlich. Mit einer Eigenkapitalrendite von 15,7 Prozent wäre ICICI in Deutschland ein Star, nicht aber in Indien. Die HDFC Bank liegt bei dieser Kennziffer zurzeit sogar bei 21,6 Prozent.

Mehr als einen flüchtigen Blick wert ist die kleine, vor 20 Jahren gegründete Axis Bank. Sie expandiert rasant: Allein im Geschäftsjahr 2013/14 wurden 455 neue Niederlassungen eröffnet, zwei Drittel davon an Orten, die zuvor keine Bankfiliale besaßen. In den vergangenen fünf Jahren hat Axis die Einlagen im Schnitt um jährlich 19,1 Prozent gesteigert, den operativen Gewinn sogar um 25,2 Prozent. Die Eigenkapitalrenditen schwankten im gleichen Zeitraum zwischen hohen 18 und 21 Prozent - mit der Folge, dass sich der Buchwert je Aktie seit 2009 mehr als verdoppelt hat. Faule Kredite hat die Bank fast keine.

Das sieht bei der State Bank of India (SBI) - börsennotiert, aber weiterhin staatlich kontrolliert - anders aus. Beim nach Bilanzsumme größten Finanzinstitut Indiens schlummern faule Kredite in Höhe von umgerechnet 7,5 Milliarden Euro in den Büchern. Das signalisiert massive Probleme bei der Vergabepraxis. Dennoch ist SBI, ein Gigant mit knapp 16.000 Filialen, 220 Millionen Kundenkonten und 222.000 Mitarbeitern, interessant. Die Bank, die zurzeit zu 59 Prozent dem Staat gehört, könnte mittelfristig weiter privatisiert werden. Finanzminister Arun Jaitley plant, den Regierungsanteil auf 51 Prozent zu senken.

Langfristig könnte SBI sogar mehrheitlich in private Hände übergehen. Ein weiterer Rückzug des Staats aus dem Finanzsozialismus der vergangenen Jahrzehnte, gemeinschaftlich von der Regierung Modi und der RBI vorangetrieben, ist absehbar - wobei die Gewerkschaften schon Protest angemeldet haben. So plant die Notenbank erstmals seit mehr als zehn Jahren die Ausgabe neuer Banklizenzen (siehe Investor-Info), die es auch Telekomunternehmen oder Einzelhändlern gestatten könnten, mit niedrigen Kapitalanforderungen als Anbieter aufzutreten. Insbesondere Kontoführung und Geldtransfers per Handy wären möglich. In weiten Teilen Afrikas, wo das Pro-Kopf-Einkommen oft unter dem indischen liegt, ist das längst Wirklichkeit.

Investor-Info

Reserve Bank of India
Indiens Währungshüter

Die Reserve Bank of India (RBI) wurde 1935 gegründet und hat ihren Sitz in der Wirtschafts- und Finanzmetropole Mumbai. Seit einem Jahr hat Raghuram Rajan das Amt des Gouverneurs inne und ist damit oberster Währungshüter der Rupie. Die RBI gilt als kompetent und reformfreudig, sie agiert relativ unabhängig von politischer Einmischung. Die Inflationsrate in Indien lag im Juni bei annualisiert 7,3 Prozent - ein hoher Wert, den die Notenbank senken will. Sie hat sich darüber hinaus die Integration all jener Inder auf die Fahnen geschrieben, die bislang keine Finanzdienstleistungen in Anspruch nehmen (können). Im Bankensektor plant die RBI zurzeit die Erteilung neuartiger Banklizenzen für Small Banks ("Kleinbanken") und Payment Banks ("Bezahlbanken").
Sie sollen den bis heute von Finanzdienstleistungen abgeschnittenen Teilen der Bevölkerung wie Landwirten oder Kleinunternehmern Zugang zu Konten, Überweisungen, Schecks oder Geldautomaten bieten. Die Small Banks sollen regional auftreten, Payment Banks sollen Kundeneinlagen annehmen, aber keine Kredite vergeben, sondern das ihnen anvertraute Geld vor allem in Regierungsanleihen stecken.
Die Devisenreserven der RBI betrugen Ende Juli bei steigender Tendenz 320,6 Milliarden US-Dollar - ein beträchtlicher Finanzpuffer, der das Schwellenland Indien auf absehbare Zeit vor Währungskrisen bewahren dürfte. Der vom internationalen Finanzsystem noch immer recht abgeschottete Subkontinent hatte bereits die vergangenen Finanzkrisen - beispielsweise 1997/98 (Asien) und in den Jahren 2007 bis 2009 - relativ unbeschadet überstanden.

HDFC Bank
Indiens Platzhirsch

Die Tochter der Immobilienbank HDFC ist für Anleger das interessanteste Papier in Indiens Finanzbranche. Die Zahlen stimmen, die langfristigen Aussichten sind vielversprechend. Da stört es nicht weiter, dass die an westlichen Börsen gehandelten Papiere einen kleinen Preisaufschlag gegenüber dem indischen Aktienkurs haben, weil die Maximalquote an ausländischen Investoren erreicht ist.

Axis, ICICI und SBI
Von solide bis spekulativ

Rasantes Wachstum, hohe Eigenkapitalrenditen und konstant starke Gewinnsteigerungen machen die Axis für Anleger nach der HDFC Bank zur zweitbesten Wahl in Indien. Auch die ICICI ist solide, ihre Zahlen reichen aber nicht an jene der Axis und der HDFC Bank heran. Eine spekulative Wette auf die Wende ist dagegen die börsennotierte, aber staatlich kontrollierte State Bank of India (SBI), die mittelfristig mehrheitlich privatisiert werden könnte.

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Bildquellen: Rechitan Sorin / Shutterstock.com, OlegD / Shutterstock.com

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