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Türkei nach der Wahl: Wankend in die Zukunft

30.04.17 03:00 Uhr

Türkei nach der Wahl: Wankend in die Zukunft | finanzen.net

Nach dem Referendum muss die Regierung endlich Reformen in Angriff nehmen - sonst droht dem Land eine schwere Wirtschaftskrise.

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von Astrid Zehbe, Euro am Sonntag

Es war ein knappes Ergebnis. Bei dem umstrittenen Verfassungsreferendum in der Türkei haben die Türken mit einem Vorsprung von nicht einmal zwei Prozentpunkten für die Einführung eines Präsidialsystems gestimmt, das sämtliche Macht bei Staatschef Recep Tayyip Erdogan bündelt.

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Reibungslos verlief die Abstimmung aber nicht. Wahlbeobachter kritisierten Unregelmäßigkeiten im Wahlkampf. Und die türkische Opposition beklagt Manipulationen und weigert sich erstmals seit 70 Jahren, ein Abstimmungs­ergebnis anzuerkennen.

Einzig die Finanzmärkte reagierten verhalten positiv auf den Ausgang des Referendums. Die Hoffnung auf eine zumindest kurzfristige Stabilisierung der Lage in der Türkei ließ die Aktien und die Währung des Landes zu Wochenbeginn moderat steigen, die Renditen für zehnjährige Staatsanleihen sanken um 0,3 Prozentpunkte. Dabei sind die langfristigen Aussichten alles andere als positiv. Die Wirtschaft des einstigen Boom-Landes legte 2016 lediglich um 2,9 Prozent zu. 2015 waren es noch 6,1 Prozent. Kapitalabflüsse, hohe Zinsen und sinkendes Anlegervertrauen belasten die Wirtschaft des Landes. Ohne Reformen und eine Verbesserung des Investitionsklimas wird sich die ökonomische Situation weiter verschärfen.
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Gefangen im Abwärtsstrudel

Kurzfristige Maßnahmen, wie Erdogan sie im Wahlkampf erlassen hat, helfen da nur wenig. Steuerbefreiungen oder die drastische Erhöhung der Staatsausgaben kurbeln zwar den Konsum an und besänftigen die Gemüter, nachhaltig sind sie allerdings nicht - zumal sie allesamt bezeichnenderweise Ende April schon wieder auslaufen.

Die Regierung muss vor allem ein Problem in den Griff bekommen: das sinkende Vertrauen in die Türkei. Dass Touristen, mit denen 2016 knapp 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet wurden, angesichts von Terrorgefahr und politischer Unsicherheit ausbleiben, ist schlecht. Schwerer wiegt jedoch die Skepsis von Investoren. Diese ziehen aus Sorge vor Verlusten ihr Kapital aus der Türkei ab.

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2016 sind die Auslandsinvestitionen gegenüber dem Vorjahr um ein Drittel zurückgegangen. Die Folge: ein drastischer Verfall der Lira. Seit dem Putschversuch im vergangenen Juli hat die türkische Währung mehr als 20 Prozent ihres Werts verloren. Das ist zwar positiv für den ohnehin schwächelnden Exportsektor, da türkische Produkte dadurch günstiger werden. Importe hingegen verteuern sich, was den Anstieg der Inflation in den vergangenen Monaten beschleunigt hat. Mit Werten jenseits der Zehn-Prozent-Marke ist die Teuerung mittlerweile so hoch wie zuletzt 2008.

"Der Verfall der Lira könnte die türkische Zentralbank zu drastischen Zinserhöhungen zwingen. Unternehmen würden Investitionen in die Zukunft verschieben und das Wirtschaftswachstum würde sich weiter verlangsamen", warnt Gregor Holek, Fondsmanager bei Raiff­eisen Capital Management. Schon das aktuelle Zinsniveau bei acht Prozent sorgt neben der allgemeinen politischen Unsicherheit dafür, dass kaum noch jemand investieren will. Die Schaffung neuer Jobs, die angesichts der hohen Arbeitslosigkeit dringend notwendig wären, stockt. Und um ein ausreichendes Angebot an Stellen zu gewährleisten, müsste die Wirtschaft wiederum jedes Jahr um fünf Prozent wachsen.

Es ist ein Abwärtsstrudel, aus dem es ohne eine Verbesserung des Investitionsklimas kaum einen Ausweg gibt. Immerhin hat der stellvertretende Ministerpräsident Mehmet Simsek nach dem Referendum angekündigt, den Fokus der türkischen Wirtschaftspolitik nun auf Strukturreformen legen zu wollen. Was ihm dabei genau vorschwebt, ließ er allerdings offen.

Den machtpolitischen Spielraum, diese schnell umzusetzen, gäbe es immerhin. Nach seinem umstrittenen Sieg hat Staats­chef Erdogan den landesweiten Ausnahmezustand zum dritten Mal verlängert. Dieser erlaubt es ihm, vorerst weiter per Dekret zu regieren.

Kaum Chancen, viele Risiken

Die Frage ist, wie ernst es ihm mit einer raschen wirtschaftlichen Erholung des Landes ist. Analysten befürchten, dass Erdogans primäres Ziel der Ausbau seiner Macht und damit die zügige Einführung des Präsidial­systems ist. Letzteres ist jedoch erst für die Zeit nach den nächsten Parlamentswahlen im November 2019 vorgesehen. Gut möglich, dass Erdogan schon vorher Neuwahlen ausruft - auch wenn er dies für den Fall einer Annahme des Referen­dums ausgeschlossen hatte. Die japanische Nomura Bank beziffert die Wahrscheinlichkeit dafür dennoch mit 50 Prozent.

Vor diesem Hintergrund dürften Konjunkturmaßnahmen auch weiterhin eher kurzfristigen Charakter haben. Denn angesichts des knappen Abstimmungsergebnisses beim Referendum kann es sich Erdogan kaum erlauben, die Bürger die Abschwächung der Wirtschaft spüren zu lassen. "Die Regierung dürfte dementsprechend versuchen, den produzierenden Sektor und den privaten Konsum weiterhin zu stärken", sagt Sebastian Kahlfeld von der DWS. "Kurzfristig dürften davon Aktien aus den Bereichen Infrastruktur, Immobilien, Konsum und dem staatlichen Bankensektor profitieren", ergänzt der Fondsmanager.

Angesichts der relativ niedrigen Bewertung des türkischen Aktienmarkts gebe es einige interessante Investitionsmöglichkeiten, insbesondere bei Unternehmen mit hohen Auslandsumsätzen und in Sektoren, die von staatlicher Unterstützung profitierten. "Insgesamt ist aber damit zu rechnen, dass der türkische Aktienmarkt weiter seitwärts tendieren und in einer abwartenden Haltung verharren wird", so Kahlfeld.

Entfernung von Europa

Denn es ist schwer abzuschätzen, welchen Weg die Türkei mit Erdogan einschlagen wird. Derzeit tut der Staatschef wenig, um international für sein Land als Investitionsziel zu werben. Insbesondere die Beziehungen zur Europäischen Union, dem wichtigsten Handelspartner der Türkei, sind angespannt.

Mit der ins Gespräch gebrachten Wiedereinführung der Todesstrafe stehen zudem die EU-Beitrittsgespräche vor dem endgültigen Ende. Damit ist ausgerechnet der Mann, der 2003 die Türkei mit Reformeifer und Demokratisierungswillen wirtschaftlich wachgeküsst hat, zum größten Risiko für das Land geworden.

Investor-Info

DWS Türkei
Kurzfristig attraktiv

Die Wirtschaftsaussichten in der Türkei sind wenig rosig, einige Branchen könnten aber von kurzfristigen Konjunkturmaßnahmen ­profitieren, etwa der Konsumsektor. Dieser macht zwölf Prozent des Portfolios aus. Dank niedriger Bewertungen ist der Aktienmarkt der Türkei insgesamt attraktiv - die Risiken sind jedoch hoch. Der Fonds ist darum nur zur ­Beimischung für Risikofreudige geeignet.

Mini-Future Long EUR Short TRY
Auf Lira-Schwäche setzen

Angesichts der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung ist eine weitere Abwertung der türkischen Lira möglich. Mit dem endlos laufenden Mini-Future von Vontobel können Anleger mit ­einem Hebel von aktuell 7,9 davon profitieren. Die Knock-out-Schwelle liegt bei 3,4481 Lira, sie ist vom derzeitigen Wechselkurs knapp zwölf Prozent entfernt.

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