Kreditblase? - So funktioniert Chinas Geld-Maschinerie
Chinas Verschuldung ist in den letzten Jahren dramatisch gestiegen. Blickt man aber in die Bilanzen der chinesischen Großbanken, dann finden sich keinerlei Anzeichen auf eine möglicherweise bevorstehende Krise.
Das liegt an einem gut geölten Schattenbankensektor, der problematische Risiken zunehmend übernimmt - und außerdem an einigen bedenklichen Fehleinschätzungen.
Es hat sich herumgesprochen, dass Chinas überdurchschnittliches Wachstum verstärkt von einer immer höheren Gesamtverschuldung abhängt. Der Startschuss für diese unselige Abhängigkeit fiel während der Finanzkrise. 2009 legte die chinesische Regierung ein für damalige Verhältnisse unerhört großes Stimulusprogramm von 4 Billionen Yuan (520 Milliarden EUR) auf, um sich gegen den globalen Konjunktureinbruch abzuschirmen. Peking nötigte im Zuge dessen auch die Provinzregierungen und die von ihnen kontrollierten Staatsunternehmen zu hohen Investitionen, die notfalls auf Pump finanziert werden sollten. Das dafür notwendige Geld stellten die Großbanken zur Verfügung, die ebenfalls vom Staat kontrolliert werden, und die nur allzu gern Kredite an vermeintlich sichere Schuldner aus dem Staatssektor ausreichten.
Schon damals wurden freilich Befürchtungen laut, dass durch das Konjunkturprogramm viel Geld in wirtschaftlich unsinnige Projekte fließen würde. Die forcierte Kreditvergabe ließ außerdem vielerorts überschüssige Produktionskapazitäten entstehen, und sie blähte Wirtschaftszweige künstlich auf, die eigentlich unrentabel waren. In den folgenden Jahren zeigte sich zunehmend, dass die immensen Ausgaben die Konjunktur tatsächlich nur bedingt stimulierten, und dass die Regierung immer neue Investitionen anregen musste, um ihre ehrgeizigen Wachstumsziele zu erreichen. Chinas Wachstum basierte von nun an in weiten Teilen der Wirtschaft auf einer immer höheren Kreditvergabe.
Die Rolle der Staatskonzerne
Chinas Gesamtverschuldung außerhalb des Finanzsektors (also beim Staat, den privaten Haushalten und den Unternehmen) lag vor der Finanzkrise noch bei halbwegs überschaubaren 132% des Bruttoinlandsprodukts, und auch im Jahr 2012 befand sich das Verhältnis der Schulden zur Wirtschaftsleistung mit knapp 160% noch auf einem erträglichen Niveau. Inzwischen ist der Verschuldungsgrad des Landes aber auf rund 260% des Bruttoinlandsprodukts geradezu explodiert. Fast ein Viertel aller Kredite weltweit müssen derzeit von chinesischen Schuldnern bedient werden. Und allein im Jahr 2016 wuchs das in China ausstehende Kreditvolumen um weitere 12,7 Billionen Yuan (1,7 Billionen Euro) an - das entspricht mehr als dem Dreifachen der Summe, die sich Peking im Jahr 2009 sein riesiges Sonderinvestitionsprogramm kosten ließ!
Die Pekinger Zentralregierung selbst ist nach wie vor nicht besonders hoch verschuldet. Ihr Verschuldungsgrad liegt bei relativ moderaten 60% des Bruttoinlandsprodukts. Eine weitaus höhere Schuldenlast trägt der Unternehmenssektor, der mit rund 135% des BIP in der Kreide steht, und damit im internationalen Vergleich sehr schlecht dasteht. Hier kommt den staatseigenen Konzernen eine besondere Rolle zu, die lediglich für ein Fünftel der in China erwirtschafteten Unternehmensgewinne, aber für 40% der ausstehenden Kredite stehen. Hinter diesem Sektor verbergen sich zu einem guten Teil auch die Verbindlichkeiten der chinesischen Provinzregierungen. Sie betreiben viele Staatkonzerne über entsprechende Finanzierungsgesellschaften, und geraten dadurch zurzeit selbst verstärkt in Liquiditätsengpässe.
Sparsamkeit war gestern
Daneben wuchs auch noch die Verschuldung der chinesischen Privathaushalte zuletzt stark an. Sie liegt mit 44% des BIP zwar noch unter dem internationalen Durchschnitt, hat sich aber seit 2008 in etwa verdoppelt. Das Verhältnis der privaten Schulden zum verfügbaren Jahreseinkommen kletterte im gleichen Zeitraum von 35% auf 90%, während sich das Verhältnis der Ersparnisse zum verfügbaren Einkommen von 30% im Jahr 2000 mittlerweile halbiert hat.
Das liegt unter anderem daran, dass junge Chinesen in den Großstädten heute weit konsumfreudiger sind als deren für ihre eiserne Sparsamkeit bekannte Elterngeneration. Daneben verschulden sich viele Chinesen Hals über den Kopf für den Kauf von Wohnungen, deren Preise in den letzten Jahren exorbitant gestiegen sind. 2016 wuchs das Volumen der neu ausgereichten Hypothekendarlehen um satte 35% an; ihr Anteil an den insgesamt in China ausstehenden Krediten erhöhte sich dadurch auf immerhin 18%.
Trügerische Bankbilanzen
Angesichts einer derart steigenden gesamtwirtschaftlichen Verschuldung sollte man bei Chinas Banken wachsende Probleme und höhere Kreditausfallraten erwarten. Bei den börsennotierten Bankenriesen, die immer noch für den Löwenanteil der Kreditvergabe stehen, kann davon aber bisher keine Rede sein. Die Großbanken des Landes verdienten dank der robusten Kreditnachfrage und höherer Nettozinsmargen auch im dritten Quartal 2017 wieder prächtig.
Die einschlägigen Risikokennziffern der chinesischen Großbanken lassen ebenfalls keine größeren Schwierigkeiten erkennen. So lag der Anteil der ausfallgefährdeten Kredite im Portfolio von ICBC, der größten chinesischen Bank, im abgelaufenen Quartal bei lediglich 1,56% (nach 1,62% im Vorjahr); Bank of China, China Construction Bank und Bank of Communications wiesen ebenfalls extrem niedrige Werte von nur 1,41%, 1,5% und 1,51% aus. Angesichts solch traumhaft niedriger Kreditausfallraten kommt man nicht unbedingt auf die Idee, dass von Seiten der stark gestiegenen gesamtwirtschaftlichen Verschuldung etwaige systemische Risiken drohen könnten.
Die Sicherheit, die die chinesischen Bankbilanzen suggerieren, ist aber trügerisch. Es stimmt zwar, dass Chinas Großbanken im Verhältnis zu ihrer immensen Kreditvergabe bisher nur sehr geringe Zahlungsausfälle hinnehmen mussten. Bei den Ausleihungen an staatsnahe Konzerne unterliegen die Institute aber zunehmend einer gefährlichen Sicherheits-Illusion. In der Vergangenheit war die Zahlungsunfähigkeit eines von der Regierung kontrollierten Unternehmens noch fast undenkbar. Inzwischen hat Peking aber deutlich weniger Hemmungen, auch große staatseigene Betriebe in Konkurs gehen zu lassen. Noch 2014 gab es keinen einzigen großen Zahlungsausfall bei einem chinesischen Staatsunternehmen, 2016 gerieten dagegen bereits 28 Gesellschaften in Schieflage (darunter erstklassige Adressen wie Sinosteel und die Dongbei Special Steel Group) - und konnten Forderungen in Höhe von 19 Milliarden Yuan (2,5 Milliarden Euro) nicht mehr bedienen.
Das Ende der Garantien
Die unausgesprochene universelle Staatsgarantie für regierungseigene Konzerne, die Chinas exzessives Kreditwachstum erst möglich gemacht hat, gilt somit nur noch bedingt. Das hat auch für eine weitere Eigenart des chinesischen Kreditwesens Konsequenzen, nämlich für die sogenannten Garantie-Unternehmen. Diese Einrichtungen sichern das Risiko von Banken und anderen Investoren, die Unternehmenskredite vergeben, weitgehend ab, und stellen dafür pro Jahr lediglich 2 bis 3 Prozent der Kreditsumme in Rechnung.
Derzeit gibt es noch rund 7.000 solcher Garantiegesellschaften, die von der Finanzregulierung so gut wie nicht erfasst werden, und die laut der Ratingagentur Moody´s aktuell für ein Kreditvolumen von 2,2 Billionen Yuan (285 Milliarden Euro) geradestehen. Rund ein Drittel dieser Unternehmen werden von staatlichen Stellen betrieben, womit sich Peking und die Provinzregierungen auch noch die Haftung für Kreditrisiken außerhalb ihres direkten Kontrollbereichs aufgebürdet haben.
In der guten alten Zeit, in der für nahezu alle Unternehmenskredite eine implizite Staatsgarantie bestand, erzielten die Garantiegesellschaften hohe und vermeintlich risikolose Gewinne. Da sich die Konkurse der Kreditnehmer aber inzwischen häufen, sind bereits tausende Garantieunternehmen untergegangen. Der traurige Höhepunkt war dabei 2015 der Kollaps der Hebei Financing Investment Guaranty Group, die unter anderem von der Provinzregierung Hebei und der staatlichen Schuldenagentur SASAC finanziert wurde. Die Außenstände der Gesellschaft sollen bei bis zu 60 Milliarden Yuan (7,8 Milliarden Euro) gelegen haben, und ihr Zusammenbruch fand komplett ungeordnet statt, so dass ihre Träger auch zwei Jahre später noch keinen Zugriff auf die verbliebene Substanz erhielten.
Der Niedergang der Hebei Financing Guaranty Group macht deutlich, wie sehr sich die Verhältnisse in Chinas Kreditwirtschaft gewandelt haben, und wie wenig ihre Akteure auf diese Veränderungen vorbereitet waren. Er zeigt aber vor allem auch, dass in Chinas Finanzsystem problematische Strukturen entstanden sind, die dazu führten, dass die vorhandenen Kreditrisiken völlig falsch eingewertet wurden und nun auf breiter Front unterschätzt werden.
Umweg über den grauen Kapitalmarkt
Auch im klassischen Bankensystem Chinas werden Risiken systematisch verschleiert - unter anderem dadurch, dass die Institute riskantere Positionen zunehmend aus ihren Bilanzen auslagern. Sehr beliebt ist es etwa, Kredite an Schuldner mit niedriger Bonität in eigens dafür konzipierte "Vermögensverwaltungsprodukte" zu packen und diese direkt an die Bankkunden zu vertreiben. Diese Anlagevehikel finden dank ihrer höheren Renditeaussichten in China reißenden Absatz, und die Rückzahlung des eingesetzten Kapitals wird von den Banken fast immer garantiert. Auf diese Weise bürgen die Finanzhäuser zusätzlich für enorme Risikokreditbeträge, die aber nicht direkt in ihren Bilanzen auftauchen.
In derartigen Vermögensverwaltungsprodukten werden inzwischen fast alle Arten von Kreditrisiken untergebracht. Ihr ausstehendes Volumen hat sich seit 2011 auf 26,4 Billionen Yuan (3,4 Billionen Euro) vervierfacht, was bereits rund 37% des chinesischen Bruttoinlandsprodukts entspricht. Auch viele mittelgroße chinesische Banken, die eher riskante Kreditgeschäfte vornehmen, verdanken ihre Liquidität zu einem erheblichen Teil derartigen Produkten oder dem (ebenfalls nicht immer verlässlichen) Interbankenmarkt. Probleme in risikoreicheren Finanzmarkt-Segmenten können durch diese Verquickungen theoretisch besonders schnell auf die großen Geschäftsbanken übergreifen und dadurch systemische Krisen verursachen.
Entschuldung durch noch mehr Wachstum?
Zuletzt gab es aber auch Fortschritte. Sehr heilsam wirken sich zurzeit das inzwischen wieder solide Wirtschaftswachstum und die Erholung bei den Erzeugerpreisen aus. Die Großunternehmen sind dadurch prinzipiell wieder besser dazu in der Lage, ihre Schuldenlast abzuarbeiten. Gerade in den besonders problematischen Wirtschaftsbereichen hat sich die Situation spürbar aufgehellt. So stiegen die Gewinne der im A-Shares-Index enthaltenen Gesellschaften im ersten Halbjahr 2017 um durchschnittlich 20%. Der stark verschuldete Kohlesektor erzielte dagegen ein Gewinnwachstum von satten 320%, und der ebenfalls angeschlagene Stahlsektor kann sogar auf einen durchschnittlichen Gewinnanstieg von 510% zurückblicken. Peking bemüht sich mittlerweile außerdem ernsthaft, Problemsektoren wie den Stahl- und Rohstoffbereich zu restrukturieren und durch Firmenfusionen und den erzwungen Abbau von Überkapazitäten zu stärken.
China-Optimisten argumentieren ohnehin, dass das Land seine hohe Gesamtverschuldung durchaus verkraften kann - sofern nur das Wachstum auf einem ansehnlichen Niveau bleibt. Viele westliche Industrienationen seien noch stärker verschuldet als China, und bisher dennoch nicht kollabiert. So liege auch die Gesamtverschuldung der USA mittlerweile bei 250%, und Großbritannien und Frankreich kämen mit 280% und 299% noch auf deutlich höhere Schuldenquoten. Daneben habe China mit seiner steigenden Verschuldung in den letzten Jahren zumindest Wachstum geschaffen, während die westlichen Länder via Neuverschuldung in erster Linie ihren unverhältnismäßig hohen Lebensstandard finanzieren würden.
Allerdings ist weniger das absolute Niveau der chinesischen Schulden bedenklich als deren frappierend schneller Anstieg. So glaubt etwa die Ratingagentur Standard & Poor´s, dass das Reich der Mitte zwar den Anstieg seiner Gesamtverschuldung in den kommenden vier Jahren auf 12% pro Jahr eindämmen kann. Seine Schuldenlast würde dadurch aber bis 2021 trotzdem um weitere 77% nach oben schnellen. Somit wäre in nur wenigen Jahren eine kaum noch erträgliche Verschuldungsquote von über 400 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreicht. An den damit zwangsläufig einhergehenden Destabilisierungsgefahren kann Peking nicht gelegen sein.
Chinas Führung hat die Überschuldungsproblematik zweifellos bereits erkannt. Nachdem der 19. Parteikongress nun vorüber ist, dürfte Peking die Regulierung des Finanzsektors und den allgemeinen Reformdruck verstärken.
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Gerhard Heinrich ist ein ausgewiesener Experte für die Schwellenländerbörsen und Redakteur beim Börsenbrief EMERGING MARKETS TRADER. Dieser Dienst bietet fundierte Analysen zu den Aktienmärkten in Asien, Osteuropa, Lateinamerika und Afrika und konkrete Kaufempfehlungen für Anleger. Mehr Infos unter: www.emerging-markets-trader.de. Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.