Deutschland mit schwachem Wirtschaftswachstum: Große Chance für Europa?
2018 konnte Deutschland nur knapp einer Rezession entgehen. Das Wirtschaftswachstum fiel so schwach aus wie seit fünf Jahren nicht mehr. Für Europa muss das nicht zwingend Negatives bedeuten. Im Gegenteil, meint ein Ökonom.
Im vergangenen Jahr ist die deutsche Wirtschaft um gerade einmal 1,5 Prozent gewachsen. Eine Leistung, die das wirtschaftsstärkste Mitgliedsland der EU seit fünf Jahren nicht mehr erlebt hat. Nur knapp konnte Deutschland einer Rezession entgehen. Wirtschaftsvertreter sehen es als Warnzeichen für das neue Jahr. "Das Umfeld wird rauer und verlangt den Unternehmen erhebliche Anstrengungen ab, um ihre Wettbewerbsposition zu halten", so Außenhandelspräsident Holger Bingmann.
Probleme in der Autoindustrie und schwacher Außenhandel
Das schwache Wirtschaftswachstum ist eine Folge der rückläufigen Produktion in der Autoindustrie und des niedrigen Pegelstands des Rheins. Das neue Prüfverfahren zu Abgas- und Verbrauchswerten machte es im Sommer vergangenen Jahres vielen Konzernen schwer, mehr Wagen zu produzieren und diese auszuliefern. Durch den niedrigen Pegelstand des Rheins hingegen konnten viele Konzerne ihre Produkte nicht gewohnheitsgemäß transportieren und es stand vor allem Chemieunternehmen nicht genügend Kühlwasser zur Verfügung. Nicht zuletzt sorgten politischen Spannungen wie der Handelskrieg oder der Brexit für einen schwächelnden Außenhandel, von dem viele deutsche Unternehmen abhängig sind.
Schwaches Wachstum, doch große Chancen
Doch nicht alle Experten sehen die schwächelnde deutsche Wirtschaft als ein negatives Zeichen. So beispielsweise Chefökonom und Chief Investment Officer des dänischen Online-Brokers Saxo Bank, Steen Jakobsen. In der Sendung "Squawk Box Europe" äußerte der Branchenkenner gegenüber CNBC, dass Deutschland gerade jetzt die Chance hätte, die eigene Wirtschaft aufzufrischen und zurück ins Rennen zu gelangen. Mit steigenden Ausgaben und Investitionen würden die Deutschen nicht nur die eigene Wirtschaft wieder ankurbeln, sondern auch dem ebenfalls schwächelnden europäischen Wirtschaftsumfeld einen Schub verleihen. 2019 und 2020 seien hierfür "entscheidende Jahre für die Entwicklung Europas", so der Experte.
Denn derzeit besteht in Deutschland aufgrund seiner exportorientierten Wirtschaft ein Leistungsbilanzüberschuss, der so groß wie in sonst keinem anderen Land ist. Von letzterem spricht man, wenn die Ausfuhren eines Landes gemessen in Geldeinheiten größer sind als die Einfuhren. Und das erweist sich für Deutschland als ein ernst zunehmendes Problem. Denn nicht nur, dass es als Handelsprotektionismus betrachtet wird. Es verursacht bei Handelspartnern auch wirtschaftliche Probleme. Eine strategische Vorgehensweise, weswegen Deutschland nicht selten kritisiert worden ist.
Drohende Konjunkturabschwächung in 2019
Das bisher angestrebte Wirtschaftsmodell mit Fokus auf Produktion und Export müsse Deutschland nun laut Jakobsen ändern. Vor allem angesichts der eingeführten Zolltarife auf europäische Autoimporte - Deutschlands wichtigstem Wirtschaftszweig. Doch auch ohne die aktuellen politischen Spannungen könnte es in 2019 zu einer Rezession der deutschen Wirtschaft kommen. Jakobsen führt das auf die Wirtschaftspolitik des Landes zurück. Deutschland stecke noch immer in der dritten industriellen Revolution, die die Automatisierung durch Elektronik und IT zum Gegenstand hat.
Sollte Deutschland seine Wirtschaft nicht "updaten", "kann es zu einem verzweifelten Europa kommen, das nach den Europawahlen im Sommer nichts mehr als ein hoffnungsloser Fall sein wird", so Jakobsen. Die Europäische Kommission sagte für 2019 voraus, dass die deutsche Wirtschaft um nur 1,1 Prozent wachsen wird. Doch auch im europäischen und internationalen Raum schwächt sich die Wirtschaft ab. Während für Europa ein Wachstum von 1,3 Prozent erwartet wird, schätzt der Internationale Währungsfonds, dass das weltweite Wachstum in diesem Jahr bei 3,5 Prozent liegen wird.
Sollte es tatsächlich zu einer größeren Konjunkturabschwächung kommen, ist Europa laut Saxo Bank nicht besonders gut positioniert. Denn in der EU befinden sich die meisten Länder mit Leistungsbilanzüberschüssen und bekanntlich sind es gerade diese, die am meisten unter einer Rezession leiden.
Redaktion finanzen.net
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