Chancen mit den Next Eleven
Viele Anleger in Deutschland wissen heute längst um das Potenzial wachsender Märkte wie der BRIC-Staaten. Doch sie sind nach wie vor zögerlich, wenn es gilt, dort auch zu investieren.
Alessandro Reggi, Gastautor von Euro am Sonntag
Erst kürzlich wieder belegte eine repräsentative Studie, die TNS Emnid im Auftrag von Goldman Sachs Asset Management (GSAM) in Deutschland durchgeführt hatte: 58 Prozent der Anleger sind überzeugt, dass die BRIC-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China) in den kommenden Jahren das größte Wachstumspotenzial besitzen, aber nur 17 Prozent investieren derzeit außerhalb Deutschlands.
Auch in den kommenden Jahren will die große Mehrheit der Umfrageteilnehmer ihre Investments außerhalb Deutschlands nicht erhöhen. 80 Prozent der Anleger sähen für Kapitalanlagen in den Schwellenländern nur einen kleinen Teil ihres Gesamtportfolios (null bis fünf Prozent) vor. Gleichzeitig erwarten sie, dass die Renditen auf ihr Portfolio entweder unverändert bleiben (39 Prozent) oder sich verschlechtern (35 Prozent). Bei aller bisherigen Zurückhaltung der Anleger: Die Ergebnisse der Studie sind unserer Meinung nach auch ein klarer Hinweis auf ein erhebliches, bislang ungenutztes Potenzial durch deutsche Anleger.
GSAM hat 2011 eine neue Definition für acht der sogenannten Emerging Markets vorgelegt, die unserer Meinung nach in den kommenden Jahren für Anleger von besonderem Interesse sein könnten. Bei diesen Ländern handelt es sich um Brasilien, Russland, Indien, China, Mexiko, Südkorea, die Türkei und Indonesien. Aus diesen Ländern stammen heute bereits fast 20 Prozent der „Fortune 500“-Unternehmen – und dort wohnen 30 Prozent aller Milliardäre. Zu diesen acht Ländern zählen die zweit- und die siebtgrößte Volkswirtschaft der Welt.
Ist „Emerging Markets“ da wirklich noch die richtige Bezeichnung? Seit der Begriff in den 80er-Jahren geprägt wurde, ist der Anteil dieser Länder an der weltweiten Aktienmarktkapitalisierung von einem auf 13 Prozent gestiegen. Aber nicht alle Emerging Markets sind wirtschaftlich gleich erfolgreich, und auch das Wachstum ist nicht überall gleich hoch. Deshalb hat GSAM vorgeschlagen, jene acht, die jeweils mindestens ein Prozent zum Welt-BIP beitragen, Wachstumsmärkte zu nennen. Denn diese Länder können aufgrund ihrer Größe und Wirtschaftskraft in den kommenden Jahrzehnten erhebliche strukturelle Fortschritte machen. Sie werden zu jenen zehn Ländern gehören, die in diesem Jahrzehnt am meisten zum Weltwirtschaftswachstum beitragen.
60 Prozent des Wachstums
kommt aus Schwellenländern
Um nach unserer Definition ein Wachstumsmarkt zu sein, muss ein Land auch Wachstumspotenzial und eine günstige Demografie vorweisen. Außerdem muss sein Markt groß und liquide genug für Investoren sein. Die vier Länder mit dem größten Anteil am Welt-BIP – Brasilien, Russland, Indien und China, also die BRICs – dürften auch die größte Bedeutung für die Weltwirtschaft haben. Die übrigen Wachstumsmärkte – Mexiko, Südkorea, die Türkei und Indonesien – sind die vier größten der sogenannten N 11-(Next-Eleven-)Länder, zu denen die elf nach den BRICs bevölkerungsreichsten Länder zählen. Dieser demografische Vorteil ist ein wichtiger Wachstumsfaktor.
In den acht Wachstumsmärkten lebt schon heute fast die Hälfte der Weltbevölkerung, in den kommenden 20 Jahren dürfte ihre Erwerbspersonenzahl noch einmal um 300 Millionen steigen. Hinzu kommt, dass die Menschen hier jung sind. Mehr Erwerbstätige bedeuten mehr Menschen, die Geld verdienen, sodass Produktivität und Konsum steigen. Zurzeit stellen die Wachstumsmärkte 23 Prozent des Welt-BIP, und wir erwarten, dass dieser Anteil deutlich steigt. Bis zu 60 Prozent des Weltwirtschaftswachstums könnten dann auf sie entfallen. Diese Bedeutung unterscheidet die Wachstumsmärkte von den Industrieländern und den kleineren Emerging Markets.
Jim O’Neill, Chairman von Goldman Sachs Asset Management, hat das BRIC- und das N 11- Konzept entwickelt, weil er diesen Ländern zutraut, dass sie die Welt maßgeblich prägen können. Heute haben die BRICs und die N 11 zusammen einen Anteil von 23 Prozent an der weltweiten Aktienmarktkapitalisierung. 2020 könnten es schon 36 Prozent, 2030 sogar 46 Prozent sein. Deshalb, und weil es in den Wachstumsmärkten dann mehr Aktiengesellschaften geben wird als in den übrigen Emerging Markets, werden die Börsen und die Kapitalzuflüsse dort für mehr Wachstum sorgen. Zudem werden diese Märkte immer reifer, und man kann immer leichter in sie investieren.
Bei allen Risiken und möglichen Rückschlägen, die es für diese Länder noch geben kann, ist es eine gute Gelegenheit für Anleger, über die Grenzen der entwickelten Märkte hinauszublicken und die Chancen in den neuen Wachstumsmärkten wahrzunehmen.
zur Person:
Alessandro Reggi,
Executive Director,
Goldman Sachs
Asset Management
Der Autor absolvierte ein MBA-Studium an der European University, Montreux. Seit 2009 ist Reggi bei Goldman Sachs Asset Management (GSAM) in Frankfurt verantwortlich für das Geschäft mit Privatbanken und Family Offices in Deutschland.
GSAM wurde 1988 gegründet. Mit einem verwalteten Vermögen von 714,7 Milliarden
US-Dollar und mehr als 1.800 Spezialisten in 29 Niederlassungen weltweit zählt GSAM
zu den zehn größten globalen Assetmanagern.