Zeitungsbericht

EZB-Mitglieder trafen Finanzakteure kurz vor wichtigen Sitzungen

03.11.15 12:42 Uhr

EZB-Mitglieder trafen Finanzakteure kurz vor wichtigen Sitzungen | finanzen.net

Die EZB steht zunehmend unter Druck, die Kontakte ihrer Mitglieder zur Finanzbranche stärker zu regulieren.

Gerade erst hat die Notenbank mehr Transparenz versprochen, da unterstreicht ein Zeitungsartikel die Brisanz des Themas. Einige führende Mitglieder der Europäischen Zentralbank (EZB) haben laut der britischen "Financial Times" (FT, Dienstagausgabe) in der Vergangenheit mehrfach kurz vor wichtigen Zinsentscheidungen Vertreter von Privatbanken und Vermögensverwaltern getroffen, in einem Fall sogar nur Stunden zuvor. Experten sind zwiegespalten, welche Schlüsse nun zu ziehen sind. Kontakte zur Finanzbranche seien nötig, so der Tenor. Man bewege sich auf einem schmalen Grat. Es gibt aber auch die Meinung, dass zumindest kurz vor entscheidenden Sitzungen entsprechende Treffen untersagt werden sollten.

Die FT verweist in ihrem Bericht auf einen Terminkalender der Notenbank, den sich die Zeitung nach eigenen Angaben unter Berufung auf Gesetze zur Informationsfreiheit beschafft hat. Der Kalender decke die Termine aller sechs Mitglieder des geschäftsführenden EZB-Direktoriums im Zeitraum von August 2014 bis August 2015 ab. Dokumentiert seien Treffen mit den Finanzdienstleistern und Banken UBS, BNP Paribas, Blackrock, Algebris und Pimco. Zum Direktorium der EZB gehören EZB-Chef Mario Draghi, EZB-Vize Vitor Constancio und weitere vier Mitglieder.

Besonders bemerkenswert: EZB-Direktor Benoit Coeure traf Vertreter der Bank BNP Paribas am Morgen des 4. September 2014. An diesem Tag überraschte die Notenbank die Märkte mit einer Zinssenkung. Zudem fanden einige der Treffen auf dem Höhepunkt der Griechenlandkrise im Sommer 2015 statt, als im Rahmen zahlreicher Telefonkonferenzen wichtige Entscheidungen über die Notkredite für griechische Banken (Ela) anstanden. Laut FT wollten alle genannten Finanzdienstleister und die EZB-Direktoriumsmitglieder die Fälle auf Nachfrage nicht kommentieren.

Bei der Frage, wie eng der Kontakt zwischen EZB-Vertretern und Akteuren am Finanzmarkt sein darf, sehen Experten einen schmalen Grat. Das Thema sei "heikel", sagte Bert van Roosebeke, Finanzmarktexperte beim Freiburger Centrum für Europäische Politik (cep) gegenüber der Finanznachrichtenagentur dpa-AFX. "Treffen zwischen Vertretern der EZB und der Finanzbranche sind grundsätzlich nicht problematisch, und ein regelmäßiger Austausch ist zur Erklärung der getroffenen geldpolitischen Entscheidungen angemessen."

Es dürfe bei solchen Treffen aber nicht über künftige EZB-Entscheidungen gesprochen werden, was schwer zu kontrollieren sei, sagte Van Roosebeke. "Es muss der Eindruck vermieden werden, dass ein entsprechender Austausch stattfindet." Letztlich spiele es kaum eine Rolle, ob Treffen unmittelbar vor EZB-Sitzungen stattfinden oder mit größerem zeitlichen Abstand. "Im Grunde müssten sich die EZB-Mitglieder durchgehend im Keller verstecken, um jeden Verdacht zu vermeiden, was aber nicht die Lösung sein kann", sagte Roosebeke.

Auch Michael Schubert, EZB-Beobachter von der Commerzbank, findet es schwierig, eine praktikable Lösung zu finden, weil der Kontakt zur Finanzbranche für die EZB wichtig sei. Er hielte es aber für konsequent, wenn Treffen unter Ausschluss der Öffentlichkeit kurz vor Zinsentscheidungen eingestellt würden, sagte Schubert gegenüber dpa-AFX. Eine Möglichkeit sei, sich an der sogenannten "Purdah-Periode" zu orientieren. Das ist eine Vereinbarung innerhalb der EZB, wonach sich ranghohe Notenbanker eine Woche vor einer Zinssitzung in der Öffentlichkeit nicht mehr über die Geldpolitik äußern sollen. "Im Grunde könnte man die Purdah-Regelung auf Treffen ausweiten, die mit Vertretern aus der Finanzbranche unter vier Augen stattfinden", so Schubert.

Diese Möglichkeit wurde seitens der EZB bislang nicht ins Spiel gebracht. Ende Oktober hatte die Notenbank allerdings nach gestiegenem öffentlichen Druck zu mehr Transparenz angekündigt, dass erstmals im Februar 2016 die Terminkalender ihrer Direktoriumsmitglieder veröffentlicht werden. Dabei werden auch Treffen mit Akteuren außerhalb der EZB im Kalender erscheinen. Allerdings würden Ausnahmen gemacht, falls das öffentliche Interesse gefährdet werde. Die Kalender sollen rückwirkend mit einer Zeitverzögerung von drei Monaten veröffentlicht werden. Es werden also Termine ab dem 1. November 2015 dargestellt. Die Veröffentlichung des Terminkalenders durch die FT am Dienstag zeigt aber, dass die EZB eine Veröffentlichung des Kalenders aus juristischen Gründen offenbar ohnehin kaum zurückhalten kann.

Mit der künftigen Veröffentlichung des Kalenders hatte die EZB auf gestiegenen Druck reagiert, für mehr Transparenz zu sorgen. Die Öffentlichkeit war hellhörig geworden, nachdem eine Rede des EZB-Direktors Coeure im Mai dieses Jahres für Wirbel gesorgt hatte. Coeure hatte vor einem Kreis ausgewählter Vertreter der Finanzbranche gesagt, dass die EZB wegen der geringeren Handelsaktivität in den Sommermonaten einen Teil ihrer Wertpapierkäufe vorziehen werde. Diese Information wurde erst am folgenden Tag veröffentlicht und führte zu deutlichen Kursbewegungen an den Finanzmärkten.

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FRANKFURT (dpa-AFX)

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